Lehrer in Sonderschulen könnten künftig anders als heute entlöhnt werden, Bild: Fotolia
Wer soll die Berner Sonderschulen künftig bezahlen? Berner Zeitung, 29.10. von Sandra Rutschi
Mit der
Sonderschulstrategie geht es weiterhin nur schleppend voran. 2016 wollte
Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) die Strategie eigentlich in die
Vernehmlassung schicken. Nun korrigiert er diesen Termin auf Frühjahr 2017 nach
hinten.
Dies,
obwohl der Grosse Rat bereits 2007 eine Motion überwies, wonach die gesamte
Bildung – auch die Sonderschulen für behinderte Kinder – in der
Erziehungsdirektion zusammenzufassen sei. Bis heute sind die Sonderschulen der
Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) angegliedert.
2010
verkündeten Pulver und Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP), die
Strategie nun anzupacken. Bis 2012 hätten sie die Schnittstellen zwischen
Kindergarten, Volksschule und Sonderschule optimieren, den Beitritt zum
Sonderpädagogikkonkordat prüfen und eine neue rechtliche Grundlage erarbeiten
wollen.
Anfangs
hatte Gesundheitsdirektor Perrenoud das Lead über das Projekt. In dieser Zeit
geschah wenig Konkretes. Letztes Jahr dann übernahm Pulver die Federführung.
Mit konkreten Vorschlägen führte er mit den Heimen drei Treffen durch und
versprach, nun vorwärtszumachen.
Lehrplan auch für
Behinderte
Trotzdem
dauert es also nochmals länger. Doch im Unterschied zu früher ist aus
Heimkreisen zu hören, dass es nun endlich vorwärtsgehe und die heissen Eisen
angepackt würden. Dass knifflige Fragen nun vertieft abgeklärt werden, wird
begrüsst – auch wenn es dafür etwas länger dauert.
Gewisse
Richtungsentscheide wurden gefällt – etwa, dass der Lehrplan künftig auch für
die Sonderschulen gelten soll. Es seien konkrete, besonders knifflige
Fragestellungen, deren Lösung mehr Zeit benötigten, erklärt der
Erziehungsdirektor.
Eine
davon hängt mit dem Lehrplan zusammen. Er werde zwar in dem Sinne übernommen,
dass den Kindern im Grundsatz die gleichen Themengebiete unterrichtet würden
wie in den Regelklassen. Bisher ist das nicht überall der Fall.
Das
Niveau müsse aber entsprechend angepasst werden, sodass zum Beispiel auch
geistig behinderte Kinder einen Nutzen aus dem Unterricht ziehen könnten, so
Pulver. Das geschehe weitgehend schon heute in den Sonderschulen so. «Doch im
Konkreten dürften sich noch einige Fragen stellen.»
Gilt
der Lehrplan auch für Sonderschüler, ist der Kanton künftig in der Pflicht, für
sie einen geeigneten Schulplatz zu finden. Heute sind dafür primär die Eltern
zuständig, was zu Schwierigkeiten führen kann (siehe weiter unten).
Eine
weitere Frage ist, ob die Lehrer vom Kanton nach Lehreranstellungsgesetz
angestellt werden. Heute sind sie von den Institutionen angestellt. «Hier geht
es vor allem darum, auszurechnen, was das kosten würde», sagt Pulver.
Ganz andere Finanzierung
Ganz
allgemein um die Finanzierung dreht sich die kniffligste Frage: Wie werden die
Sonderschulen künftig finanziert? Heute schliessen sie jährlich einen
Leistungsvertrag mit der GEF. Ihre Leistung wird pauschaliert vergütet.
Regelschulen
jedoch erhalten von der Erziehungsdirektion 70 Prozent ihrer Lohnkosten
erstattet, den Rest bezahlt die Standortgemeinde. Dies könnte künftig auch für
die Sonderschulen gelten. Aber: «Wer ist denn bei den Sonderschulen der
Partner, der diese 30 Prozent der Kosten übernehmen soll?», fragt sich Pulver.
Wenn
die Wohngemeinde eines Schülers dafür aufkommen müsse, bestehe die Gefahr, dass
die Gemeinde das Kind weiterhin in die Regelklasse schicke, auch wenn es in
einer Sonderschule besser aufgehoben wäre – weil dies die Gemeinde günstiger
kommt. «Das wäre ein falscher Anreiz zur Integration», sagt Pulver.
Eine
andere Möglichkeit wäre, dass die Gemeinden in ihrer Gesamtheit solidarisch die
restlichen 30 Prozent tragen würden. Die GEF würde wahrscheinlich wiederum die
Verwaltungs- und Infrastrukturkosten übernehmen, weil diese weiterhin für den
Heimteil der Sonderschulen zuständig wäre. «Vielleicht belassen wir die
Finanzierung aber auch ganz einfach so wie heute. Wir stehen in dieser
Diskussion noch ganz am Anfang», sagt Pulver. Den grösseren Institutionen käme
dies entgegen.
Grosse für Pauschale
Denn
sie arbeiten bereits heute unternehmerisch, wie das Beispiel der
Salome-Brunner-Stiftung mit ihren Sprachheilschulen in Wabern, Langenthal und
Biel zeigt. Sie setzen die von der GEF erhaltenen Pauschalen flexibel ein und
können Rücklagen bilden, um damit finanzielle Engpässe oder befristet
notwendige Mehrleistungen unkompliziert aufzufangen.
«Für
uns ist es wichtig, dass die Leistungen weiterhin mit Pauschalen abgegolten
werden», sagt Direktor Jürg Jakob, der auch den Verband Socialbern präsidiert.
Für andere Institutionen, die rein aus einer Schule bestünden, sei die andere
Finanzierungsart sicher praktikabel.
Eltern engagieren sich
für ihre autistischen Kinder
Für
Kinder mit einer Autismus-Spektrums-Störung ist es oft schwierig, einen
geeigneten Schulplatz zu finden. Meistens sind heute die Eltern gefordert, sich
um einen Platz in einer geeigneten Schule zu bemühen. Mit der neuen
Sonderschulstrategie soll sich das ändern.
Inzwischen
ergreifen betroffene Eltern jedoch selber die Initiative: Heute Donnerstag
gründen sie in Bern den Verein Autismus Bern.
Probleme bei Einschulung
Laut
der designierten Präsidentin des Vereins Manuela Kocher geht die Gründung auf
einen Aufruf der deutschsprachigen Sektion des Vereins «Autismus deutsche
Schweiz» zurück. Dieser suchte betroffene Eltern, die Einschulungsprobleme
hatten, damit der Austausch untereinander gefördert werden kann. Die Gruppe von
rund 20 Eltern traf sich regelmässig und beschloss nun, dass es mehr benötigt
als die Treffen.
Wie
Einschulungsprobleme aussehen können, hat Manuela Kocher bei ihrer heute
14-jährigen Tochter erfahren: Sie erhielt die Diagnose als 9-Jährige. Sie vor
der Diagnose in einer Regelklasse einzuschulen, war nicht möglich, da keine
Betreuungsstunden gesprochen waren. Für eine heilpädagogische Schule galt sie
jedoch kognitiv als zu stark.
Heute
besucht sie eine Regelklasse, doch «mit jedem Lehrerwechsel müssen wir wieder
von vorne anfangen und erklären, was ein Kind mit dieser Behinderung für
Rahmenbedingungen benötigt», erklärt Kocher. Sie weiss von betroffenen Eltern
mit jüngeren Kindern, dass es auch heute noch schwierig ist, einen Platz für
autistische Kinder zu finden. Die geplante Sonderschulstrategie würde die
Eltern diesbezüglich entlasten, ist sie überzeugt.
Der
Verein will sich für die Anliegen autistischer Kinder und Erwachsener
einsetzen. Die Einschulung ist davon nur ein Bereich. Es seien auch mehr
Abklärungsstellen nötig, zum Teil warte man Monate, bis man einen Termin
erhalte.
Dafür
sei vor allem die Ausbildung von geeigneten Ärzten und begleitendem
Fachpersonal nötig. «Dies alles ist kantonal geregelt, weshalb wir beschlossen,
einen kantonalen Verein zu gründen.»
Starke Zunahme
In
den letzten zehn Jahren nahm die Anzahl der Diagnose von Autismus frappant zu,
wie Zahlen der Erziehungsdirektion zeigen. 2005 wurden im Kanton Bern lediglich
3 Autisten verzeichnet.
2011
waren es bereits 285, aktuell sind es 541, wobei hier stark
Verhaltensauffällige mit einberechnet sind. Gerade die schwache Form des
Asperger-Syndroms wird häufig, heute aber nicht mehr separat diagnostiziert.
Auch in Fachkreisen spricht man deshalb immer wieder von einer Modediagnose.
«Es
gibt heute sicher bessere Abklärungsmöglichkeiten, und weil man sensibilisiert
ist, schaut man früher hin», sagt Manuela Kocher. Und das sei auch gut so: «Je
früher man diese Behinderung erkennt, umso besser kann man darauf reagieren und
den Betroffenen helfen, sich im Alltag zurechtzufinden.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen