Grafik: Sonntagszeitung
Hyperaktive Reformer, zornige Widerstandsgruppen, Sonntagszeitung, 16.8. von Nadja Pastega
Der Protest gegen den
Lehrplan 21 weitet sich aus. Auch im Kanton Bern haben jetzt besorgte Eltern
eine Widerstandsgruppe gebildet, um das umstrittene Regelwerk zu bodigen. Ihr
Name: Interessengemeinschaft für eine starke Volksschule im Kanton Bern. Die IG
sei «eine Bürgerbewegung aus Müttern, Vätern und Lehrern», sagt
Gründungsmitglied Rahel Gafner. Ziel: «Wir wollen den Lehrplan 21 verhindern.»
Dazu soll «eine
breite Diskussion in der Bevölkerung» angestossen werden, anschliessend werde
«eine Volksinitiative» lanciert. Damit wird der Lehrplan bereits in 13 von 21
Deutschschweizer Kantonen mit Volksinitiativen bekämpft.
«Die Hyperaktivität
bei den Reformen ist kontraproduktiv», sagt der Zürcher Schulpsychologe Roland
Käser, ehemaliger Direktor des Instituts für Angewandte Psychologie. «Jeder
Versuch war eine Verschlimmbesserung und brachte mehr Arbeit und Komplexität.
Es braucht jetzt ein Moratorium von Schulreformen.»
Die Berner IG will
den Bieler Lehrer und GLP-Stadtrat Alain Pichard an Bord holen. Er war Initiant
des lehrplankritischen Memorandums «550 gegen550», das von über 1000 Lehrern
unterzeichnet wurde. «Ich wurde angefragt, ob ich beim Unterstützungskomitee
für die Initiative mitmache», bestätigt Pichard, «ich prüfe das.» Der Lehrplan
21 werde «von einer rigorosen Bildungsbürokratie top-down und ohne jegliche
Diskussion durchgesetzt – dagegen muss man vorgehen.» Auch im Kanton Bern werde
es «mit Sicherheit zu einer Initiative kommen».
Das ist ein «fragwürdiges Demokratieverständnis»
Die Kritik der Berner
Gruppierung richtet sich gegen die neue Pädagogik, die mit dem Lehrplan 21
Einzug in die Klassenzimmer hält. Dazu gehören das «selbst organisierte Lernen»
der Kinder, die «Abwertung der Lehrperson zum Lerncoach» und die
Kompetenzorientierung des Lehrplans. Das heisst: Statt konkreter Lerninhalte
listet er 1095 Grundansprüche und 363 Kompetenzen auf. Die Schüler lernen zum
Beispiel nicht mehr geschichtliche Fakten zu einzelnen Epochen, sondern müssen
etwa den Syrienkrieg in Beziehung zur Französischen Revolution setzen können.
«Dieses Konzept ist in Deutschland und den USA bereits gescheitert», sagt Rahel
Gafner. Ende August wird die parteipolitisch unabhängige Gruppierung mit einer
Veranstaltung zu den Schulreformen erstmals an die Öffentlichkeit treten.
Auch in anderen
Kantonen bekommt der Protest Schub. Widerstand formiert sich in Schaffhausen
und Zug, wo neu ebenfalls Volksinitiativen vorbereitet werden. «Der
Unterschriftenbogen ist praktisch fertig, wir reichen den Initiativtext
demnächst zur Vorprüfung ein», bestätigt SVPKantonsrat Mariano Fioretti,
Mitinitiant der Schaffhauser Initiative. Forderung: «Der Lehrplan muss vors
Volk!»
Im Kanton Zug bereitet die Gruppierung Gute
Schule Zug eine Volksinitiative vor. «Start ist voraussichtlich im September
oder Oktober», sagt Mitinitiant und Kantonsrat Willi Vollenweider. «Der
Lehrplan bringt massive Änderungen mit sich – es ist inakzeptabel, dass er ohne
Diskussion und Mitsprache durchgedrückt wird.»
Quer durch die
Schweiz wird der Lehrplan mit Initiativen bekämpft – von Baselland über
Solothurn, Zürich, Luzern, Aargau, St.Gallen, Thurgau bis Appenzell Innerrhoden.
In Graubünden wollen die Initianten ein Volksbegehren gegen den Lehrplan nach
Möglichkeit Ende August zur Vorprüfung einreichen. Im Kanton Schwyz ist die
Initiative «Stopp dem Lehrplan 21» bereits eingereicht. Der Schwyzer
Regierungsrat will, dass sie der Kantonsrat für ungültig erklärt. Die
Bevölkerung sei bei diesem Thema nicht zur Mitsprache berechtigt. Nach Angaben
des Bildungsdepartements wird sich der Kantonsrat am 21.Oktober oder 18.
November damit befassen. «Das zeugt von einem fragwürdigen Demokratieverständnis»,
sagt Initiantin Irene Herzog.
Für Lehrplankritiker
Alain Pichard kommt der breite Widerstand nicht überraschend. Die Schweizer
Stimmbevölkerung habe 2006 zwar Ja gesagt zur Harmonisierung der Schulen, doch
der Lehrplan 21 gehe «weit darüber hinaus». Das gelte etwa für die Einführung
der neuen Frühsprachendidaktik des Frühfranzösisch und die
Kompetenzorientierung, kritisiert Pichard: «Der ursprüngliche
Harmonisierungsauftrag, dem das Volk zugestimmt habe, ist in flagranter Weise
zu einem generellen Freipass umgedeutet worden.»
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