Die Bildungsverantwortlichen
in den kantonalen Erziehungsdirektionen haben es während Jahren versäumt, ihre mündigen
Lehrerinnen und Lehrer mit stichhaltigen und einsichtigen Argumenten von der Überlegenheit
des neuen Lehrplans 21 zu überzeugen. Die unentwegt behauptete Unverzichtbarkeit
der Kompetenzorientierung bleibt für viele aufgeklärte Lehrpersonen dubios. Lapidare
Erklärungsversuche zeugen von der despektierlichen Haltung gegenüber dem
Intellekt der Lehrerschaft.
Matthias Burchardt: "Lehrer sollen mental umprogrammiert werden", Bild: Bildung-Wissen.eu
Wie mit "Change Management" kritische Lehrerkollegen auf Linie gebracht werden sollen, von Fritz Tschudi, 10.8.
In
Wahrheit pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Die Kompetenzorientierung hat
sich weder bei Lehrplänen noch im entsprechenden Unterricht bewährt. Alarmierende
Signale, vor allem aus Deutschland, sind für Interessierte zwar nicht zu überhören,
trotzdem nehmen unseren Medien keine Notiz davon und selbst der LCH verzichtet
aus naheliegenden Gründen auf dieses Thema.
Die
Reformrhetoriker werden trotz allem nicht müde, unentwegt das gleiche zu
proklamieren, dass nämlich keine Reform gegen den Willen der Lehrerschaft möglich
sei und dass kein Weg an der Kompetenzorientierung vorbei führe. Allerdings
deutet vieles darauf hin, dass gerade die Umsetzung des LP21 zum Musterbeispiel
für eine faktisch erzwungene Massnahme werden könnte. Wie kann aber ein
drohendes Desaster am ehesten vermieden werden?- Ganz einfach: Man mache Böcke
zu Gärtnern! – Das ist ein wesentliches
Element des „Change Management“.
Matthias
Burchardt, Akademischer Rat am
Institut für Bildungsphilosophie der Universität Köln, nimmt in einem Interview unter dem Titel Change, Reform und Wandel
u.a. zu diesem Thema Stellung, welchem der folgende Auszug
entnommen ist.
(Hervorhebungen F. Tschudi)
„Change Management bedeutet, dass die beteiligten Menschen - also Mitarbeiter
eines Unternehmens oder ein Lehrerkollegium - mit Psychotechniken mental
umprogrammiert werden sollen, so dass sie Dinge, die sie möglicherweise aus
guten Gründen ablehnen, nicht nur akzeptieren, sondern sich sogar zu eigen
machen und anschliessend selbst mit vorantreiben. Die Change-Agenten wenden
sich dabei nicht an den anderen Menschen als eine freie und urteilsfähige
Person, sondern unterlaufen geschickt dessen Freiheit und Urteilskraft - eine
klare Verletzung der Menschenwürde.
Im
äusserst sehenswerten Film "Work hard - Play
hard"
von Carmen Losmann verkündet eine DHL-Führungskraft, sie wolle Mitarbeiter
verändern und ihnen den Change in die DNA einschreiben. Tatsächlich geht es um
die Einpflanzung von Eigenschaften, Sicht- und Handlungsweisen. Ein gewaltiges
Umerziehungsprogramm, wenn man so will. Im Hintergrund stehen dabei die
Erkenntnisse aus der Gruppendynamik von Kurt Lewin, der festgestellt hatte,
dass die Veränderung von Personen besser gelingt, wenn sie nicht von einer
sichtbaren Autorität angestossen wird, sondern durch subtilen weil unsichtbaren
Gruppendruck erzeugt wird.
Lewin unterscheidet 3 Phasen des
Change: Zunächst muss die Integrität der Personen aufgebrochen werden, damit
sie bereit sind, sich zu verändern. "Unfreezing" nennt er das. Danach
werden die neuen Konzepte etabliert, also der "Change" im engeren
Sinne. Und schliesslich werden diese Muster verfestigt, damit der Change auch nachhaltig
ist. "Refreezing" heisst das dann.
Hätten Sie vielleicht ein konkretes
Beispiel parat?
Ja, ich komme einfach auf die
Schweiz, die ich kürzlich bereist habe, zurück. Aufschlussreich ist hier vor
allem ein Dokument, das man als eine Art Leitfaden von offizieller Stelle
entnehmen kann, wie man zögerliche oder widerspenstige Kollegien im Kanton
Thurgau auf die Linie des "Lehrplan" 21 bringen will.
Als erster Schritt der Auftau-Phase
wird dabei angeraten, den Leidensdruck unter den Lehrern zu erhöhen -
"Ziele so anspruchsvoll setzen, dass sie mit bisherigem Verhalten nicht
erreicht werden können." - und "Das 'Schön-Wetter-Gerede' (zu)
unterbinden (Alles ist doch bestens …)". Dann soll ein neues Führungsteam
entwickelt und installiert werden, eine Koalition der Willigen, wenn man so will:
"Zusammenstellen einer Koalition, die den Wandel verwirklichen kann. Die
richtigen Leute auswählen, die richtigen Leute für die Zukunft (nicht der
Vergangenheit)." Und in dieser
Dynamik aus Druck und Propaganda wird als Zielsetzung ausgegeben: "Lehrerinnen
und Lehrer begeistern sich für den Lehrplan 21 und setzen ihn um“, wobei als Konfliktpotential ausgewiesen wird:
"Die über 50-jährigen Lehrpersonen gewöhnen sich an nichts Neues."
Als wäre die Transformation einer Schulkultur eine Sache von Gewöhnung und
nicht des politischen Diskurses, der niemanden ausschliessen darf.
Die skizzierten Strategien der
Organisationsentwicklung durch Change Management dürften vielen Lehrern und
Hochschulkollegen bekannt vorkommen. Insbesondere bei der Durchsetzung des Bologna-Prozesses
sind auf diese Weise vielfältig Strukturen, Prozeduren und Personen verändert
worden. Und viele der Kritiker sind bis
heute kaltgestellt als Leute der Vergangenheit.
Burchardt: Mir geht es nicht darum, Ohnmachtsgefühle auszulösen. Davon profitieren
nur die selbsternannten Reformer! Sobald ich aber die Strategien und Ziele
verstehe, haben die Change-Profis aber keine uneingeschränkte Macht mehr über
mich. Wenn ich weiss, dass im Bücherregal
der Schulleitung Bücher zum
Change im Lehrerkollegium stehen, kann ich die
Angriffe auf die Schuldemokratie frühzeitig erkennen und abwehren.“ (Ende Auszug)
Es bleibt zu hoffen, dass die Lehrpersonen Indoktrinationsversuchen
aus den eigenen Reihen nicht allzu leicht erliegen. Überzeugungen, welche auf
dem Boden der Erfahrung und guter Argumente gewachsen sind, bilden als Teil der
Persönlichkeit eine sinngebende Schranke, welche nicht respektlos
niedergerissen werden darf – auch nicht auf Befehl von oben! Begeisterten Agitatoren
ist es selbstverständlich unbenommen, ihre Überzeugungen im eigenen Unterricht umzusetzen
und sich darüber nach Belieben austauschen. Was die gezielte Beeinflussung der Kolleginnen
und Kollegen im Sinne des Change Managements betrifft, müssten aber zumindest
die Warnlampen aufleuchten. Es sei daran erinnert, dass es einzig die Praktiker
an der Schulfront sind, welche Erfolge vorzeigen müssen und Misserfolge zu
rechtfertigen haben. Die Konstrukteure des Lehrplans 21 haften dagegen in
keiner Weise für ihr „Produkt“. Die möglichen Versager stehen mit oder ohne
Change von vornherein fest.
Burchardt: „Entscheidend dabei ist, dass sich das
Kollegium nicht spalten lässt und selbst auf die Verfahrenshoheit achtet. Denn
nur eine Stärkung der demokratischen Kultur kann diesen Tendenzen etwas
entgegensetzen. Ich bin im Grunde sehr optimistisch, weil die Menschen
glücklicherweise aus dem politischen Schlummer aufwachen und zunehmend Erfolge
durch politisches Engagement zu feiern sind.“
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