1. Oktober 2015

Lehrplan 21 braucht breite Legitimation

Fritz Tschudi erklärt, warum es die Initiative zur Mitsprache des Volkes bei Lehrplänen braucht. 
Presseerklärung zur Lancierung der Volksinitiative, 1.10.


Im neuen Lehrplan 21 geht es nicht nur um den umstrittenen „Paradigmenwechsel“ vom bisher lernzielorientierten Unterricht zur sog. Kompetenzorientierung, sondern um den diskreten Umbau der Wertebasis für unsere Volksschule. Der tiefgreifende gesellschaftspolitische Richtungswechsel hätte frühzeitig und explizit kommuniziert werden müssen. Eine öffentliche Fundamentaldebatte darüber fand aber nie statt. Eine breite demokratische Legitimation für die Einführung eines neuen Lehrplans ist darum unerlässlich. Wir fordern, den Entscheid dem Grossen Rat zu übertragen und mit dem fakultativen Referendum gegebenenfalls das Stimmvolk zu befragen. Weiter fordert die Initiative inhaltbasierte Jahresziele in den einzelnen Fächern. Denn Kompetenzen erwachsen immer aus Lerninhalten, aber nicht umgekehrt. Kompetenzentwicklung wird also mit dem Primat inhaltlicher Lernziele keineswegs verhindert, sondern ganz im Gegenteil, ohne Umschweife wirksam und transparent gefördert! Alle mir bekannten Befunde aus Deutschland (mit 10 Jahren Kompetenzorientierung!) und den USA, fallen deutlich aus: Das Kompetenzkonzept gefährde das Bildungsniveau. Es widerspreche den Leitzielen eines demokratischen Bildungswesens, zersetze didaktisches und pädagogisches Denken und Handeln und behindere Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu mündigen Staatsbürgern. Dieses Lehrplankonzept ist auch deshalb fragwürdig, weil es bestehende Traditionen gefährdet und so die Entwurzelung unserer Schuljugend begünstigt. Der Lehrplan 21 führt zur Heranbildung des klaglos funktionierenden, angepassten, allein der ökonomischen Verwertbarkeit verpflichteten Menschen. Dass dieses Menschenbild kaum politische Mündigkeit fördert und damit den Weiterbestand unserer Demokratie gefährdet, liegt auf der Hand. Dennoch wird der neue Lehrplan unbeirrt durchgesetzt. Man darf sich schon fragen, wie es um die Ausrichtung unserer bildungspolitischen Verantwortungsträger steht, wenn wider besseres Wissen an einem sichtlich gescheiterten Konzept festhalten wird.

Die Durchsetzung des Lehrplans 21 erfordert einen grundlegenden Wandel des Unterrichtsverständnisses und der Lehrerrolle. Neu fungieren Lehrpersonen als „Lernbegleiter“ in einem „selbstgesteuerten“, den Kindern aufgezwungenen „selbstbestimmten“ Lernprozess (Konstruktivismus). Wo bislang Lehrerinnen und Lehrer als selbstverantwortlich und selbstbewusst Lehrende in einem strukturierten fachorientierten Unterricht wirken konnten, finden sich künftige Lehrpersonen als eng gehaltene Hilfskräfte wieder. Die Liebe zum Fach, als eine unverzichtbare Voraussetzung für die begeisternde Motivation der Kinder kommt zusehends abhanden. Die Orientierung an Sammelfächern gestattet inhaltliche Beliebigkeit. In ideologienahen Bereichen wie „Natur, Mensch, Gesellschaft“ ist ein Abgleiten in die Indoktrination ebenso wenig auszuschliessen wie Meinungsmache im Sinne der gerade aktuellen politischen Korrektheit. Hier die stichwortartige Auflistung einiger Mängel der neuen Bildungsdoktrin:
· Das Kompetenzkonzept ist wissenschaftlich ungeklärt.
· Es soll dazu dienen, „Bildung“ messbar zu machen.
· Kompetenzorientierung vernachlässigt die Inhalte und senkt das Bildungsniveau.
· Kompetenzorientierung ist Grundlage des sog. „selbstgesteuerten Lernens“.
· Kompetenzen zielen auf Anpassung.
· Die Durchsetzung des Kompetenzkonzepts zeigt Merkmale von Propaganda.
· Die OECD verfolgt eine Strategie kultureller Entwurzelung.
· Gesellschaftliche Folgen: Untergraben von Demokratie, Kultur und Wirtschaft.
· Die neue Bildungsdoktrin macht Bildung zur Ware, zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor durch Privatisierung.

Der neue Lehrplan ist im Wesentlichen das Ergebnis eines fraglichen politischen Kalküls, mit dem Ziel „Bildung“ zu standardisieren, zu messen unter Inkaufnahme der massiven Abwertung des Lehrerberufs. Ein pädagogischer Mehrwert ist nicht auszumachen. Der Lehrplan 21 ist, entgegen häufiger Behauptung, nicht die Erfüllung eines Verfassungsauftrags und darum keineswegs „unverzichtbar“. Im Bildungsartikel 62/4 der Bundesverfassung wird mit keinem Wort ein bestimmtes Lehrplankonzept gefordert. Ebenso wenig hat das Volk jemals Ja gesagt zum konstruktivistischen Unterricht mit dem faktischen Lehrverbot für alle Lehrpersonen. Zum Schluss noch dies: Ein fleissiger Propagandist dieser Glaubensrichtung ist der Schweizer Bildungsunternehmer Peter Fratton. Mitte 2013 liess dieser sich anlässlich einer Anhörung in einem deutschen Bundesland zur Äusserung hinreissen, dass er – bei Annahme seiner Empfehlungen - keine Ahnung habe, was dabei herauskomme: Aber schön falsch sei auch schön! Wen wundert‘s, dass die Deutschen auf weitere „wertvolle“ Anregungen des Sprücheklopfers umgehend verzichteten.

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