15. November 2015

Flüchtlinge: Druck auf Schulen steigt

Die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge steigt. Der Bedarf an Aufnahmeklassen und Brückenangeboten nimmt zu. Jetzt fordern die Kantone mehr Mittel vom Bund.
Junge Flüchtlinge: Schulen müssen aufstocken, NZZaS, 15.11. von René Donzé


7866 minderjährige Asylbewerber hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) bis vergangenen Donnerstag registriert. Das entspricht jetzt schon einer einer Zunahme um 18 Prozent gegenüber dem ganzen Vorjahr. Bis Ende Jahr dürften es rund ein Fünftel mehr sein. Von diesen Minderjährigen sind 3287 zwischen 4- und 16-jährig, wie das SEM auf Anfrage bekanntgibt. In dieser Alterskategorie beträgt der Anstieg bis jetzt 22 Prozent. Das stellt Kantone und Gemeinden vor Probleme: Sie sind dafür verantwortlich, dass Kinder im schulpflichtigen Alter eingeschult werden.

«Die Zunahme der Zahl der Flüchtlingskinder wird nun auch nach und nach in allen Gemeinden spürbar werden», sagt Martin Wendelspiess, Leiter des Volksschulamtes des Kantons Zürich. In einer ersten Phase kommen die Kinder zwar in den meisten Kantonen in Aufnahme- oder Integrationsklassen. Später aber werden sie auf die Gemeinden verteilt und dort möglichst in der Regelschule integriert. Allein der Kanton Zürich, der als bevölkerungsreichster Kanton am meisten Asylbewerber zugeteilt erhält, rechnet für dieses Jahr mit 700 schulpflichtigen Flüchtlingskindern. 600 sind schon angekommen, weitere 100 dürften bis Ende Jahr folgen.

Zusätzlich zu den bestehenden 20 Aufnahmeklassen plant der Kanton drei weitere. Auch Gemeinden, denen viele Asylbewerber im Schulalter zugewiesen werden, können ab acht Kindern Aufnahmeklassen schaffen und erhalten dafür bei Bedarf zusätzliche Stellenprozente vom Kanton. «Falls die Zahlen der Flüchtlingskinder weiter steigen, wird der Regierungsrat über die nächsten Planungsschritte und die erforderlichen Kredite befinden müssen», sagt Wendelspiess.

Auch in anderen Kantonen erwarte man einen steigenden Druck auf die Schulen, sagt Bernard Gertsch, Präsident des Schweizer Schulleiterverbands. An einem Treffen der kantonalen Schulleiterpräsidenten vor wenigen Tagen sei das Thema diskutiert worden. Die Schulleiter gehen indes davon aus, dass sich das Problem erst verzögert akzentuieren wird, wenn die Flüchtlinge über den Familiennachzug ihre Kinder in die Schweiz holen. Eine solche Situation erlebte die Schweiz letztes Jahr, als die Zahl der syrischen Kinder plötzlich in die Höhe schnellte, nachdem der Bund die Visabestimmungen für Angehörige von Syrern, die schon in der Schweiz lebten, vorübergehend gelockert hatte. 1644 minderjährige Syrer kamen 2014 in die Schweiz, dieses Jahr sind es erst 1035. Aus Afghanistan sind es heuer bereits 1129 und aus Eritrea 2741 Minderjährige.

Ein besonderes Problem aus Sicht der Kantone stellen die minderjährigen Jugendlichen dar, die nicht mehr über die Regelschulen integriert werden können. Bei den 16- bis 18-Jährigen ist die Zahl innert Jahresfrist von 1018 auf 1784 in die Höhe geschnellt: Das sind 75 Prozent mehr. Für sie stellen die Kantone zwar Brückenangebote zur Verfügung, doch kommen diese an den Anschlag. «Man klärt ab, ob hier gesamtschweizerische Massnahmen nötig sind», sagt Gabriela Fuchs, Sprecherin der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK).

Geplant ist ein Treffen zwischen SEM, EDK und Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation zu dieser Thematik. «Wir brauchen mehr Zuschüsse vom Bund», sagt Theo Ninck, Präsident der Schweizerischen Berufsbildungsämterkonferenz. Man müsse auch den Dialog mit der Wirtschaft suchen, damit diese genügend Lehrstellen und Praktika bereitstelle. Zudem müssten die Zugänge zu Gymnasien und Hochschulen einfacher werden, gebe es doch auch sehr gut gebildete junge Flüchtlinge.


Ninck stellt sich eine Triagestelle vor, die die Jugendlichen dem richtigen Bildungsweg zuweist, und ein Coaching für jene, die Mühe haben, Tritt zu fassen in der Schweiz. «Es ist wichtig, dass wir die jungen Menschen früh unterstützen und in die Arbeitswelt integrieren», sagt Ninck. Das erspare der Gesellschaft langfristig viele Kosten.

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