Trotz 351 Lektionen Französisch könnten ihre Kinder kaum einen Satz auf Französisch sprechen. Dies beklagen Eltern aus dem Kanton Bern. Für die Verantwortlichen kommt die Kritik zu früh und ist unseriös.
Seit der Einführung stark umstritten: Mille feuilles, Bild: Schulverlag Plus
Trotz 351 Lektionen keine Ahnung von Französisch, 20 Minuten, 13.10.
Beim Thema Frühfranzösisch scheiden
sich in der Schweiz die Geister. Jetzt meldet sich eine Gruppe zu Wort, die
sich bisher zurückgehalten hat. Eine Eltern-Gruppierung aus dem bernischen
Wilderswil beklagt sich über die Leistung ihrer Kinder. «Unsere Tochter hatte
bis dato 351 Lektionen Französischunterricht. Aber sie kann kaum einen Satz
bilden», sagt etwa Doris Graf Jud zur «Berner Zeitung».
Dabei betonen die Mütter, dass dieser
Umstand nicht an der Faulheit der Kinder liege. Auch seien sie keine schlechten
Schüler. Vielmehr sei die Unterrichtsart schuld. Während früher in erster Linie
Grammatik und Rechtschreibung gelehrt wurden, wird die Sprache den Kindern
heute auf spielerische Weise nähergebracht.
Lehrmittel realitätsfremd
Doch das ist den Wilderswilern ein
Dorn im Auge. Die Mehrheit der Eltern der 16 Siebtklässler wandte sich deshalb
jetzt mit einem Brief an die Erziehungsdirektion des Kantons Bern, wie die
Zeitung schreibt. Darin verdeutlichen sie, dass ihre Zöglinge nach vier Jahren
weniger Sprachkenntnisse hätten als Schüler von früher nach einem Jahr mit dem
Lehrmittel «Bonne Chance». Und weiter: «Unsere Kinder müssen Texte über die Raumfahrt
übersetzen. Sie können aber nicht einmal ein Verb konjugieren.»
Das neue Lernsystem, das den
Französischunterricht bereits ab der 3. statt ab der 5. Klasse vorsieht, aber
auch die Lehrmittel seien realitätsfremd und würden selbst gute Schüler überfordern,
beklagen die Eltern laut der Zeitung.
Lehrer verwenden zusätzlich eigene
Mittel
Ein Oberstufenlehrer bringt noch
weitere Ungereimtheiten ans Licht: Demnach würden die Lehrbücher zwischen der
Mittelstufe und der Sekundarstufe nicht übergangslos aufeinander aufbauen und
es gebe einen Bruch. Folglich würden von den Schülern in der 7. Klasse
Kenntnisse verlangt, die sie gar nicht hätten. «Wenn ich die Schüler nach dem
Massstab bewerte, den ich auf dieser Stufe anwenden müsste, dann bekommen sie
ungenügende Noten», sagt er zur Zeitung.
Unterstützung bekommen die Kritiker
vom Bieler GLP-Stadtrat Alain Pichard. «Ohne strukturellen Aufbau des
Wortschatzes und der Grammatik geht es nicht», sagt der Reallehrer. Doch gerade
Letztere werde im neuen Lehrmittel «Mille Feuilles» vernachlässigt. Der Verlag
habe zwar mittlerweile ein Zusatzbuch veröffentlicht, zusammen mit der
Basisausrüstung reisse das Frühfranzösisch so aber Löcher in die
Gemeindekassen. Pichard bleibt unzufrieden. Wie einige Wilderswiler Lehrer benutzt
er deshalb zusätzlich eigene Lehrmittel.
Nicht weniger, sondern anders
Peter Uhr, Projektleiter des
Schulverlags Plus, der «Mille Feuilles» herausgegeben hat, bezeichnet die
Kritik als «Behauptungen». Ein Urteil der Oberstufenlehrer nach wenigen Wochen
Unterricht mit der «Mille Feuilles»-Generation sei unseriös. Auch Franziska
Schwab, Leiterin Pädagogik beim bernischen Lehrerverband, warnt vor einem
verfrühten Urteil. Ähnlich fiel deshalb auch die Antwort der
Erziehungsdirektion aus. Die Eltern sollten den Kindern Sicherheit geben und
dem neuen Fremdsprachenunterricht gelassen begegnen. «Dann werden sie
entdecken, dass sie nicht weniger Französisch lernen als früher, sie lernen
einfach anders, und sie lernen andere Dinge.»
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