Förderung durch des Lernen von Chinesisch im Appenzellerland, Bild: Keystone
Das "Stiefkind" Begabtenförderung, Bund, 23.9. von Meret Hasler
Eins bis zwei Prozent
aller Kinder in der Schweiz sind hochbegabt. In Bern sind das ungefähr 1000 bis
2000 Schülerinnen und Schüler. Der Kanton soll diese Kinder fördern – so
zumindest steht es im Gesetz. Doch in der Praxis harzt es. Und zwar derart,
dass der Kanton seit Anfang August seine Fördermittel halbiert hat. Nun stehen
jährlich noch 2,5 Millionen Franken für die Förderung hochbegabter Kinder
zur Verfügung. Der Entscheid der Erziehungsdirektion von Regierungsrat Bernhard
Pulver (Grüne) ist Teil des grossen Sparpakets ASP, das nun in diesem Bereich
umgesetzt wird. Für den Kanton war die Rechnung einfach: 55 Prozent des
bisherigen Budgets sind vorher ausgeschöpft worden. Also wurde die Hälfte
abgezwackt.
Lösungen
mit kleinem Aufwand
Tatsächlich
scheint sich ein Grossteil der Berner Gemeinden nicht für Begabtenförderung zu
interessieren. «Es liegt vieles brach», sagt Keren Wirz, Expertin für
Begabtenförderung. Die Gemeinden nutzten die dafür gesprochenen Gelder bisher
nicht vollumfänglich. «Die Begabtenförderung ist ein Stiefkind in Bern», sagt
Hansjürg Feuz, Lehrer für Begabtenförderung. «Es ist skandalös: Alle Gemeinden
sollten das Angebot der Begabtenförderung aufgleisen, aber bei weitem nicht
alle bemühen sich darum.» Und Franziska Zurbrügg, Lehrerin für
Begabtenförderung, sagt, Angebote für lernschwache Kinder hätten schon früher
bestanden, weshalb Gemeinden diese übernommen hätten. Die seit 2009 neu
dazugekommene Begabtenförderung sei dagegen oft untergegangen, oder man habe
Lösungen mit möglichst kleinem Aufwand gesucht. Es fehle, so Feuz, vielerorts
an Infrastruktur und am pädagogischen Willen. Begabtenförderung bedeute für
manche Lehrerinnen und Lehrer nur «mühsamer Mehraufwand».
Kritik
am Kanton
Doch
die Kritiker sehen nicht allein die Gemeinden und deren Schulleitungen als die
Verantwortliche. Vielmehr spielen sie den Ball an den Kanton zurück. Sie
monieren, dieser habe sich für das Thema zu wenig engagiert. Insbesondere habe
es der Kanton unterlassen, auch das nötige Lehrpersonal ausbilden zu lassen.
Dass
viele Gemeinden die zur Verfügung gestellten Gelder nicht vollumfänglich
nutzen, sieht Expertin Wirz primär in einem Mangel an «spezifisch ausgebildeten
Fachkräften» begründet: «Berns Gemeinden finden nicht genügend Lehrpersonen für
Begabtenförderung.» Das liege auch daran, dass der Kanton die teure Ausbildung
zur Lehrperson Begabtenförderung kaum finanziell unterstütze. Lehrerin Zurbrügg
sieht den Fachkräftemangel als Grund dafür, dass viele Gemeinden noch kein
ausgereiftes Integrationskonzept hätten (siehe Text unten). Beim bernischen
Lehrerverband (Lebe) tönt es ähnlich: «Wer Integration bestellt, muss auch die
Mittel bereitstellen», sagt Franziska Schwab, Leiterin Pädagogik.
Beim
Kanton hingegen sieht man die Situation weniger dramatisch. Zwar räumt Erwin
Sommer, Leiter des kantonalen Amts für Kindergarten, Volksschule und Beratung,
ein: Die Begabtenförderung stehe nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. «Sie ist
aufgrund der grossen Bandbreite an Herausforderungen im Kontext der Integration
etwas in den Hintergrund gerutscht», sagt er. Aber, so Sommer, letztlich fehle
auch das Interesse bei den betroffenen Schülern selbst: «Manche Hochbegabten
wollen die Angebote nicht nutzen – um nicht aufzufallen.» Und Gemeinden, in
denen es nun halt keine Hochbegabten gebe, müssten ja auch keine
Begabtenförderung anbieten. «Da bleiben die zur Verfügung gestellten Lektionen
zu Recht ungenutzt.»
Integration
fusst erst jetzt richtig
Ein
Befund, der auch in Gemeinden, die das Angebot kennen, teilweise bestätigt
wird. Im Oberstufenzentrum Hindelbank etwa besuchen neu zwei Schüler das
Angebot der Begabtenförderung. «Die Integration von Begabten fusst an der
Oberstufe erst jetzt richtig», sagt die Schulleiterin Christine Steiger. «Die
Umsetzung der Begabtenförderung musste sich langsam entwickeln.» Und Therese de
Bruin-Krebs, Schulinspektorin im Emmental, findet: Das nun reduzierte Budget
für die Begabtenförderung reiche noch immer aus.
Wo
genau also liegt das Problem? Bei den fehlenden Fachkräften? Den zu zögerlichen
Gemeinden? Beim mangelnden Geld? Für Schulleiterin Steiger ist klar: «Wir
können keine Begabten hinzaubern. In den letzten Jahren gab es einfach keinen
Bedarf.» Und Schulinspektorin de Bruin-Krebs sagt: «Wenn es in einer Gemeinde
tatsächlich keine Hochbegabten haben sollte, kann man natürlich keine finden.»
Passend zum Artikel erschien auch folgende Lesermeinung von Herbert Anneler:
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