15. August 2015

Viel Wirbel um den Lehrplan 21

Acht Jahre lang hatten 200 Experten daran getüftelt, geschrieben und geschraubt. Dann präsentierten sie der Schweiz das wahrscheinlich aufwendigste Bildungspapier, das die Bevölkerung je gesehen hat. 557 Seiten beinhaltete die erste Fassung des Lehrplans 21, satte 3123 Kompetenzen, welche die Schüler im Lauf ihrer Schulkarriere zu erreichen haben. Bisherige Fächer wie Biologie oder Geografie werden im neuen Pädagogik-Werk abgeschafft. An ihrer Stelle sollen Sammelfächer wie «Natur, Mensch, Gesellschaft» unterrichtet werden. Und anstatt sich in diesen Bereichen Wissen anzueignen, müssen die Schüler über Kompetenzen verfügen. Will heissen: Nicht historisches Wissen zu den Pfahlbauern oder zum Kolonialismus ist gefragt, sondern ob die Schüler beispielsweise die Französische Revolution mit dem Syrienkrieg in Verbindung bringen können.
Ein riesiger Stapel umstrittener Papiere, Basler Zeitung, 15.8. von Nina Jecker



Der Aufschrei angesichts des gigantischen Werks, das die heutigen Bildungsziele rigoros umkrempelt, war gross. Über 1000 Stellungnahmen waren eingegangen. Die Lehrer kritisierten unter anderem den Umfang. Anstatt auf den gesunden Menschenverstand zu setzen, würden sie von Pädagogen ohne jegliche Praxiserfahrung gegängelt und es werde ihnen jedes Detail auf Hunderten Seiten vorgeschrieben. Auch wurde Kritik am Bewertungssystem laut. Wie solle man als Lehrperson denn überhaupt eine Kompetenz beurteilen, fragten sich viele. Wissenschaftler ihrerseits befürchten eine ungenügende Wissensvermittlung. So gaben beispielsweise Historiker zu bedenken, dass das Wegfallen des Fachs Geschichte für einen späteren Studiengang in diese Richtung problematisch sei. Viel Kritik kam auch von der SVP. Die Partei störte sich zusätzlich an politisch aufgeladenen Begriffen wie etwa dem Wort «Gender».
Angesichts des Widerstands wurde der Lehrplan nach der Präsentation noch einmal überarbeitet. Anstatt auf 557 kommt er nun noch auf 470 Seiten daher. Auch die Kompetenzstufen, auch Lernziele genannt, haben die Fachpersonen um fast 1000 Stück abgespeckt. Es verbleiben 2304 Kompetenzstufen, die die Schüler erlangen sollen.
An den Sammelfächern will man festhalten, es solle aber auch historisches Wissen vermittelt werden, ist neu im Lehrplan festgeschrieben. Die Gegner liessen sich vom leicht erschlankten Exemplar dennoch nicht überzeugen. Im Baselbiet kämpft die Starke Schule Baselland weiter gegen den Lehrplan. Auch in anderen Kantonen formierte sich der Widerstand. Der am meisten kritisierte Punkt «Kompetenzen statt Inhalt» sei unverändert geblieben, tönt es aus dem gegnerischen Lager. «Der Lehrplan ist generell unnötig», sagte die Zürcher SVP-Bildungspolitikerin Anita Borer. Ihre Partei hat dazu aufgerufen, in den Kantonen den Lehrplan 21 mittels Volksinitiativen zu stoppen.

Erst in neun Kantonen beschlossen
Und tatsächlich scheint die Umsetzung der umstrittenen Vorlage nur zwei Tage vor dem Start in Basel-Stadt vielerorts noch auf der Kippe zu stehen. Die meisten Kantone planen die Einführung des Lehrplans 21 für das Schuljahr 2017/2018 oder später. Erst in neun der 21 Deutschschweizer Kantone ist die Einführung überhaupt sicher. In den anderen zwölf sei dies zwar in Planung, aber noch nicht beschlossen.
In einigen Kantonen wird sogar das Stimmvolk über den neuen Lehrplan abstimmen dürfen. Dazu gehört beispielsweise der Kanton Aargau, der eine mögliche Einführung bereits auf das Schuljahr 2020/2021 verschoben hat. Vor rund zwei Monaten wurden die benötigten Unterschriften eingereicht. Auch im Kanton Schwyz ist eine Initiative zustande gekommen, im Thurgau werden derzeit noch Unterschriften gesammelt. Ob die Schwyzer tatsächlich an die Urne dürfen, ist jedoch noch unklar. Die dortige Regierung hat dem Kantonsrat Ende Juni beantragt, die Volks­initiative «Nein zum Lehrplan 21» für ungültig zu erklären. Die Initiative stehe unter anderem im Widerspruch zur Kantonsverfassung, so die Begründung.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen