Was früher
üblich war, ist heute die Ausnahme: Überforderte, schwache und langsame Schüler
müssen kaum mehr eine Klasse repetieren. «Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt,
dass eine Repetition mittelfristig meistens nichts bringt», sagt Sybille Bayard
von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich. Sie hat die Repetitionsquote in
der Zürcher Volksschule vom Kindergarten bis zur Oberstufe seit 2001 untersucht
und festgestellt, dass sich diese mehr als halbiert hat: von 2,8 Prozent auf
1,3 Prozent pro Jahr. Nimmt man nur die Regelschule ohne die besonderen
Klassen, sank die Quote von 1,6 auf 1,1 Prozent.
Die Klasse wiederholen war einmal, NZZaS, 25.10. von René Donzé
Dass heute die Kinder viel
seltener auf die «Ehrenrunde» geschickt werden, hat auch mit dem Trend zur
Integration zu tun. Im Kanton Zürich wurden Einschulungs-, Aufnahme- und
Kleinklassen weitgehend abgeschafft. «Die Heterogenität der Klassen hat dadurch
zugenommen», sagt Bayard. Heute versucht man, schwache Schüler mit Stütz- und
Fördermassnahmen in der angestammten Klasse zu halten, und passt bei Bedarf die
Lernziele an.
Repetition
selten sinnvoll
Bemerkenswert sind die
Zahlen auch, weil eine im Frühling präsentierte Langzeitstudie des Instituts
für Bildungsevaluation der Universität Zürich eine alarmierend hohe Quote von
18 Prozent Repetitionen im Verlaufe der Schulkarriere der 2003 Eingeschulten
festhielt. Nun zeigt sich: Für Kinder, die heute zur Schule gehen, dürfte der
Wert bis Ende Schulpflicht deutlich tiefer liegen. Das sei auch gut so, sagt
die Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands, Lilo Lätzsch: «Es gibt nur wenige
Fälle, in denen eine Repetition aus pädagogischer Sicht sinnvoll ist.» Schwache
Schüler müssten gefördert und nicht zurückversetzt werden, sagt sie. Urs Moser
vom Institut für Bildungsevaluation bestätigt: «Bezogen auf die messbare
Schulleistung ist das positiv zu werten.» Allerdings bedeute die Integration
für die Schule auch einen Zusatzaufwand.
Der Trend zu weniger
Repetitionen ist in den letzten Jahren auch in anderen Kantonen zu beobachten,
etwa in Basel, wo die Quote bei 1 Prozent liegt. Einen aktuellen Überblick über
die ganze Schweiz gibt es indes nicht. Die letzte Erhebung des Bundesamtes für
Statistik gibt für 1990 bis 2009 noch einen stabilen Durchschnitt an. Die
Unterschiede zwischen den Kantonen sind gross und reichen von 1,2 (ZG, AR, TI,
JU) bis 3,7 Prozent (VD).
Buben
sind langsamer
Jürg Brühlmann vom
Schweizer Lehrerverband (LCH) erwartet einen generellen Rückgang:
«Traditionelle Repetenten gibt es immer weniger. Auch der neue, flexiblere
Lehrplan 21 wird diesen Trend verstärken.» Ein allgemeines Verbot von
Repetitionen - wie es einige deutsche Bundesländer und Österreich planen - sei
aber nicht sinnvoll. «Als begründete pädagogische Einzelmassnahme soll eine
Klassenwiederholung oder längere Verweildauer weiterhin möglich sein, weil es
immer wieder gute Gründe und Beispiele dafür gibt, dass Kinder Lernrückstände
erfolgreich aufholen können», hält der LCH in einem Positionspapier fest.
Trotz den generell
rückläufigen Repetitionen im Kanton Zürich nehmen sie in einem Segment
augenfällig zu: Der Anteil der Knaben, die nach den obligatorischen zwei
Kindergartenjahren ein drittes Jahr anhängen müssen, hat sich von 1,6 auf 2,9
Prozent praktisch verdoppelt. Bei den Mädchen hat sich der Anteil nach einem
anfänglichen Anstieg wieder auf die ursprünglichen 1,5 Prozent reduziert.
Sybille Bayard vermutet,
dass dies mit dem Trend zur frühzeitigen Einschulung in den Kindergarten zu tun
hat. «Diese Zahl hat stark zugenommen», sagt Bayard. Seit 2006 ist es möglich,
auch Kinder in den Kindergarten zu schicken, die bis zu drei Monate zu jung
sind. Vermutlich seien einige von ihnen nach zwei Jahren Kindergarten noch
nicht reif genug für die Schule.
Das bestätigt Brigitte
Fleuti, Präsidentin des Verbands Kindergarten Zürich. Vor allem Buben seien
betroffen. «Sie brauchen tendenziell länger in ihrer Entwicklung als Mädchen.»
Fleuti befürchtet, dass diese Fälle noch zunehmen werden, da bis 2020 der Stichtag
für die Einschulung sukzessive von Ende April auf Ende Juli verlegt wird -
zwecks Harmonisierung des Eintrittsdatums in der ganzen Schweiz. «Tendenziell
wird es mehr überforderte Kinder im Kindergarten geben», sagt sie. Man würde
diese Kinder besser erst ein Jahr später einschulen, findet sie. «Doch das ist
vom Volksschulamt nicht erwünscht.»
Bis vor wenigen Jahren haben alle Lehrer ihre Schüler so unterrichtet, dass sie am Ende des Schuljahres das gemeinsame Klassenziel erreichen konnten, damit der Lehrerkollege in der nächsten Klasse mit seinem Stoff nahtlos fortfahren konnte. Damit konnte die für das Lernen optimale Homogenität der Jahrgangsklassen erreicht werden. Schüler, die dieses Ziel nicht erreicht haben, erhielten Gelegenheit in einem Repetitionsjahr ihre Lücken aufzuholen. Sehr vielen Schülern ist es mit diesem Zusatzjahr gelungen, den Anschluss wieder zu finden und ihre Schulzeit erfolgreich zu beenden.
AntwortenLöschenMit der Total-Integration und der bewussten Herbeiführung von Heterogenität durch weitgehende Abschaffung der im Volkschulgesetz vorgesehenen (!) Einschulungsklassen, Aufnahmeklassen für Fremdsprachige, Kleinklassen und Sonderschulen ist die Erreichung des Klassenziels für viele Schüler nicht mehr möglich. Die Lücken werden von Jahr zu Jahr grösser und bis Schulabgang verringern sich die Chancen für das Berufsleben teilweise dramatisch. Wenn Studien nun behaupten, dass Repetition (heute) nichts bringe, hängt das vermutlich damit zusammen, dass die Lücken durch das „Heterogenitätssystem“ so gross geworden sind, dass sie in einem Zusatzjahr nicht mehr aufgeholt werden können oder man glaubt, auf dem Buckel der schwachen Schüler Geld sparen zu können.
Es war einmal eine Schule, wo alle Schüler am Schulende lesen, schreiben und rechnen konnten.