Die Kinder verbringen viel Zeit vor dem Computer und hören Geschichten, Bild: Georgios Kefalas
Franz-Lehrmittel ist für Experten "völlig konfus", 20 Minuten, 11.11. von Nadine Ellis
Lernen
vor dem Computer statt mit der Familie Châtelain: Seit 2011 beginnen Kinder im
Kanton Bern den Französischunterricht bereits in der 3. Klasse und mit den
Lehrmitteln «Mille Feuilles» und «Clin d'oeil». Diese sorgen bei Lehrern und
Politikern für Verdruss. Der Vorwurf: Die Sprösslinge sprechen schlechter
Französisch als Kinder, die erst ab der 5. Klasse mit dem
früheren Lehrmittel «Bonne Chance» gelernt haben.
Dabei
hatte man sich von den neuen Büchern Grosses erhofft: «Das Versprechen war,
dass die Schulkinder durch das Wegfallen von Wörtlipauken und Grammatiktests
offener mit der Sprache umgehen und besser sprechen könnten», so der Bieler
GLP-Stadtrat und Oberstufenlehrer Alain Pichard. Er unterrichtet seit kurzem
erstmals Siebtklässler, die bereits in der dritten Klasse mit dem
Französischpauken begonnen haben.
«Unwissenschaftlich»
und «konfus»
Pichard,
der seit 38 Jahren unterrichtet, hat sich intensiv mit dem «Clin d'oeil»
beschäftigt: «Es ist höchst unwissenschaftlich und völlig konfus, der
Wortschatz wird zufällig aufgebaut. Zudem wird das grammatikalische Gerüst, das
man für den Sprachgebrauch benötigt, vernachlässigt.» Den Lehrer erstaunte es
auch, dass seine Schüler die französische Aussprache kaum beherrschen.
Pichard
kritisiert zudem die Kosten, die die neuen Unterrichtsmittel mit sich bringen:
«Es sind die teuersten Lehrmittel, die es je gegeben hat.» Grund dafür seien
die Einwegmaterialien und die Kosten für die Computer. «Bonne Chance» möchte er
dennoch nicht zurück: «Es ist völlig veraltet, man hat viel zu lange mit dem
Buch gearbeitet. Das Prinzip war damals aber ein grosser Fortschritt und ist
noch heute gut.»
Test soll
Klarheit bringen
Auch der
Berner SVP-Grossrätin Sabina Geissbühler-Strupler sind das Frühfranzösisch und
die neuen Lehrmittel ein Dorn im Auge: «Der Unterricht, die neuen Lehrmittel und
die Weiterbildung der Lehrpersonen kosten mit 18 Millionen Franken pro Jahr zu
viel.» Geissbühler-Strupler bemängelt zudem die Didaktik: «Die Lernmethode ist
darauf ausgelegt, dass Kinder die Sprache durch Zuhören erlernen. Dafür sind
aber zwei bis drei Lektionen pro Woche zu wenig.»
Nun
reagiert die pensionierte Lehrerin: Am kommenden Montag wird sie zusammen mit
anderen Ratskollegen eine dringliche Motion zum Frühfranzösisch einreichen.
Darin wird eine wissenschaftliche und kostenneutrale Studie durch die Uni Bern
oder durch die PH Bern gefordert. Geissbühler-Strupler: «In den Tests sollen
Schulkinder, die ab der dritten Klasse mit den neuen Lehrmitteln unterrichtet
worden sind, mit jenen Schulkindern verglichen werden, die Französisch ab der
5. Klasse mit dem Lehrmittel ‹Bonne Chance› gelernt haben.» Die Abklärung
müsste rasch durchgeführt werden: Nach dem Schuljahr 2016/17 verschwindet das
alte Lehrmittel komplett aus dem Unterricht – ein Vergleich ist danach nicht
mehr möglich.
Lehrmittel
ersetzen
«Sollten
die Evaluationstests zeigen, dass die Frühfranzösischkinder trotz zusätzlicher
Kosten und früher Sprachförderung nicht signifikant besser abschneiden, soll
der Regierungsrat beauftragt werden, das Passepartout-Projekt zu kündigen und
die Lehrmittel zu ersetzen», so die Grossrätin.
Bis über
die Motion entschieden wird, hat Lehrer Pichard eine eigene Lösung gefunden:
«Ich unterrichte meine 7.-Klässler nun auch im grammatischen Aufbau der
Sprache.» Die Reaktionen der Eltern und Kinder seien sehr positiv. «Endlich
lerne ich etwas», habe ein Schüler zu ihm gesagt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen