Aufregung um den neuen Lehrplan: Jetzt wird
das Regelwerk auch von linksliberalen Kreisen angegriffen. Die
Berichterstattung der SonntagsZeitung von letzter Woche löste Zustimmung aus,
aber auch heftigen Widerspruch. Die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) und die
Deutschschweizer Bildungsdirektoren (D-EDK) reagierten mit öffentlichen
Stellungnahmen. Der Schaffhauser FDP-Regierungsrat Christian Amsler (52) ist
Präsident der D-EDK und damit Schirmherr des Lehrplans 21, der in allen
Deutschschweizer Kantonen gelten soll.
Christian Amsler will kein Zurückweichen bei der Durchsetzung des Lehrplans 21, Bild: Nicola Pitaro
"Der Lehrplan ist umzusetzen", Sonntagszeitung, 6.12. von Nadja Pastega und Armin Müller
Eine
linksliberale Oppositionsgruppe fordert, der Lehrplan 21 müsse vor das Volk.
Man wirft Ihnen undemokratisches Vorgehen vor.
Dieser Vorwurf ist völlig verfehlt. Das Volk
hat 2006 Ja gesagt zum Bildungsartikel und damit zum Auftrag, die Schulen zu
harmonisieren.
Das Volk
hat aber nie Ja gesagt zu einem Lehrplan, der auf Kompetenzen aufbaut und nicht
mehr Lerninhalte beschreibt.
Der Gesetzgeber hat die Verantwortung für die
Lehrpläne klar zugewie- sen. In fast allen Kantonen ist dafür der Bildungs-
respektive der Erziehungsrat oder der Regierungsrat zuständig. Seine Mitglieder
sind demokratisch gewählt.
Trotzdem
wurden in mehreren Kantonen Volksinitiativen gestartet, damit Parlament und
Bevölkerung beim Lehrplan mitreden können. Das muss Ihnen doch zu denken geben.
Ich fände es völlig verfehlt, wenn das
Kantonsparlament oder das Volk über einen Lehrplan abstimmt. Ein Lehrplan ist
etwas so Komplexes, dass es richtig ist, wenn dafür ein Fachgremium zuständig
ist. Die Gegner werfen uns natürlich vor, dass wir das Volk aushebeln. Aber die
Beurteilung eines Lehrplans ist schlicht eine Überforderung der
Gesamtbevölkerung. Das sage ich in aller Deutlichkeit.
Es
stellt sich doch die Frage, ob man eine grundlegende Reform der Volksschule,
wie sie jetzt von Experten beschlossen wurde, mit dem Verfassungsauftrag von
2006 begründen kann.
Der Lehrplan 21 ist keine Schulreform,
sondern die logische Fortführung der bestehenden Lehrpläne. Die Krux des neuen
Lehrplans ist, dass er viele Kritiker hat, aber praktisch keine Leser. Er muss
als Sammelbecken für Unzufriedene herhalten. Das zeigt auch die grosse
Bandbreite der Kritiker von links bis ganz rechts, von konservativen Christen
bis zu Weltverschwörungsgruppen.
Was
machen Sie in jenen 13 Kantonen, in denen gegen den Lehrplan Volksinitiativen
gestartet wurden?
Wir können nichts anderes tun, als
hinzustehen und uns zu äussern. Es gehört zu einer Demokratie, dass sich die
Gegner formieren und Unterschriften sammeln. Es gab auch mehrere Vorstösse in
den kantonalen Parlamenten. Da wurde eine klare Sprache gesprochen: Die
Kantonsparlamente wollen nicht, dass sie zuständig sind für den Lehrplan.
Das
Volk wollte eine einfachere Mobilität beim Schulwechsel von einem Kanton in den
anderen. Stattdessen haben wir jetzt einen Flickenteppich bei den Fremdsprachen
und dafür einen Lehrplan, den viele gar nie wollten.
Wenn man schaut, wo die Kantone noch vor ein
paar Jahren standen, haben wir bei der Harmonisierung einen bemerkenswerten
Stand er- reicht. Mit Ausnahme der Sprachen. Da müssen wir uns nichts vormachen.
In Kantonen, die an der Sprachgrenze liegen, beginnt man mit Französisch, in
der Ostschweiz mit Englisch. Aber es ist ein No-go, das in meinem Kanton
umzukehren oder das Englisch aus der Primarschule zu kippen. Dass es bei den
Fremdsprachen keine Einigung zwischen den Kantonen gibt, ist der Preis, den wir
für unser föderales, vierkulturiges Land zahlen.
Für
Empörung beim neuen Lehrplan sorgt, dass das Wissen den Kompetenzen
untergeordnet wird. In einem Rundschreiben zum neuen Französischlehrmittel
«Mille feuilles» wird festgehalten, was man im Unterricht nicht mehr tun dürfe:
Wörtchentests, Diktate, Grammatiktests.
Ich muss zugeben, das finde ich in dieser
Absolutheit auch unglücklich. Dieses Lehrmittel ist umstritten. Wir benutzen es
nicht im Kanton Schaffhausen.
Bereitet
der Lehrplan 21 den Boden für «Neuerungen» wie «Mille feuilles»?
Nein, überhaupt nicht. Es ist klar, dass man
mit der neuen Fremdsprachendidaktik mehr die Freude an der Sprache wecken und
einen angstfreien Zugang ermöglichen will. Früher war der Französischunterricht
ja für viele Kinder ein absoluter Ablöscher, weil sie zum Beispiel Mühe hatten
mit dem Passé composé. Aber es ist sicher nicht das Ziel, dass in der Schule
überhaupt keine Grammatik mehr gelehrt wird. Die SVP behauptet ständig, der
Lehrer sei nur noch Coach, die Noten würden abgeschafft, es herrsche nur noch
das Lustprinzip. Das ist absoluter Humbug. Der neue Lehrplan macht hier
überhaupt keine Vorschriften.
Wir
haben viele Stellungnahmen von engagierten Lehrern, zum Teil aus dem Kanton
Bern, die sich nicht mehr trauen, sich kritisch zum Lehrplan zu äussern. Wer
das tue, sei erledigt.
Das betrübt mich zutiefst, das kann nicht die
Idee sein. Ich glaube aber nicht, dass in einem Kanton wirklich ein solches
Klima der Angst herrscht. Die Lehrerinnen und Lehrer wurden mit Hearings,
Workshops und in den Vernehmlassungen von Anfang an miteinbezogen.
Bei
einer Präsentation im Kanton Thurgau zur Einführung des Lehr- plans 21 hiess
es, bei einem Lehrer, der nicht mitziehen wolle, müsse man den «Leidensdruck
erhöhen». Ein Mittel, um bei widerspenstigen Lehrern zum Ziel zu kommen.
Das betrifft einen anderen Kanton, darum
kommentiere ich das nicht. Es würde mich aber sehr überraschen, wenn ein Profi
so argumentiert. Es ist eine Herausforderung, alle Lehrer an Bord zu holen.
Andererseits handelt es sich um ein klares Angestelltenverhältnis. Die
Schulbehörden und letztlich der Erziehungsdirektor sind verantwortlich, dass
der Lehrplan eingeführt wird. Wenn es Lehrer gibt, die renitent sind und sich
weigern, den Lehrplan umzusetzen, darf die Behörde keinen Millimeter
zurückweichen. Der Lehrplan ist umzusetzen.
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