9. November 2015

Arbeitgeber-Präsident warnt vor Scheitern des Lehrplans 21

Der Widerstand gegen die Einführung des neuen Lehrplans wächst. Laut Hans Hess, Präsident von Swissmem, droht nichts weniger als eine Paralysierung der Volksschule.
Industrie warnt vor Scheitern des Lehrplans 21, Schweiz am Sonntag, 8.11. von Hans Hess


Im Herbst 2014 haben die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren den neuen für die Volksschule geltenden Lehrplan 21 (LP 21) freigegeben. Die Mehrheit der 21 beteiligten Kantone (AR, BL, BS, FR, LU, NW, OW, SG, SH, SO, TG und ZG) hat dessen Einführung bereits definitiv beschlossen. Die konkrete Umsetzung liegt nun in der Kompetenz der Kantone. In einigen Kantonen hat sich allerdings eine Bewegung formiert, die den LP 21 verhindern will. Im Kanton Aargau ist sogar eine Volksinitiative gegen den LP 21 zustande gekommen. Aus Sicht der Wirtschaft ist dies bedauerlich, denn der LP 21 bringt wichtige und zeitgemässe Verbesserungen. 

Die Volksschule muss die Schülerinnen und Schüler optimal auf den Einstieg ins Berufsleben oder in eine weiterführende Schule vorbereiten. Heute sind aber die erworbenen Kompetenzen der Volksschulabgänger, die aus verschiedenen Kantonen stammen, aufgrund der unterschiedlichen kantonalen Lehrpläne oft nicht klar erkennbar. An den Berufsfachschulen zeigen sich markante Unterschiede in der Vorbildung der Lernenden. Das erschwert nicht nur den nahtlosen Übergang von der Volksschule in die Berufslehre. Die Firmen und Berufsfachschulen sind häufig gezwungen, die Niveauunterschiede der Lernenden auszugleichen. 

Die gesteigerte Mobilität der Bevölkerung und der heutige Arbeitsmarkt verlangen, dass die Ausbildung in den Volksschulen nach einheitlichen Bildungszielen erfolgt. Auf dieser Basis können Berufsfachschulen und Betriebe aufbauen und eine effiziente Ausbildung betreiben. Zudem ist ein qualitativ hochstehender Berufs- und Bildungswahlprozess für alle Schüler von zentraler Bedeutung. Nur so können sie gemäss ihren Fähigkeiten, Eignungen und Neigungen auf den passenden Bildungsweg geführt werden. Ein grosses Bedürfnis der Wirtschaft ist im Weitern die Stärkung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). All diesen Anforderungen trägt der LP 21 angemessen Rechnung. Er bildet einen gesamtschweizerischen Referenzrahmen für die Volksschule. Er stärkt die MINT-Fächer. Und er sieht für die Berufswahl ein eigenes Gefäss vor. Es ist sehr wichtig, dass den jungen Menschen genügend Möglichkeiten gegeben werden, die verschiedenen Berufe kennen zu lernen. Aus all diesen Gründen ist die Einführung des LP 21 ein wichtiger und überfälliger Schritt. 

Der LP 21 legt gemeinsame Ausbildungsziele fest. Wie diese Ziele erreicht werden sollen, bleibt in der Kompetenz der Kantone. Die Ziele sind in Form von Kompetenzen definiert. Dabei liegt der Akzent nicht nur auf dem Wissen, sondern auch auf dessen Anwendung in verschiedenen Situationen. Die Schüler sollen befähigt werden, Probleme zu lösen und dabei Wissen und Können zu verknüpfen. Diese Ausrichtung ist praxis- und lebensnah. Gerade in der Berufsbildung hat sich die kompetenzbasierte Schulung bewährt, und im beruflichen Alltag gehört dieses Können zum täglichen Brot. 

Es ist bedauerlich, dass konservative Kreise diesen Schritt hin zu einer modernen Volksschule torpedieren wollen. Die zeitgemässe Weiterentwicklung der Volksschule droht damit um Jahre zurückgeworfen zu werden. Die Argumente der Gegner greifen zu kurz. Der LP 21 ist weder zu kompliziert noch zu vielschichtig. Die aktuell geltenden kantonalen Lehrpläne sind im Vergleich oft umfangreicher. Auch die Rolle der Lehrer wird nicht zurückgestuft. Bezüglich der didaktischen Methoden sind sie so frei wie bisher. Der LP 21 beinhaltet auch keine Vorschriften zum Fremdsprachenunterricht. Die Kantone entscheiden auch künftig selber, in welcher Klasse welche Sprache eingeführt werden soll. Und nicht zuletzt würden kantonale Alleingänge unnötig neue Kosten verursachen. Angesichts der Budgetdiskussionen im Bildungsbereich ist das ein Unsinn. 

Von den Befürwortern des LP 21 hört man derzeit sehr wenig. Ich hoffe, dass sie rechtzeitig aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Im Interesse der Schülerinnen und Schüler in den Volksschulen, aber auch der Unternehmen, die junge Menschen ausbilden, muss die Umsetzung des LP 21 in allen Deutschschweizer Kantonen sichergestellt werden. Wer das verhindern will, schadet in erster Linie den jungen Menschen in unserem Land. 

* Hans Hess ist Unternehmer und Präsident von Swissmem, dem Dachverband der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie. 

4 Kommentare:

  1. "Es ist bedauerlich, dass konservative Kreise diesen Schritt hin zu einer modernen Volksschule torpedieren wollen. Die zeitgemässe Weiterentwicklung der Volksschule droht damit um Jahre zurückgeworfen zu werden". Da gibt es Stimmen aus der Wirtschaft, die Hess klar widersprechen würden, z.B. Beat Kappeler http://schuleschweiz.blogspot.ch/search/label/Kappeler%20Beat

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  2. Mit dem Lehrplan 21 wird das „selbstorganisierte Lernen“ eingeführt und der Klassenunterricht durch den Lehrer abgeschafft. Was heute als „zeitgemässes Lernen“ verkauft wird, stammt aus der Reformpädagogik der 1920er Jahre und ist in den 1968ern als gescheitertes Chaos-Experiment „Summerhill“ berühmt-berüchtigt geworden.

    Der Lehrplan 21 erfüllt die berechtigten Forderungen der Lehrbetriebe nach einer genügenden Grundbildung in keiner Weise. Schon heute ist festzustellen, dass viele Jugendliche nach der Volksschule nicht ausreichend gerüstet sind, um eine Berufsausbildung oder eine weiterführende Schule absolvieren zu können.
    Warum ist das so?

    Ganz einfach: In vielen Kantonen wird in der Volksschule bereits mit Lehrmitteln auf der Basis des LP 21 gearbeitet, und an den Pädagogischen Hochschulen werden die Junglehrer darauf getrimmt. Dies geschieht ohne Diskussion mit der Bevölkerung. Den Schweizer Unternehmungen, den Berufsverbänden und den Gewerkschaften, welche die Erhaltung unserer guten dualen Berufsbildung sichern wollen, ist dringend zu empfehlen, einen Marschhalt einzufordern und eine Schule zu verlangen, in der die Kinder etwas lernen.

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  3. Herr Hess ist nicht gut informiert. Die öffentliche Diskussion, die Dank den Initiativen in Gang gekommen ist, bringt begründete Kritik aus allen politischen Richtungen auf. Das Problem des Lehrplans 21 besteht in der Ökonomisierung der Bildung - den damit eröffneten Möglichkeiten für profitorientierte Unternehmen, im öffentlichen Bildungswesen zu investieren. Deshalb auch die von der OECD vorgegebene Kompetenzorientierung und die für die Schule ungeeigneten Theorie des Konstruktivismus. Wie im Gesundheitswesen, werden die Kosten steigen und die menschliche Zuwendung bürokratisiert. Herr Hess könnte zusammen mit Kritikern und Befürwortern des Lehrplans 21 der Frage des Bonum Commune nachgehen. Ohne sich sachlich mit den Argumenten auseinanderzusetzen, kann gar nicht beurteilt werden, was der Zukunft der heranwachsenden Generation nützt. Nachdem bereits in 13 Kantonen demokratische Bestrebungen gegen den Lehrplan 21 laufen und in dreien davon schon Volksiniativen eingereicht wurden, wirkt die Stellungnahme von Herrn Hess unzeitgemäss.

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