Lehrplan 21: Aargauer Regierung malt Teufel an die Wand, Stellungnahme des Aargauer Komitees gegen den Lehrplan 21, 9.11.
Die
Motion Bodmer verlangt einen Ausgabenstopp für Vorarbeiten zum umstrittenen
Lehrplan, bis darüber mit der Initiative „Ja zu einer guten Bildung – Nein zum
Lehrplan 21“ abgestimmt worden ist. Damit wird eine bildungspolitische
Diskussion über die Einführung des LP21 keineswegs verhindert, wie die
Regierung schreibt. Die längst fällige, von der Deutschschweizer
Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) aber verhinderte offene Diskussion hat
überhaupt nichts zu tun mit der der Motion. Sie wird ohnehin im Vorfeld der
Abstimmung stattfinden, unabhängig davon, ob das Bildungsdepartement (BKS)
vorher Geld für den LP21 ausgibt oder nicht.
Mangels
Argumenten stellt die Regierung die Gegner des LP21 in die Ecke der
Ewiggestrigen. Sie bezeichnet den geführten Klassenunterricht als rückständig,
obwohl ihn die renommierte Hattie-Studie empfiehlt. Auch die Ergebnisse der
neuesten Fremdsprachenstudie werden nicht berücksichtigt. Schweizweit und unterstützt
vom Dachverband der Lehrerorganisationen (LCH) wächst nämlich der Widerstand
gegen zwei Fremdsprachen in der Primarschule. Dies bestätigt auch eine vor
kurzem durchgeführte Umfrage unter den Aargauer Primarlehrkräften. In Tat und
Wahrheit ist das BKS also bei der Beurteilung des LP21 nicht auf dem neuesten
Stand der Bildungsdiskussion. Würde man der Argumentation des Regierungsrates
folgen, müsste zum Beispiel der pädagogische Ansatz von Heinrich Pestalozzi
(Bildung mit Kopf, Herz und Hand) sofort aus allen Lehrbüchern verschwinden;
dessen Methoden und Gedanken zur Schulbildung stammen nämlich aus dem
vorvorletzten Jahrhundert.
Hingegen
muss sich gemäss Bildungsdirektor ein Lehrplan dem Zeitgeist anpassen, weil die
Schule unter starkem Einfluss von gesellschaftlichen Veränderungen und
Entwicklungen stehe. Dieser Satz offenbart wie kein anderer die pädagogische
Verwirrung im Hause BKS, weil er den kurzfristigen Gesellschaftswandel (auch
Zeitgeist genannt) über die Vermittlung einer umfassenden humanistischen
Bildung sowie solider Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen stellt.
Ausserdem wird damit offen zugegeben, dass die Schule mit
gesellschaftspolitischen Statements – in der Regel ideologisch begründet – in
die Erziehungshoheit der Eltern eingreifen soll.
Der
Vorwurf, die Initiative würde wichtige Fächer streichen, muss zurückgewiesen
werden. Im Gegenteil: Der LP21 schafft eigenständige Fächer wie Geschichte,
Geographie, Biologie, Chemie und Physik ab! Der vorgeschlagene neue
Gesetzestext ist keineswegs abschliessend. Die Regierung hat weiterhin die
Möglichkeit, neue Fachbereiche im Lehrplan einzubauen, wie dies schon immer
geschah.
Die
vom LP21 ultimativ verfügte Kompetenzorientierung muss grundsätzlich
hinterfragt werden, weil sie in Fachkreisen höchst umstritten ist. Kompetenzen
machen in der Berufsausbildung durchaus Sinn, nicht aber in der Volksschule,
deren gesetzliche Aufgaben in der Vermittlung einer breiten Allgemeinbildung
sowie der Beherrschung der Kulturtechniken liegt. Wie kommt die Regierung zur
Behauptung, allein der LP21 könne die Jugend auf die komplexe Zukunft
vorbereiten, und wer mit den Methoden des letzten Jahrhunderts bloss statisches
Schulwissen lerne, geriete auf dem Arbeitsmarkt ins Hintertreffen?
Der
LP21 erhebt die Methoden des selbstgesteuerten, selbstentdeckenden Lernens zum
Dogma. Die Individualisierung im Unterricht wird auf die Spitze getrieben,
wobei viele Kinder auf der Strecke bleiben. Zusammen mit der Abschaffung von
Jahreszielen (Lernziele werden nur noch alle drei bis vier Jahre definiert)
entstehen Leistungsunterschiede nicht nur innerhalb von Klassen, sondern auch
zwischen Gemeinden und Kantonen: ein organisiertes Chaos ohne
Chancengleichheit. Die Behauptung, der LP21 erfülle die Forderung des
Bildungsartikels nach Harmonisierung, ist damit ein Etikettenschwindel.
Der
Aargau bräuchte bei Ablehnung des LP21 keine eigenen Lehrmittel und keine
eigene Lehrerbildung. Es gibt viele bewährte Lehrmittel, auf welche
Lehrpersonen heute oft zurückgreifen, weil die neuen LP21-kompatiblen
unbrauchbar sind. Der Regierung ist vielleicht entgangen, dass im Kanton
Baselland nächstens zwei Initiativen zur Abstimmung kommen, welche die
Einführung des LP21 und die Einführung von Sammelfächern zum Thema haben. Eine
weitere will die Lehrerausbildung wieder vermehrt fachspezifisch ausrichten.
Auch die Pädagogische Hochschule in Zug bietet neu wieder eine Ausbildung zum
Allrounder an (eine Primarlehrperson für alle Fächer).
Das
Argument, durch die Initiative würden die Kosten steigen, ist ebenfalls eine
Verdrehung der Tatsachen. Die Einführung des LP 21 würde uns sehr teuer zu
stehen kommen. Nebst Kosten für Planung, Einführung, Weiterbildung, Lehrmittel
und unzählige teure Tests fallen viele Folgekosten an. Schon heute klagen
Eltern oft, dass die Kinder in der Schule sich selbst überlassen werden, weil
der Unterricht nicht mehr strukturiert und anleitend ist. Als Folge kritisieren
Lehrmeister, dass sie Basisstoff nachholen müssen. Diese Entwicklung würde mit
der Einführung des LP21 zementiert und hätte einen weiteren Bildungsabbau zur
Folge.
Diese
Beispiele – es gäbe noch viel mehr – zeigen deutlich, dass unser Regierungsrat
gut daran tät, den Blick vermehrt nach innen (in die Schulzimmer und ins BKS)
und nach aussen (über die Kantonsgrenzen hinaus) zu werfen. Mit seinem sturen
Festhalten am missratenen LP21 gefährdet er nur unser wichtigstes Gut, die
Bildung. Die Heerscharen von Bildungsbürokraten gehören endlich in die
Schranken gewiesen. Den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern aber wird geraten, im
Lehrplan 21 etwas Online zu schnuppern, um zu erfahren, was mit dem Machwerk
auf uns zu kommt.
Die
Abstimmung im Grossen Rat über die Motion Bodmer wird ein erstes Zeichen setzen
und hoffentlich einen sachlichen und ehrlichen Abstimmungskampf einleiten.
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