Sändele, Liedchen singen, mit Holzklötzchen bauen, spielen – all das machte ich in den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkrieges im Kindergarten beim Erasmusplatz bei Fräulein Tanner. Sogar spielen durften wir nach Lust und Laune. So lieb war unser Fräulein.
Das einfühlsame Fräulein Pototzka, Online Reports, 19.10. von Peter Achten
Mit Blick auf die Enkelkinder frage ich mich manchmal, wie nur konnten wir mit einer verspielten Kindergartenzeit es jemals so weit bringen, Hochdeutsch, Rechnen und vieles anderes zu lernen. Die Enkel nämlich konnten schon vor Eintritt in die Primarschule lesen und schreiben und richtiges Deutsch.Als ich in die Primarschule Binningen am Holeerain – heute das Orts-Museum – eintrat, war mir Lesen und Schreiben fremd. Ebenso Hochdeutsch. Das brachte mir in zwei Jahren alles meine erste Lehrerin bei. Es waren die glücklichsten meiner insgesamt zwölf Schuljahre.
Primarlehrerin Pototzka sprach mit einem fremdländischen Akzent sowohl
Dialekt als auch Hochdeutsch. Sie war zwar konsequent und streng, vor allem sie
einfühlsam und lieb. Leider bekamen wir nach Fräulein Pototzka einen
Prügellehrer, dessen Namen ich auch nach über siebzig Jahren nicht nennen
möchte.
Seine Spezialität waren Prügel, von der Kopfnuss bis hin zur Tatze und
Schlägen auf Rücken und Hintern. Alles mit einem langen, hölzernen Lineal mit
Kupferkanten. Auch demütigte er Kinder vor der ganzen Klasse und lachte dabei.
Meine Eltern nahmen mich schliesslich nach wenigen Monaten aus der Prügelschule
und steckten mit in die private Primarschule Degen an der Austrasse.
Frau Degen, altmodisch immer in langem, schwarzem Gewand, unterrichtete
sechzehn Kinder von der ersten bis vierten Klasse an acht Pulten in einer
einzigen Stube. Dort lernte ich die ersten Gedichte und vor allem das
Einmaleins in- und auswendig. An der hölzernen Türeinfassung war das Einmaleins
mit Kreide notiert. Noch heute kann ich ohne zu stocken die 8er-, 17er- und die
24er-Reihe auf und runter sagen.
Ausser den Schulfächern lernten wir bei Frau Degen auch fürs Leben.
Toleranz zum Beispiel. Die Primarschule Degen lag nämlich nur dreissig Meter
neben dem koscheren Metzger, und jeweils nur mehrere hundert Meter nahe der
katholischen St.Marien-Kirche, der protestantischen Paulus-Kirche sowie der
Synagoge an der Eulerstrasse. Frau Degen thematisierte das mit Hilfe des
katholischen Pfarrers, des reformierten Pastors und des Rabbiners. Mehr kann
man in einer Primarschule nicht lernen.
Trotzdem: Die vierzehn christlichen Schüler der Primarschule Degen
beneideten ihre beiden jüdischen Mitschüler, die am Sabbat – damals ging man am
Samstag noch zur Schule – dem Unterricht fernbleiben durften.
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