Glarus heizt den Sprachenstreit weiter an, Tages Anzeiger, 12.11. von Claudia Blumer
Der
Regierungsrat habe es sich nicht einfach gemacht, sagt Bildungsdirektor
Benjamin Mühlemann (FDP). Man habe zwischen «staatspolitischen Überlegungen und
bewährter Praxis» abwägen müssen und sich schliesslich für das Bewährte
entschieden: dafür, dass der Französisch-Unterricht in der Real- und Oberschule
ein Wahlpflichtfach bleibt. Die Schüler können statt Französisch auch ein
praktisches Fach belegen, etwa «textiles und technisches Gestalten».
Ausschlaggebend für den am Mittwoch
kommunizierten Entscheid sei die einhellige Reaktion in der Vernehmlassung
gewesen, sagt Mühlemann. Lehrer, Schulleiter, Gemeindevertreter – alle waren
der Ansicht, dass schwächere Schüler zu stark belastet würden, wenn man ihnen
entgegen persönlicher Neigungen eine Fremdsprache aufbürdet.
Ein Drittel
verzichtet
Damit wird im Kanton Glarus weiterhin
ein knappes Drittel der Schulabgänger Französisch lediglich auf
Primarschul-Niveau verstehen. Das ist insofern problematisch, als das seit 2007
geltende eidgenössische Sprachengesetz das Beherrschen einer zweiten
Landessprache für Volksschulabsolventen vorschreibt. Auch die Bundesverfassung
und die Empfehlungen der Erziehungsdirektoren (EDK) zielen darauf ab.
Von den Kantonen wird erwartet, dass
sie ihre Lehrpläne in diesem Sinn anpassen. Auch Aargau, Appenzell
Ausserrhoden, Schwyz und Uri kennen solche Dispensationsregelungen für den
Französisch-Unterricht in der Oberstufe.
«Ein
Affront»
Der Glarner Entscheid ist Zündstoff in
einer ohnehin angeheizten Diskussion. Mehrere Kantone tun sich schwer mit den
nationalen Vorgaben, Bevölkerung und Lehrerschaft üben Widerstand. Bundesrat
und Parlament halten dagegen. Erst letzte Woche hat die nationalrätliche
Bildungskommission ihre parlamentarische Initiative behandelt, welche die
Pflicht zum Fremdsprachenunterricht konkretisieren will. Der Vorstoss wurde
dann sistiert, nachdem Innenminister Alain Berset den Kommissionsmitgliedern
versprochen hatte, er werde eingreifen, falls ein Kanton ausschert. Zwar geht
es in diesem Vorstoss um die Primarstufe, doch auch beim Oberstufen-Französisch
gelten die Ziele in Gesetz und Verfassung.
Der Entscheid
von Glarus sei ein «Affront», sagt Kommissionspräsident Matthias Aebischer (SP, BE): «Ein Affront
gegenüber allen Landesprachen und -regionen.» Der Kanton Glarus bewege sich,
statt auf den erklärten Konsens zu, genau in die entgegengesetzte Richtung.
Raphaël Comte, FDP-Nationalrat aus Neuenburg, sieht darin einen Beweis dafür,
dass der Bundesrat handeln müsse. «Abwarten bringt nichts. Wenn der Glarner
Entscheid schon vor einer Woche bekannt gewesen wäre, hätte die
Bildungskommission die parlamentarische Initiative sicher nicht sistiert.»
Unschöne
Auseinandersetzung droht
Ein Eingreifen des Bundes wäre
staatspolitisch gefährlicher als über pragmatische Lösungen einzelner Kantone
hinwegzusehen, meint Regierungsrat Mühlemann. «Das gäbe eine unschöne
Auseinandersetzung.»
Und doch
könnte das Szenario Realität werden. Das zeigt die Reaktion von Christoph Eymann, Basler Erziehungsdirektor und
EDK-Präsident: Es sei zu bedauern, dass ein Kanton den Lehrplan 21 auf diese
Weise umsetze, sagt er. «Die nationalen Bildungsziele, die in der zweiten
Landessprache per Ende der Primarstufe und per Ende der obligatorischen Schule zu erreichen sind, gelten
grundsätzlich für alle.» Individuelle Ausnahmen seien möglich, jedoch die
zweite Landessprache generell zum Wahlpflichtfach für einen Teil der
Schülerschaft zu erklären, sei «problematisch».
Die «weiterführende politische
Beurteilung» dieses Entscheids werde die EDK mit dem Bund anschauen müssen.
Wenn man die Schüler wählen liesse, würden sich ein Drittel der Glarner Oberstufenschüler für Französisch entscheiden. Wäre interessant zu wissen, wie hoch der Anteil in anderen Kantonen ist.
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