Acht Jahre lang hatten 200 Experten daran getüftelt, geschrieben
und geschraubt. Dann präsentierten sie der Schweiz das wahrscheinlich
aufwendigste Bildungspapier, das die Bevölkerung je gesehen hat. 557 Seiten
beinhaltete die erste Fassung des Lehrplans 21, satte 3123 Kompetenzen, welche
die Schüler im Lauf ihrer Schulkarriere zu erreichen haben. Bisherige Fächer
wie Biologie oder Geografie werden im neuen Pädagogik-Werk abgeschafft. An
ihrer Stelle sollen Sammelfächer wie «Natur, Mensch, Gesellschaft» unterrichtet
werden. Und anstatt sich in diesen Bereichen Wissen anzueignen, müssen die
Schüler über Kompetenzen verfügen. Will heissen: Nicht historisches Wissen zu den
Pfahlbauern oder zum Kolonialismus ist gefragt, sondern ob die Schüler
beispielsweise die Französische Revolution mit dem Syrienkrieg in Verbindung
bringen können.
Ein riesiger Stapel umstrittener Papiere, Basler Zeitung, 15.8. von Nina Jecker
Der
Aufschrei angesichts des gigantischen Werks, das die heutigen Bildungsziele
rigoros umkrempelt, war gross. Über 1000 Stellungnahmen waren eingegangen. Die
Lehrer kritisierten unter anderem den Umfang. Anstatt auf den gesunden
Menschenverstand zu setzen, würden sie von Pädagogen ohne jegliche
Praxiserfahrung gegängelt und es werde ihnen jedes Detail auf Hunderten Seiten
vorgeschrieben. Auch wurde Kritik am Bewertungssystem laut. Wie solle man als
Lehrperson denn überhaupt eine Kompetenz beurteilen, fragten sich viele.
Wissenschaftler ihrerseits befürchten eine ungenügende Wissensvermittlung. So
gaben beispielsweise Historiker zu bedenken, dass das Wegfallen des Fachs
Geschichte für einen späteren Studiengang in diese Richtung problematisch sei.
Viel Kritik kam auch von der SVP. Die Partei störte sich zusätzlich an
politisch aufgeladenen Begriffen wie etwa dem Wort «Gender».
Angesichts
des Widerstands wurde der Lehrplan nach der Präsentation noch einmal
überarbeitet. Anstatt auf 557 kommt er nun noch auf 470 Seiten daher. Auch die
Kompetenzstufen, auch Lernziele genannt, haben die Fachpersonen um fast 1000
Stück abgespeckt. Es verbleiben 2304 Kompetenzstufen, die die Schüler erlangen
sollen.
An
den Sammelfächern will man festhalten, es solle aber auch historisches Wissen
vermittelt werden, ist neu im Lehrplan festgeschrieben. Die Gegner liessen sich
vom leicht erschlankten Exemplar dennoch nicht überzeugen. Im Baselbiet kämpft
die Starke Schule Baselland weiter gegen den Lehrplan. Auch in anderen Kantonen
formierte sich der Widerstand. Der am meisten kritisierte Punkt «Kompetenzen
statt Inhalt» sei unverändert geblieben, tönt es aus dem gegnerischen Lager.
«Der Lehrplan ist generell unnötig», sagte die Zürcher SVP-Bildungspolitikerin
Anita Borer. Ihre Partei hat dazu aufgerufen, in den Kantonen den Lehrplan 21
mittels Volksinitiativen zu stoppen.
Erst
in neun Kantonen beschlossen
Und
tatsächlich scheint die Umsetzung der umstrittenen Vorlage nur zwei Tage vor
dem Start in Basel-Stadt vielerorts noch auf der Kippe zu stehen. Die meisten
Kantone planen die Einführung des Lehrplans 21 für das Schuljahr 2017/2018 oder
später. Erst in neun der 21 Deutschschweizer Kantone ist die Einführung
überhaupt sicher. In den anderen zwölf sei dies zwar in Planung, aber noch
nicht beschlossen.
In
einigen Kantonen wird sogar das Stimmvolk über den neuen Lehrplan abstimmen
dürfen. Dazu gehört beispielsweise der Kanton Aargau, der eine mögliche
Einführung bereits auf das Schuljahr 2020/2021 verschoben hat. Vor rund zwei
Monaten wurden die benötigten Unterschriften eingereicht. Auch im Kanton Schwyz
ist eine Initiative zustande gekommen, im Thurgau werden derzeit noch
Unterschriften gesammelt. Ob die Schwyzer tatsächlich an die Urne dürfen, ist
jedoch noch unklar. Die dortige Regierung hat dem Kantonsrat Ende Juni
beantragt, die Volksinitiative «Nein zum Lehrplan 21» für ungültig zu
erklären. Die Initiative stehe unter anderem im Widerspruch zur
Kantonsverfassung, so die Begründung.
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