Noch etwas anderes fällt auf: Während die Fächerkombination Geografie/Geschichte in Graubünden offenbar kein Problem ist, müssen sich die Basler Lehrer dazu nachqualifizieren. (uk)
Fazit eines Besuches in Basel: Der Lehrplan 21 stosse inhaltlich auf Zuspruch, Bild: Georgios Kefalas
Arbeiten mit dem "Monster", St. Galler Tagblatt, 20.1. von Tobias Bär
Ein dickes Buch kann
abschreckend wirken. Das gilt nicht nur für Schüler. Zu umfangreich, zu
detailliert, zu technokratisch – so lautet das Urteil der erwachsenen Kritiker
des Lehrplans 21. Dass sich die Autoren bemühten, das finale Werk im Vergleich
zu den Entwürfen zu entschlacken und seinen Umfang auf unter 500 Seiten zu
drücken, half nichts mehr. Das Bild eines «Monsters», erschaffen von
«Bildungsbürokraten», hatte sich festgesetzt.
Regina
Kuratle setzt deshalb auf Reduktion. Spricht sie in ihrem Büro im
Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt über die Vorzüge des Lehrplans
21, dann tut sie das mit Hilfe einer 22seitigen Broschüre oder einer
Power-Point-Präsentation mit 35 Folien. Die Unterlagen dienen Kuratle dazu,
einige «Unwahrheiten» über den Lehrplan 21, den sie in Basel-Stadt
verantwortet, aus dem Weg zu räumen: «Er ist weder dicker als die bisherigen
Lehrpläne, noch bringt er im Vergleich zu diesen wesentliche Neuerungen.»
Kuratles Aussage lässt sich nirgends besser überprüfen als eben in Basel. Der
Stadtkanton hat den neuen Lehrplan, mit dem die 21 deutsch- und mehrsprachigen
Kantone ihre Bildungsziele für die Volksschule vereinheitlichen, im Sommer 2015
eingeführt – dies im Rahmen einer grossen Schulreform und mindestens zwei Jahre
vor allen anderen.
«Wir füllen das mit Inhalt»
Gaby Hintermann unterrichtet Deutsch an der Sekundarschule Theobald Baerwart im Kleinbasel direkt am Rhein. Hintermann sagt: «Es ist nicht so, dass ich in den Sommerferien den Lehrplan 21 gelesen habe und jetzt ganz anders unterrichte.» Wurde der Unterricht also nicht anwendungsorientierter, zielgerichteter und besser auf die einzelnen Schüler zugeschnitten, wie sich das die Macher versprochen hatten? Natürlich habe sie ihre Unterrichtsmethoden angepasst, sagt Hintermann, die als Präsidentin der kantonalen Schulkonferenz die Basler Lehrer vertritt. «Der Lehrplan 21 legt Wert darauf, dass die Schüler ihr Lernen reflektieren. Sie müssen also vermehrt beschreiben, wie sie eine Aufgabe angepackt haben.» Der Lehrplan nehme aber viele Entwicklungen auf, die bereits zuvor Eingang in den Schulalltag gefunden hätten. «Für Lehrer, die diese Entwicklungen mitgemacht haben, hält sich die Umstellung in Grenzen. Hat man sich diesen verweigert, ist der Schritt hingegen ziemlich gross», sagt Hintermann.
Die
Basler gehen mit dem neuen Lehrplan pragmatisch um. Das gilt sowohl für das
Erziehungsdepartement als auch für die Schulleiter und Lehrer. Die
baselstädtischen Volksschulen können die Einführung selber planen, sie haben
dafür bis 2021 Zeit. Im Schulhaus Theobald Baerwart gilt folgender Fahrplan:
Ein Drittel der Lektionen sollten bereits heute so aufgebaut sein, dass sie dem
Lehrplan 21 entsprechen. Ab Sommer 2016 sollen es dann zwei Drittel sein.
Ein
Lehrplan dürfe nicht von oben nach unten umgesetzt werden, sagt Regina Kuratle.
«Mit Vorschriften kommt man nirgends hin, man muss die Lehrer dazu einladen,
ihren Unterricht zu entwickeln.» Auf einer von Kuratles Folien steht: Der
Lehrplan 21 ist kein Gesetzbuch, er ist ein Kompass. Und genau so begreift die
Lehrerin Gaby Hintermann den Lehrplan: «Wir sollten einen selbstbewussten
Umgang mit dem Ding finden», sagt sie und zeigt auf den Ordner, der vor ihr auf
dem Tisch liegt. «Wir sind die, die das Geschriebene mit Inhalt füllen.»
Reizwort Kompetenzen
Diese
Freiheit der Lehrpersonen sehen die Kritiker des Lehrplans gefährdet. Der
Lehrer werde zu einem Coach degradiert, der die Schüler nur noch begleite, die
klassische Wissensvermittlung bleibe auf der Strecke. Der Widerstand entzündet
sich besonders an einem Wort: Kompetenzen. Als solche werden im Lehrplan die
Lernziele beschrieben. «Es kann doch nicht sein, dass der Lehrer sagt: Wenn ihr
wissen wollt, wo dieser Ort liegt, dann gebt ihn bei Google Maps ein», sagt
Saskia Olsson. Die Kunststudentin sitzt im Vorstand eines Vereins, der den
Lehrplan 21 vom Nachbarkanton Baselland fernhalten will. «Die Kernaufgabe der
Lehrpersonen sollte weiterhin das Unterrichten vor der Klasse sein», sagt
Olsson.
Genau,
meint Gaby Hintermann, und das werde sich auch mit dem Lehrplan 21 nicht
ändern. «So wie ich den Lehrplan lese, steht die Wissensvermittlung immer noch
an erster Stelle.»
Viel Neues, aber kein Platz dafür
Ganz
ohne Reibungen geht die Einführung des Lehrplans 21 aber auch am Rheinknie
nicht vonstatten. Da wäre zum Beispiel das Problem der fehlenden Lehrmittel.
Weil die anderen Kantone zögerlicher vorgehen als Basel, liegen nur für die
wenigsten Fächer Lehrmittel vor, die den Vorgaben des Lehrplans entsprechen.
Und da wären die Umstellungen, die mit der Zusammenlegung von Fächern – zum
Beispiel Geographie und Geschichte – einhergehen. Zwar bietet der Kanton
Weiterbildungen an, damit die Lehrer ihren Fächerkanon erweitern können. Das
Problem sei, dass die Zertifikatslehrgänge am Samstag angeboten würden, meint
die Leiterin der Sekundarschule Theobald Baerwart, Tove Specker: «Das kann ich
nicht verlangen. Die Lehrer haben Anspruch auf ein freies Wochenende.»
Zudem,
so Specker, würden mit dem Lehrplan die Module «Medien und Informatik» sowie
«Berufliche Orientierung» eingeführt – im Stundenplan sei dafür aber kein Platz
vorgesehen. «Man hat sehr viel Gutes in das Werk gepackt, aber leider nirgends
Platz dafür geschaffen», sagt Gaby Hintermann.
Eymann lobt «unaufgeregte Lehrer»
Offener
Widerspruch gegen den Inhalt des Lehrplans ist in Basel aber nur leise zu
vernehmen. Der kantonale Erziehungsdirektor Christoph Eymann lobt denn auch die
«unaufgeregte Art», mit der die Lehrer den Lehrplan aufgenommen hätten. Ein
Beispiel dafür bekommt, wer Gaby Hintermann auf den Umfang des Lehrplans
anspricht: «Da drin steht schon sehr viel, manches hätte ich weggelassen. Man
muss den Lehrplan 21 deswegen aber nicht gleich in die Tonne treten.»
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