Die 2014 vom Zürcher Stimmvolk bewilligten zusätzlichen 100 Lehrerstellen für grosse und schwierige Klassen sind erst ab 2016 verfügbar. Politiker und Lehrer sind verärgert. Die Nachfrage sei bescheiden, rechtfertigt sich das Volksschulamt.
"Wir sind bis jetzt mit den budgetierten Poolstellen gut über die Runden gekommen", Bild Keystone
Verzögerung überrascht und irritiert, Landbote, 16.10. von Thomas Schraner
Bildungsdirektorin
Regine Aeppli (SP) freute sich am 30. November 2014 vor den Medien, als sie das
Ja des Volkes zum kantonsrätlichen Gegenvorschlag zur EVP- Klassengrösseninitiative
kommentierte. Die Emotion war politisch unkorrekt, weil die Regierung die
Nein-Parole gefasst hatte. Auf mehr Beachtung stiess Aepplis Aussage, die
Umsetzung der Vorlage sei problemlos. Die Befürworter, alle Parteien ausser SVP
und FDP, erwarteten deshalb, dass die Vorlage unverzüglich in Kraft gesetzt
werde. Wenn nicht gleich auf Anfang 2015, dann wenigstens auf den Beginn des
neuen Schuljahres im August.
Sie
täuschten sich – und reagierten irritiert und enttäuscht, als sie diese Woche
erstmals erfuhren, dass die Vorlage noch nicht in Kraft ist. Ab Beginn des
nächsten Jahres soll das der Fall sein, teilte Martin Wendelspiess, Chef des
Volksschulamtes, gestern auf Anfrage mit. Den Beschluss fasste die Regierung –
in neuer Zusammensetzung – bereits im Juni, kommunizierte ihn aber nicht aktiv,
weshalb niemand davon wusste.
«Ich
bin schon sehr erstaunt», sagt Sekundarlehrer und GLP-Kantonsrat Christoph
Ziegler, Gemeindepräsident in Elgg. Dass es nicht auf Anfang Jahr gereicht
habe, könne er nachvollziehen, aber er sei davon ausgegangen, dass die Vorlage
diesen August in Kraft getreten sei. Erstaunt zeigen sich auch SP-Kantonsrat
Moritz Spillmann, Gymilehrer und Präsident der Kommission Bildung und Kultur
(KBIK), sowie Johannes Zollinger, EVP-Kantonsrat und Schulpräsident in
Wädenswil. Sie alle und ebenso der Vizepräsident des Zürcher Lehrerverbandes
(ZLV), Kurt Willi, Lehrer in Wetzikon, lebten in der Annahme, die Vorlage sei
nun in Kraft.
Kosten
nicht im Budget
Wendelspiess
begründet den von der Regierung gewählten Termin so: Die Gemeinden und der
Kanton hätten zum Zeitpunkt der Abstimmung ihre Budgets bereits gemacht. Die
zusätzlichen Ausgaben, welche die Vorlage nach sich zieht, hätten deshalb nicht
eingeplant werden können – auch nicht, wenn man den August-Termin ins Auge
gefasst hätte.
Die
Kosten der Vorlage waren im Abstimmungskampf mit 15 Millionen Franken pro Jahr
beziffert worden. Diese fallen zu 80 Prozent bei den Gemeinden und zu 20
Prozent beim Kanton an. Die Mehrkosten entstehen, weil das Volk Ende November
2014 beschlossen hat, den bereits bestehenden Lehrerstellenpool um 100
Stellen aufzustocken. Der Pool soll neu also 260 Stellen umfassen statt 160 wie
heute. Die zusätzlichen Lehrkräfte sind gedacht als «Feuerwehr» für Gemeinden
mit grossen und schwierigen Klassen. Um darauf zugreifen zu können, müssen die
Gemeinden einen Antrag ans Volksschulamt stellen. Dieses bewilligt das Gesuch
oder lehnt es ab.
Nebst
den budgettechnischen Gründen führt Wendelspiess noch ein anderes Argument für
die Verzögerung ins Feld: «Wir stellen fest, dass die Nachfrage nach
zusätzlichen Vollzeitlehrerstellen zurzeit schwach ist.» Das hänge mit dem
Spardruck in den Gemeinden zusammen, die ja den Löwenanteil der Lehrerstellen
berappen müssen. Diese hätten sich zudem über die Jahre daran gewöhnt, mit den
regulär zugeteilten Vollzeitstellen auszukommen. «Wir sind bis jetzt mit den
bereits budgetierten regulären 160 Poolstellen gut über die Runden gekommen»,
sagt Wendelspiess.
Abgelehnte
Gesuche
Die
Aussage, wonach die Nachfrage schwach sein soll, lässt Sekundarlehrer Ziegler
aufhorchen. «Dann verstehe ich noch weniger, dass unser Gesuch abgelehnt worden
ist.» Die Gemeinde Elgg beantragte beim Volksschulamt eine zusätzliche
Lehrperson, um aufgrund der Schülerzahlen eine zusätzliche dritte Klasse führen
zu können. Mit einer für die Elgger Schulbehörden offenbar undurchsichtigen
Begründung sei der Antrag abgelehnt worden. «Dabei wäre der Pool doch genau für
solche Fälle wie bei uns gedacht», ärgert sich Ziegler. Jetzt muss man in Elgg
improvisieren. Für einige Fächer bildet man zwei grosse Klassen, für andere
drei.
Schulpräsident
Zollinger berichtet von einem ähnlichen Fall in seiner Gemeinde. Weil ein
Kindergarten ein hirnverletztes Kind zu betreuen hatte, habe man ein
Entlastungsgesuch gestellt. «Das Volksschulamt hat verständnisvoll reagiert und
den Bedarf für ausgewiesen beurteilt, aber dennoch eine abschlägige Antwort
erteilt.» Die Gemeinde hat die Assistenz trotzdem angestellt, muss sie nun aber
vollständig aus dem eigenen Sack bezahlen.
Dass
der Spardruck in den Gemeinden die Nachfrage nach Poolstellen tatsächlich
bremsen kann, zeigt sich in Winterthur. Einer stadträtlichen Antwort auf eine
parlamentarische Anfrage ist zu entnehmen, dass man in Winterthur aus
Kostengründen möglichst auf Poolstellen verzichten und sich mit
organisatorischen Massnahmen behelfen will. Das ist allerdings nur in grossen
Gemeinden mit vielen Schulklassen möglich. Kleine haben hier kaum Spielraum.
Die
Nachfrage nach Poolstellen könnte allenfalls durch Flüchtlingskinder verstärkt
werden. Laut Wendelspiess wäre das dann der Fall, wenn die Schweiz von einem
starken Flüchtlingsstrom erfasst würde. Die Flüchtlingskrise sei noch nicht
stark spürbar an den Zürcher Schulen. Das war während der Balkankrise Ende der
90er-Jahre anders. Der Kanton Zürich richtete damals eigens Flüchtlingsklassen
mit zweisprachigem Unterricht ein und rekrutierte entsprechende Lehrkräfte. Ein
solches Projekt wäre laut Wendelspiess heute schwieriger wegen der
Vielsprachigkeit. Der Grossteil der Flüchtlinge stammt aus Eritrea, Afghanistan
und Syrien. Lehrkräfte, die diese Sprache sprechen, wären zurzeit gar nicht
verfügbar.
Einheitliche
Kriterien
Das
Volksschulamt befasst sich derzeit damit, die Kriterien für die Bewilligung von
Poolstellen zu definieren, damit die Gesuche aus den Gemeinden einheitlich beurteilt
werden können. Die Kriterien sind laut Wendelspiess mit Schulbehörden und Schulleitungen
diskutiert worden. Geplant sei, die Schulen und Gemeinden direkt zu
informieren, wenn die 100 zusätzlichen Lehrerstellen zur Verfügung stehen.
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