24. Oktober 2015

In Baselland brennt der Baum

Seit der Lancierung von zwei Volksinitiativen durch die 'Starke Schule Baselland' ist Feuer im Dach der Bildungspolitik im Halbkanton. Das Komitee 'Starke Schule Baselland' reagiert nun seinerseits auf den Brief der SP mit einem Schreiben ebenfalls an alle Sekundarlehrpersonen im Baselbiet.
Brief an alle Sekundarlehrpersonen, Starke Schule Baselland, 23.10.


Liebe Sekundarlehrpersonen
Die SP-Parteispitze verkennt ihre Verantwortung dafür, dass die letzten 20 Jahre Bildungspolitik unter ihrer Führung für die schwierige Situation an unseren Schulen verantwortlich ist. Folgend erlauben wir uns, Ihnen eine an das Co-Präsidium der SP gerichtete Reaktion einer Lehrperson weiterzuleiten.
Freundliche Grüsse
Saskia Olsson
Geschäftsleiterin Starke Schule BL

Alina Isler
Sekretariat Starke Schule BL
Michael Pedrazzi
Vorstand Starke Schule BL


«Sehr geehrte Frau Meschberger, sehr geehrter Herr Koller
Ihre Partei hat massiv an Rückhalt verloren innerhalb der Lehrerschaft u.a. wegen der Positionen, die sie auch in Ihrem Mail vertreten. Von daher täten Sie gut daran, tatsächlich offen zu sein für Anregungen von Lehrerseite, wie Sie es am Schluss Ihres Mails formulieren.

Ihre Aussage, wonach erneute Sparübungen für Sie nicht in Frage kämen, ist schöne Rhetorik ohne praktische Relevanz: Ihre Partei hat die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion an die FDP verloren, und im Landrat verfügt sie von insgesamt 90 Sitzen über 21 gegenüber 54 der Hauptvertreter des bürgerlichen Blocks. Es ermangelt Ihrer Partei folglich an Wirkungsmöglichkeiten und Stimmen, um Ihre Anliegen durchzusetzen. Dies ist nicht zuletzt die Folge der Entfremdung Ihrer Partei von der Basis.

Zu Beginn Ihres Schreibens behaupten Sie eine Verunglimpfung des Alt-Regierungsrates Urs Wüthrich seitens der "Starken Schule Baselland", um weiter unten die aktuelle Regierungsrätin, Monica Gschwind, zu verunglimpfen mittels der Unterstellung, sie sehe Bildung vor allem als Kostenfaktor. Damit entblössen Sie Ihre eigenen dem politischen Gegner unterstellten Methoden.

Unter Urs Wüthrichs Ägide wurden Lehrkräfte zu schweigenden Befehlsempfängern. Er machte den Eindruck eines zwar aus der Gewerkschaft kommenden, aber nun im hohen Elfenbeinturm sitzenden Ideologen ohne Bodenhaftung und Kontakt zur Basis, völlig unzugänglich für Anregungen. Sein Schreiben vom 1. September 2014 ans Lehrpersonal liest sich als unterschwellige Drohung insbesondere an die Adresse seiner Bildungs- und Reformpolitik gegenüber kritisch gesinnten Lehrerschaft. Es mutet auf diesem Hintergrund befremdend an, dass nun zwei Co-Präsidenten als Wüthrichs Parteigenossen sich ausgerechnet an die von ihm verschmähte Basis wenden, um sich für Rückmeldungen offen zu zeigen. Wo waren Sie bisher?

Es scheint, die SP weiss nicht, was sich an der Basis abspielt. Da werden Lehrkräfte von Schulleitungen eingeschüchtert und genötigt; da werden Tricksereien angewendet, um nicht genehme Lehrer wenige Jahre vor deren Pensionierung loszuwerden; da wird die von Urs Wüthrich als Anregung deklarierte pädagogische Kooperation als verbindlicher Bildungsauftrag durchgeboxt; da werden Schreiben von der Bildungsdirektion unterschlagen, weil sie die Schulleitungen dazu anhalten die Kollegien zu entlasten; da werden seitens diverser Schulleitungen ganze Kollegien auseinanderdividiert in kritisch und unkritisch usw. Schulräte wurden im neuen Schulgesetz aus den Klassenzimmern verbannt, wodurch sie sich nur noch mit den Schulleiterinnen und Schulleitern austauschen. Eine Aufsichtsbehörde für Schulleitungen, an die sich Lehrkräfte wenden könnten, gibt es folglich keine.

Es verwundert, dass Sie in Ihrem Schreiben hervorheben, Urs Wüthrich habe sich im Landrat für die Lehrerschaft und die Angestellten des Kantons eingesetzt. Was hätte er denn als sozialdemokratischer Bildungsdirektor und ehemaliger Gewerkschaftssekretär anderes tun sollen? Das ist doch das Mindeste, was man von ihm erwarten durfte. Was allerdings nutzte sein Einsatz in Anbetracht seiner Funktion als Durchlauferhitzer für die Reformindustrie?

Während der letzten Jahre entstanden rund ums Klassenzimmer neue Wirtschaftszweige bzw. Kostenstellen, die auf dem Buckel der öffentlichen Schulen und zu deren Nachteil ihre Geschäfte betreiben bzw. Kosten verursachen. Da ist die so genannte „Bildungswissenschaft“ zu nennen, die an Fachhochschulen in ständig schnellerem Rhythmus "neue" Unterrichtsmethoden, Schulkonzepte und -strukturen ausbrütet. Damit verbunden sind hoch dotierte Professuren, Assistenzen, Doktorate, Studienlehrgänge, Seminarien usw. Das Amt für Volksschule als nächster Akteur verarbeitet die erwähnten "Forschungsergebnisse" zu Schulreformen, wozu es u.a. personalintensive und kostspielige Arbeits- und Projektgruppen, Koordinations- und Stabsstellen schafft. Auf der Grundlage dieser im Wesentlichen immer wieder von neuem erfundenen alten Schläuche entwickelt die Verlagsindustrie neue und zunehmend teurer werdende Unterrichtsmaterialien, die vermehrt in den Schränken der Schulzimmer gebunkert, aber nicht zur Anwendung kommen wegen fehlender Praxistauglichkeit, siehe insbesondere http://www.starke-schule-baselland.ch/Initiative_Fremdsprachen/Passepartout.aspx. Als letzter Wirtschaftszweig agiert die Fortbildungsindustrie, die den Schulen ihre obligatorischen Weiterbildungskurse für die erwähnten Methoden, Konzepte und Schulbücher verkauft. Diesbezüglich stellen sich Fragen:

"Wie ist es möglich, dass sich eine einzige Beratungsfirma sprunghaft an die Spitze der Weiterbildungsindustrie setzen konnte? Wie lässt sich erklären, dass dieselbe Firma den Schulleitungen auch die entsprechenden Evaluationsinstrumente zur Verfügung stellt, mit welchen die korrekte Anwendung der von ihr vermarkteten Produkte überprüft werden soll? Weshalb investiert der Kanton so viel Geld in diese Produkte? Der Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz VSLCH macht auf seiner Website keinen Hehl daraus, dass er in Kooperation mit erwähnter Beratungsfirma Weiterbildungsseminare anbietet. Unter den Beraterinnen und Beratern finden sich Ex-Schulleiterinnen und -Schulleiter, welche an ihren ehemaligen Schulen die genannten Unterrichtskonzepte bereits zum Mass aller Dinge erklärt haben. Und ebendiese Schulen werden im Rahmen des vom Kanton finanzierten Projektes «Schulen besuchen Schulen» rege besucht." http://www.lvb.ch/docs/magazin/2014_2015/03-M%C3%A4rz/32_Sprachlabor_und_Fleischkaesewerkstatt_LVB_1415-03.pdf

Hätte sich Ihre Partei die letzten Jahre für die Redimensionierung der erwähnten vier Wirtschaftszweige und Kostenstellen und somit gegen das sich ständig schneller drehende Rad der Reformen eingesetzt, hätten wir heute kein Kostenplus im Bildungsbereich von 9.4% zu verzeichnen, sondern ein zweistelliges Minus. Dann hätten u.a. die Klassenzahlen und Pensen der Lehrkräfte nicht erhöht und die Altersentlastung nicht gestrichen werden müssen, was im Gegensatz der sich mittlerweile überschlagenden Reformen dem Schulbetrieb tatsächlich zugute käme. Auch wenn es als Argumentation schön daherkommt, nützt es der öffentlichen Schule und deren Kindern und Jugendlichen nichts, dass andere Departemente höhere Kostensteigerungen als der Bildungsbereich zu verzeichnen hat. Auch die zwar berechtigte Betonung der verfehlten rechtsbürgerlichen Steuerpolitik der letzten Jahre hilft da nicht weiter. Das ist Parteiengeplänkel und zeugt von Ihrer Ferne vom thematisierten Gegenstand.

Solange Ihre Partei die Reformhysterie als den richtigen Weg betrachtet, sind Sie eben nicht auf unserer Seite. Sie machen sich offensichtlich kein Bild vom starken Sukkurs, den das Komitee Starke Schule Baselland im Lehrpersonal geniesst. Kommen Sie an die Basis, machen Sie Umfragen, sprechen Sie mit den Lehrkräften und den Eltern, lösen Sie sich von Ideologie und Parteiendoktrin, beginnen Sie sich für den realen Schulalltag zu interessieren.

Machen Sie einen Schritt auf die Lehrerschaft, losgelöst von Parteipropaganda. Lösen Sie sich von der Vorstellung, Ihre bildungspolitischen Ideen liessen sich umsetzen. Darum geht es schon lange nicht mehr. Ihre Ideologie ist mittlerweile nicht mehr als ein lukratives Geschäftsmodell auf dem Buckel der öffentlichen Schule.»

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