19. Oktober 2015

Umstrittene Quoten für Migranten

Während in Deutschland die Forderung nach einer Quote für fremdsprachige Kinder aufkommt, ist das Thema in der Schweiz umstritten. Bildungsforscher Stefan Wolter begrüsst eine Quote für Migranten, die bei der Einschulung die Sprache nicht beherrschten. Gegenteiliger Ansicht sind Jürgen Oelkers und Beat Zemp vom LCH.










Deutsche Lehrer wollen die Zahl der Fremdsprachigen pro Klasse begrenzen - auch im Interesse der Migranten selbst. Bild: Gian Ehrenzeller
Lehrer wollen weniger Migranten in Schulklassen, 20 Minuten, 16.10. 


In Deutschland sollen Schulklassen nur noch einen gewissen Anteil von Migrantenkindern aufweisen dürfen. Mit seiner Forderung nach einer Quotenregelung will der deutsche Philologenverband die Integration fördern und einen Leistungsabbau an Schulen verhindern. «Schon wenn der Anteil von Kindern nicht deutscher Muttersprache bei 30 Prozent liegt, setzt ein Leistungsabfall ein. Dieser wird ab 50 Prozent dramatisch», sagte Verbandschef Heinz-Peter Meidinger zur «Neuen Osnabrücker Zeitung». Migranten selbst hätten den Wunsch nach gemischten Klassen geäussert, weil dies unter anderem den Spracherwerb fördere.
Deutschland wäre nicht das einzige Land in Europa mit einer entsprechenden Quote. 2010 entschied die italienische Regierung, dass in jeder Pflichtschulklasse nur noch maximal 30 Prozent der Schüler Ausländer sein dürfen.
In der Schweiz steigt der Anteil fremdsprachiger Schüler seit Jahren an. Laut Zahlen des Bundesamts für Statistik beträgt er gesamtschweizerisch knapp 30 Prozent, in der Region Zürich gar 40 Prozent. 2013 schrieb der «Tagesanzeiger», dass es an 80 der insgesamt 93 Schulen im Kanton Zürich Klassen mit mehr als 70 Prozent Fremdsprachigen gibt.

«Leistung ist unabhängig von Migrantenanteil»
Schweizer Bildungsexperten sind sich über die Einführung einer Ausländerregelung uneins. Stefan Wolter, Professor für Bildungsökonomie an der Uni Bern, würde eine Quote für Migranten, «die bei der Einschulung die Sprache nicht beherrschen», begrüssen. Der Bildungsökonom verweist auf eine eigene Studie, die zeige, dass die Leistung von fremdsprachigen Kindern bereits bei einem Migrantenanteil von 20 Prozent pro Klasse abnehme. «Eine Quote käme also vor allem den Fremdsprachigen zu Gute.» Ergebnisse der Pisa-Studie stützen die Aussage. Demnach gibt es keine Hinweise darauf, dass gute Schülerinnen und Schüler durch Migrantenkinder in ihrer Leistung behindert werden.
Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers hält die Quoten-Forderung darum für sinnlos. «Die Leistung einer Schulklasse hängt nicht allein vom Anteil der Migranten ab, sondern davon, wie bildungsnah respektive -fern die Kinder und deren Familien sind und wie stark sie zu Hause effektiv gefördert werden.» Auch Lehrer-Präsident Beat W. Zemp ist der Meinung, dass Migrantenkinder und auch Klassen, in die sie integriert werden, zu verschieden sind, um die Durchmischung mit einer starren Quote regeln zu können. «Ein junges Flüchtlingskind aus einer gut ausgebildeten Familie, die keine Kriegstraumata verarbeiten muss, kommt schneller in einer Schweizer Regelklasse zurecht als ein allein geflüchteter Teenager, der erleben musste, wie seine Eltern erschossen wurden und dann monatelang unterwegs war», so Zemp. Zweifel äussert er auch hinsichtlich der Umsetzung. «Das würde bedeuten, dass man Kinder mit Schulbussen in weit entfernte Schulhäuser fahren müsste, damit die Quote eingehalten werden könnte.»
Dass dies vor allem in der Agglomeration zum Problem werden könnte, gibt auch Stefan Wolter zu bedenken. Es sei sicher nicht sinnvoll, wenn Schüler aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden müssten. Dennoch ist er überzeugt: «In den Ballungsgebieten der Schweiz würden man die Schüler in einem Umkreis von ein bis zwei Kilometern in anderen Schulen unterbringen können.»
In Basel stand die Forderung nach einer Mindestquote für deutschsprechende Schüler schon einmal zur Debatte. Nur sehr knapp lehnte das Basler Parlament es vor zwei Jahren ab, den Ausländeranteil in Schulklassen zu beschränken.


1 Kommentar:

  1. Warum hält man sich bei uns nicht an das Volkschulgesetz? Dort ist alles gut geregelt: Es sieht zum Beispiel Aufnahmeklassen für Fremdsprachige vor. Diese Klassen sind nun aber offenbar der Ideologie der Total-Integration zum Opfer gefallen. Dies ist doch eigentlich ein Verstoss gegen das Volksschulgesetz und müsste von den Eltern benachteiligter Kinder eingeklagt werden können?

    Zürcher Volksschulgesetz (VSG)
    (vom 7. Februar 2005)

    §33 5 Besondere Klassen sind ausserhalb der Regelklassen geführte Lerngruppen. Zulässig sind Einschulungsklassen, Aufnahmeklassen für Fremdsprachige sowie Kleinklassen für Schülerinnen und Schüler mit besonders hohem Förderbedarf.

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