Neue Methode ohne Grammatik, Wörtertests und Diktaten, Bild: Manu Friederich
Heftige Kritik am neuen Französisch-Unterricht, Bund, 12.9. von Adrian M. Moser
Wenn
Siebtklässler Französischunterricht erhalten, ist das längst kein
Frühfranzösisch mehr. Die Kritik, die viele Oberstufenlehrer nun äussern, hat
aber viel mit Frühfranzösisch zu tun.
Als vor vier Jahren
erstmals Drittklässler in Französisch unterrichtet wurden, war für Schüler wie
Lehrer alles neu. Zwei Jahre später kamen zum ersten Mal Lehrer mit
Frühfranzösisch in Berührung, die schon zuvor Französisch unterrichtet hatten.
Doch auch sie konnten ihre neuen Klassen nur mit solchen vergleichen, die zuvor
keinen Französischunterricht hatten. Inzwischen sind die ersten
«Frühfranzösisch-Kinder» in der Oberstufe angelangt – und treffen dort auf
Lehrer, die klare Erwartungen haben, was die Schüler bereits können sollten.
Hört man sich um, wird
bald klar: Die Erwartungen vieler werden nicht erfüllt. Die härtesten Urteile
fällen jene, die auch den Lehrplan 21 und die damit einhergehende neue Didaktik
ablehnen. So sagt etwa Alain Pichard, Reallehrer in Orpund und profilierter
Lehrplan-21-Gegner: «Die Schüler können nichts mehr. Es ist völlig chaotisch.»
Neue
Art, Sprache zu vermitteln
Als das Frühfranzösisch
vor vier Jahren im Rahmen des Projekts Passepartout eingeführt wurde, bedeutete
das weit mehr, als den Start des Französischunterrichts vom fünften auf das
dritte Schuljahr vorzuverlegen. Kern der Reform ist eine völlig neue Art, die
französische Sprache zu vermitteln. Die Kinder sollen die Fremdsprache
spielerisch entdecken, sollen sich «Strategien» aneignen, um schwierige Texte
zu «erschliessen». Grammatik und Rechtschreibung dagegen spielen in den ersten
Jahren kaum mehr eine Rolle.
Auch Philippe von
Escher, Französischlehrer am Oberstufenzentrum Worbboden in Worb, kritisiert
die neue Situation: «Für mich als Lehrer ist es schlimm, wenn Spez-Sek-Schüler
einfachste Sätze nicht verstehen.» Er sagt, die Schüler bekundeten grosse Mühe
beim Schreiben und könnten nicht einmal die wichtigsten Verben wie «être» und
«aller» konjugieren. «Das muss man jetzt alles aufholen», sagt er. «Da tauchen
schon riesige Fragezeichen auf.»
Keine
Wörtli- und Grammatiktests
Ein weiterer Punkt, an
dem sich die befragten Oberstufenlehrer stören: Sie wurden in der Weiterbildung
zum neuen Lehrmittel «Clin d’œil» angehalten, keine Diktate, Wörtli- und
Grammatiktests mehr durchzuführen. «Es ist mir egal, wenn das nun quasi
verboten ist», sagt von Escher. «Ich werde es trotzdem weiter tun, denn ich
will, dass Schülerinnen und Schüler eine Struktur erkennen.» Schüler bräuchten
Strukturen. Der «Bund» weiss von mehreren Schulen, deren Französischlehrer sich
an Elternabenden von der neuen Didaktik distanziert und angekündigt haben, von
den Vorgaben abzuweichen.
Erwin Sommer, Vorsteher
des kantonalen Amts für Kindergarten, Volksschule und Beratung, findet das
problematisch. «Damit verunsichern die Schulen die Eltern und die Schüler.»
Sommer sagt, Wörtli- und Grammatiktests seien keineswegs verboten, sondern
sollten im Unterricht lediglich einen geringeren Stellenwert haben als früher.
Dem steht der Inhalt eines Merkblatts entgegen, das die Schulen im vergangenen
Jahr als Vorinformation zum neuen Lehrmittel erhalten haben und das dem «Bund»
vorliegt. Darin stehen unter dem Titel «Was man nicht tun soll»: Dictées, Wörtlitests,
Grammatiktests.
«Dem
Projekt eine Chance geben»
Sommer wünscht sich,
dass die Oberstufenlehrer die Schüler «dort abholen, wo sie jetzt stehen». «Es ist
unfair, zu sagen, die Kinder könnten nichts mehr, und es ist unfair, ihre neuen
Stärken einfach auszublenden.» Die Erziehungsdirektion nehme das Thema aber
ernst und stehe mit der PH und dem Verlag, der das neue Lehrmittel
herausgegeben hat, in Kontakt, um Verbesserungen zu erzielen.
Die befragten Lehrer
reagieren unterschiedlich auf Sommers Einwand, die Schüler hätten neue Stärken.
Einige, unter ihnen Alain Pichard, haben keine solchen bemerkt. Andere hingegen
sagen, die Schüler hätten zum Beispiel viel weniger Angst vor schwierigen
Texten. Philippe von Escher sagt: «Die Kinder sind mutiger als früher.» Und er
schränkt gleich wieder ein: «Vor allem die guten.»
Beim bernischen
Lehrerverband (Lebe) weiss man von den Diskussionen um die neue Französisch-Didaktik.
Franziska Schwab, Leiterin Pädagogik, vertritt eine neutrale Position: «Wir
finden, dass man dem Projekt Passepartout eine Chance geben soll. Ein Fazit
können wir erst ziehen, wenn die erste Generation die neunte Klasse beendet
hat. Bis dahin ist es zu früh, einen erneuten Systemwechsel zu fordern.»
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