20. Januar 2016

Berner Lehrplan-Initiative wohl gültig

Wenn es um den Lehrplan 21 geht, streiten sich auch die Rechtsgelehrten. Der Bund kommt zum Schluss, dass die Initiative trotz der eingebauten Rückwirkungsklausel gültig sein dürfte. Dies aufgrund der Einschätzung von zwei Juristen. Interessant in diesem Zusammenhang auch die Haltung des Berner Erziehungsdirektors Bernhard Pulver. Er sagt, er sei bereit die Initiative im Sinne der Initianten auszulegen und eröffnet dazu schon jetzt den Abstimmungskampf: Sinnvolle Angleichungen in der Stundentafel (z.B. mehr Mathematik- und Deutschstunden) müssten dann ebenfalls wegfallen. (uk)













Bernhard Pulver ist bereits im Abstimmungsmodus, Bild: Keystone
Die Initiative gegen den Lehrplan 21 ist wohl gültig, Bund, 19.1. von Adrian Moser


Die Lehrplan-Initiative könnte zu einer bizarren Situation führen: Es könnte passieren, dass der Lehrplan 21 mehrere Jahre nach seiner Einführung plötzlich ungültig wäre. Damit es so weit kommt, müsste aber noch vieles geschehen: Das Komitee hinter der am Montag lancierten Initiative «Für demokratische Mitsprache – Lehrpläne vors Volk!» müsste bis im kommenden Sommer 15'000 Unterschriften für sein Volksbegehren sammeln.

Sollte das bernische Stimmvolk die Initiaitve danach annehmen, könnte der Grosse Rat nachträglich über den Lehrplan 21 befinden, der zu diesem Zeitpunkt wohl bereits in Kraft ist. Gegen diesen Entscheid könnte dann jemand das Referendum ergreifen, um eine Volksabstimmung über den Lehrplan 21 zu erzwingen. Der neue Lehrplan soll am 1. August 2018 formell in Kraft treten. Die Volksabstimmung darüber fände also auch dann, wenn es schnell vorwärts geht, erst mehrere Jahre danach statt.

Heikle Rückwirkung
Die Initianten haben den Rechtsanwalt und SVP-Grossrat Patrick Freudiger angeheuert, um einen Initiativtext auszuarbeiten, der eine Chance hat, gültig zu sein. Ihr Problem: Den Lehrplan 21 noch vor seiner Inkraftsetzung zu stopen, war kaum mehr möglich. Deshalb soll die Initiative im Fall einer Annahme rückwirkend ab 1. Januar 2017 gelten. Dies aber ist heikel, denn solche Rückwirkungsklauseln sind nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Freudiger ist der Ansicht, dass das bei der Lehrplan-Initiative der Fall sei. Dies auch deshalb, weil man gar nicht von einer «echten Rückwirkung» sprechen könne, da es bei der Initiative lediglich um Zuständigkeitsfragen und nicht um Eingriffe in geschützte Rechtsgüter gehe.

Entscheiden, ob die Initiative gültig ist, wird letztlich der Grosse Rat. Mehrere Gründe sprechen dafür, dass er die Initiative für gültig erklären wird. Der erste ist die Einschätzung des Berner Staatsrechtsprofessors Pierre Tschannen. Er widerspricht der Einschätzung Freudigers nicht. Zitieren lässt er sich so: «Die Rückwirkung ist nicht das zentrale Problem.» Unabhänig von der Frage der Gültigkeit kritisiert er die Initiative aber scharf: «Ich halte sie für hochproblematisch, weil es nicht Sache eines Parlaments ist, einen Lehrplan auszuarbeiten.»

Pulver will Übergangsfrist
Ein weiteres für die Initianten positives Signal kommt von Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne). Er zeigt sich gewillt, die Initiative in ihrem Sinne auszulegen. Pulver sieht das Problem nicht bei der Frage, ob die Rückwirkungsklausel zulässig ist. Er weist stattdessen auf die Probleme hin, die es mit sich bringen würde, wenn der Lehrplan 21 tatsächlich mehrere Jahre nach seiner Einführung vom Volk verworfen werden sollte. «In diesem Fall entfiele für vieles, was wir machen, auf einmal die Rechtsgrundlage», sagt er. Pulver meint damit zum Beispiel die zusätlichen Mathematik-, Deutsch- und Informatiklektionen, die mit dem Lehrplan 21 eingeführt werden sollen oder Übertrittsentscheide, die auf Grund der neuen (und dann wieder abgeschafften) Regeln gefällt wurden.

Er hält einen Volksentscheid gegen den Lehrplan 21 dann für umsetzbar, wenn er nicht sofort, sondern nach einer Übergangsfrist von einigen Jahren in Kraft träte. «Wir können nicht nur den Lehrplan 21 ausser Kraft setzen, sondern müssen auch festlegen, was stattdessen gelten soll», sagt er. «Dafür bräuchten wir Zeit.»

Keine Option ist für Pulver, die Einführung des Lehrplans zu verschieben, bis die Abstimmungen vorbei sind. Dafür sei der Prozess schon zu weit fortgeschritten. «Die Schulen brauchen politische Sicherheit», sagt er.


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