Hans Ambühl sitzt zusammen mit Vera Husfeldt für die EDK in der siebenköpfigen Konferenz CORECHED, Bild: Jacobs Foundation
Am Ziel vorbei, Urs Kalberer, 11.1.
A systematic review of the impact of multiple language teaching, prior language experience and acquisition order on students' language proficiency in primary and secondary school, Clearinghouse Research Series 2015, Number 28
Die NZZ
berichtete über eine von der Schweizerischen
Koordinationskonferenz Bildungsforschung (CORECHED) bestellte Studie zum
schulischen Fremdsprachenlernen (Bildungspolitik, nicht
Wissenschaft, NZZ, 7.1. von Michael Schoenenberger). Die darin gemachten Aussagen
bedürfen aufgrund ihrer Bedeutung für die Schulsprachenpolitik einer
Gegenüberstellung mit den effektiv erzielten Forschungsergebnissen.
Hintergrund
des Auftrags an die Danish
Clearinghouse for Educational Research ist die wachsende Unzufriedenheit
mit dem von der Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) verantworteten
Sprachenkonzept, das auf zwei Fremdsprachen in der Primarschule setzt. In
verschiedenen Kantonen sind politische Vorstösse hängig, die zu einer
Primarfremdsprache zurückkehren möchten, in anderen Kantonen wurden
entsprechende Beschlüsse gefasst oder bereits umgesetzt. Von der dänischen
Forschungsübersicht verspricht man sich Klarheit über die wissenschaftliche
Faktenlage zum schulischen Fremdsprachenlernen.
Am Ziel vorbei
Die dänischen
Forscher – verstärkt durch eine Expertengruppe – beschäftigten sich
hauptsächlich mit der Frage, welche Faktoren das Erlernen einer Drittsprache
beeinflussen und den Auswirkungen von bilingualem Unterricht auf eine weitere
Fremdsprache. Damit schiessen sie klar am Ziel vorbei, denn strittig ist ja weder
die Anzahl der Fremdsprachen noch deren Bedeutung, sondern der Zeitpunkt des
Beginns des Fremdsprachenunterrichts. Der gewählte Fokus und die damit
verbundenen Fragestellungen sind deshalb für unsere Sprachenpolitik weitgehend
irrelevant. Dazu kommt, dass der spezifisch schweizerische Kontext mit
Schweizerdeutsch und dem hohen Anteil von Migrantensprachen in der aufwendigen
Studie gar nicht berücksichtigt werden konnte.
Irritierende Folgerungen
Die nun vorliegende
Synthese von 43 Studien bringt keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse ans
Licht. Bekanntlich kann sich das frühe Erlernen einer Fremdsprache in der
Schule nicht auf entsprechende wissenschaftliche Evidenz stützen. Die Synthese
der untersuchten Studien sagt hinsichtlich des Zeitpunkts, wann Schüler mit dem
Fremdsprachenlernen beginnen sollen, dass ein späterer Start vorteilhaft sei.
Ausserdem hält sie fest: „Je älter die Schüler beim Start einer Drittsprache
sind, desto besser schneiden sie an Leistungsüberprüfungen ab“. Aus diesen Schlussfolgerungen konstruiert nun
Stefan Wolter vom Auftraggeber CORECHED, in dem sich neben Vertretern der
Bildungsforschung auch solche der EDK befinden, die irritierende Aussage: „Wer den Unterricht einer zweiten Fremdsprache aus
der Primarschule verbannen will, kann dies mit Sicherheit nicht mit
wissenschaftlicher Forschung begründen.“ Soll hier davon abgelenkt werden, dass
uns die EDK noch immer eine wissenschaftlich stichhaltige Begründung für die
Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts schuldet? Nimmt man sich die Mühe und
sieht sich die von der CORECHED
verfasste Kurzzusammenfassung online an, stösst man auf weitere
Ungereimtheiten.
Selektive Auswahl
Problematisch
– das geben die Verfasser selbst zu bedenken – ist die Auswahl der Studien. 60
Prozent stammen aus Spanien, weitere haben als Hintergrund Immersionsklassen,
die man bei uns nicht kennt. Ein Blick in die
Fachliteratur würde genügen, um die erdrückende Datenlage zugunsten eines
späteren Beginns zu belegen. Es zeigt sich nämlich, dass die Frühstarter ihren
schnell eingehandelten Rückstand auf die kognitiv reiferen Spätstarter auch
langfristig nicht aufholen können. Namhafte Untersuchungen von internationalen
Fachleuten des Fremdsprachenerwerbs schafften es nicht durch das engmaschige
Netz der spezifisch auf den Drittsprachenerwerb ausgerichteten Fragestellungen.
Darunter fällt auch die Analyse des Instituts für Mehrsprachigkeit der
Universität Fribourg (Raphael Berthele und Amelia Lambelet, 2014), die einen aktuellen
Überblick über den Stand der Forschung bietet. Bildungsökonom Wolter meint
dazu, es seien nach der fundierten Analyse nur 43 Studien übrig geblieben, die
tatsächlich als wissenschaftliche Forschung bezeichnet werden könnten. Diese Darstellung
widerspricht dem von den Verfassern ausführlich dargelegten Auswahlverfahren.
Als Fazit kann festgehalten werden, dass die
Mehrsprachigkeit unserer Schüler durch einen späteren Beginn weder verhindert
noch eingeschränkt wird. Im Gegenteil: Die Anhänger des Modells mit zwei
Primarfremdsprachen können ihre postulierte Überlegenheit nun noch weniger auf
wissenschaftliche Erkenntnisse abstützen. In einer Zeit, in der im Bildungsbereich
Hunderte von Millionen Franken gespart werden müssen, wirkt es stossend, wenn
gleichzeitig für fragwürdige didaktische Ansätze, Lehrmittel,
Lehrerweiterbildungen und das entsprechend wirkungsarme Unterrichten Unsummen
in den Sand gesetzt werden.
Dieser Text wurde auch an die NZZ geschickt, um die frappante Fehlinformation im Bericht aufzudecken. Die NZZ hat es vorgezogen, den Text nicht zu veröffentlichen.
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