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forderten kürzlich Lehrer im Oberwallis vom Erziehungsdirektor die sofortige
Inkraftsetzung des neuen Lehrplans 21 (LP 21). Im Diskurs wurde kaum beachtet,
dass gegen LP 21 in 13 der deutschschweizerischen Kantone
Initiativen laufen oder in Vorbereitung sind, nämlich in AG, AI, BE, BL, GR,
LU, SG, SO, SZ, TG, ZG, ZH. Die Gründe für diese Opposition gegen das nach
Bologna und Harmos nun dritte am grünen Tisch von Bildungstechnokraten
entworfene Reformprojekt LP 21 sind schwerwiegend.
Übrigens, Kolumne Walliser Bote, 15.1. von Alois Grichting
Sie wurden kürzlich von
Alain Pichard aus Biel und Beat Kissling aus Zürich in einer 34-seitigen
Broschüre «Kritische Gedanken zu Bologna, Harmos und Lehrplan 21»
zusammengefasst (Beziehbar bei A. Pichard: arkadi@bluemail.ch). Wenn man darin
die Überlegungen der verschiedenen Autoren (Pädagogik-Professoren, Politiker,
Schriftsteller, Lehrer, Schulleiter usw.) liest, frägt man, ob sich die
erwähnten Oberwalliser Lehrenden überhaupt bewusst sind, was ihnen LP 21
zumutet, bzw. bringen wird. Offenbar sind sie froh darüber, dass ihnen LP 21
nicht nur sagt, was sie genau unterrichten müssen, sondern auch noch, wie man
es tun müsse. LP 21 ist deshalb ein massiver Steuerungsversuch des Unterrichts
und kommt einem völligen Paradigmenwechsel der Schule gleich. Nachstehend
möchte ich deshalb aus der erwähnten Schrift mit Angabe von Seitenzahlen einige
Argumente gegen LP 21 zitieren.
-
Entstehung des Lehrplans. «Der Lehrplan wurde in einem hermetisch abgeschlossenen
Gremium ausgeheckt. Die Leute mussten eine Schweigeerklärung unterschreiben»
(28). Es fand also keine Anhörung oder gar öffentliche Debatte statt. Eine
Schulleiterin meinte dazu: «Wir dürfen zuhören, wir dürfen applaudieren» (32).
Der baselstädtische Erziehungsdirektor Eymann antwortete auf die Frage der
Zeitung «ZEIT», ob er den LP 21 nicht durch einen Volksentscheid absegnen
lassen müsse: «Zum Glück nicht, muss ich ehrlicherweise sagen» (30). Nennt man
so was Demokratie? «Die demokratische Kontrolle über die Entwicklung unseres
Schulwesens ist zurückzugewinnen» (7).
-
«Kompetenz» und OECD. Die 557 Seiten starke und 4753 vom Schüler zu erwerbende
«Kompetenzen» aufzählende Urfassung des Lehrplans 21 wurde zwar aufgrund
heftiger Proteste etwas vereinfacht, in den wesentlichen Zügen aber nicht
verändert: Es gibt heute noch 363 Kompetenzen, aber 2304 Kompetenzstufen. Der
in LP 21 sehr nebulöse Begriff «Kompetenz» orientiert sich aus der OECD
(Organisation für europäische Zusammenarbeit und Entwicklung). Verschiedene
Autoren sprechen deshalb von «Vermarktlichung des Bildungswesens» (6), von
«Industrialisierung des Wissens» (22). Kritisches Beispiel: «Eine kataloghafte
Auflistung von über zehn Kompetenzen im Bereich der Literatur im
Deutschunterricht z. B. ist Beweis dafür, dass wir im Grunde genommen vergessen
haben, was Literatur ist und welche wunderbare Bedeutung sie für Schule,
Unterricht, ja für die Bildung eines jungen Menschen im humanistischen Sinne
hat» (30). Ferner daselbst: Es gehe LP 21 vor allem darum, «Menschen zu für den
Markt kompetenten Wesen heranzubilden, die sich darin optimal bewegen können».
Ganzheitliche humanistische (menschliche) Bildung ist für die «LP
21-Bildungsexperten» offenbar Mumpitz.
- Kritik
von links. Keineswegs wird LP 21 diesmal nur von «Ultrakonservativen», sondern
auch von links in den Boden kritisiert. Die Basler Ständerätin Anita Fetz (SP)
tut dies in einem Beitrag mit dem Titel «Der Lehrplan 21 ist gescheitert» (10).
Der ehemalige Basler SP-Parteipräsident Roland Stark äussert sich sehr kritisch
in seinem Text «Der Elfenbeinturm beginnt zu bröckeln»(17), Walter Herzog in
«Auswuchs einer masslosen Bildungspolitik» (19).
-
Gewaltige Kosten. Anita Fetz meint zur Einführung des LP 21 in Basel-Stadt:
«Die ganze Übung ist teuer. Sehr teuer. Und das Geld fliesst in Beton, nicht in
Bildung. In Basel verschlingen die Schulhausumbauten mehrere Hundert Millionen
Franken» (10). Die Einführung von LP 21-Lehrmitteln bringt ebenfalls gewaltige
Kosten. Auf Millionen freut sich die Lehrmittelindustrie. Wissen das die LP 21
- Bildungsverwalter nicht?
- Lehrer
= «Lerncoach»; Kontrolle. Der Lehrer wird durch LP 21 zu einer Art «Lerncoach»
für Kompetenzen degradiert. Er ist eine «jedes weiteren Nachdenkens entbundene
und am Gängelband der Unterrichtsmittel hängende Lehrperson… die Schülerinnen
und Schüler für den nächsten Test fit macht» und Handlangerin «für die mit der
Schulbürokratie verfilzte Expertokratie» (4). Wollen unsere Lehrer dies
wirklich? Wollen sie das Ende freien Lehrens und Lernens, d.h. sich sozusagen
selbst abschaffen? Totale Kontrolle?
Als
ehemaligem Lehrer erscheint mir die von reinem Ökonomismus geprägte Reformitis
von LP 21 vollkommen verfehlt. Unser Erziehungsdirektor täte gut daran, den
grundsätzlichen Steuerungsversuch LP 21 einer breiten öffentlichen Diskussion
zu stellen und ihn nicht auf die Schnelle durchzuziehen…
Alois
Grichting ist Ingenieur, Volkswirtschafter, Lehrer i. R., Publizist
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