Unruhe um Tessiner Schulwesen, NZZ, 27.11.
Die Mehrzahl der Kantone treibt die
Harmonisierung der obligatorischen Schule (Harmos) voran. Ziel ist es, die
Bildungsstandards und die Schulstrukturen schweizweit anzugleichen. Auch der
Kanton Tessin macht bei Harmos mit und will in diesem Zusammenhang auf nächstes
Jahr das Projekt «Die Schule, die kommen wird» präsentieren. Zudem stand
wiederholt auch die Idee zur Diskussion, die Höchstzahl der Schüler pro Klasse
zu senken. Im September 2013 verwarf der Tessiner Grosse Rat den Plan der
Kantonsregierung, generell statt 25 nur noch 22 Schüler pro Klasse zuzulassen.
Das Stimmvolk lehnte ein Jahr später eine Volksinitiative linker Kreise ab, die
Primarschulklassen mit höchstens 20 Schülern forderte.
Diese Woche hat das Kantonsparlament eine Volksinitiative der
Gewerkschaft VPOD abgeschmettert. Diese strebt auf Sekundarstufe die
Beschränkung auf maximal 20 Schüler oder gar noch weniger an. Dazu kommt die
Forderung nach einem merklichen Ausbau des Mensa-Angebots und der nachschulischen
Betreuung. All dies zöge jährliche Zusatzkosten von etwa 45 Millionen Franken
nach sich, wovon die Gemeinden 7,5 Millionen zu berappen hätten - obwohl die
Sekundarstufe in die Zuständigkeit des Kantons fällt.
Frage der
Unterrichtsqualität
Die bürgerliche Ratsmehrheit befand, dieser Mehraufwand sei
angesichts der schlechten Finanzlage des Kantons untragbar. Zudem liessen die
verlangten Massnahmen die dringlichen Probleme wie Unterrichtsqualität,
Schülerförderung und Lehrerweiterbildung ausser acht. Die Grossräte hiessen
stattdessen den Antrag der Mehrheit der parlamentarischen Schulkommission gut,
welcher den Stimmberechtigten die Vorlage zur Ablehnung empfiehlt. Zur
Abstimmung wird es nächstes Jahr auf jeden Fall kommen, weil die Gewerkschaft
VPOD die Initiative nicht zurückziehen will.
Der Tenor im Grossen Rat lautete: Es sei vernünftiger, den
Schlussbericht zum Reformprojekt «Die Schule, die kommen wird» abzuwarten und
die Frage der Schülerhöchstzahl dann zu diskutieren. Das Projekt strebt unter
anderem innovativere Unterrichtsformen, gezieltere Schülerbetreuung und
flexiblere Zulassungsbedingungen an.
Zeit- und Spardruck
Generell herrscht Unruhe um das Tessiner Schulwesen. Nebst der
Frage nach kleineren Klassen stellt sich auch jene der Leistungsförderung. Beim
Pisa-Test 2009, der schweizweit durchgeführt wurde, schnitten die Tessiner
Schüler am schlechtesten ab - obwohl das kantonale Schulmodell und insbesondere
die Vorschulstufe als vorbildlich gelten. Dazu gesellt sich der Zeitdruck
punkto definitiver Umsetzung der Harmos-Eckwerte spätestens auf 2016 hin. Und
schliesslich muss sich der Tessiner Erziehungsdirektor Manuele Bertoli gegen
allzu grossen Spardruck wehren. Seine Regierungskollegen planen, ein Sparpaket
von 180 Millionen Franken zu schnüren. Sollte man auch im Bildungsbereich
merkliche Abstriche ins Auge fassen, werde er dies nicht unterstützen, erklärte
Bertoli. Das Tessiner Schulwesen steht also vor grossen Herausforderungen.
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