13. Juli 2015

Ohne Autorität geht es nicht

Die Methode des Schulunterrichts ist weniger wichtig als der Mensch hinter dem Lehrerpult.




Wie viel Autorität darf und soll es im Schulzimmer haben? Bild: Reto Oeschger


Ohne gute Autorität geht es nicht, Tages Anzeiger, 12.7. von Alexandra Kedves



Hatten Sie auch so einen Lehrer? Einen, der in seiner allerersten Stunde stramm ins Klassenzimmer marschierte, seine Bücher aufs Lehrerpult knallte wie einen Tusch und dann, so zur Eingewöhnung, mal eben jeden Einzelnen vor der ganzen Klasse eine Aufgabe lösen und sein persönliches Waterloo erleben liess?
Bei uns wars der Lateinlehrer. Er kam über uns wie ein Orkan – und sollte sich doch mit der Zeit als einer der besten Lehrer überhaupt entpuppen: streng, exakt, fordernd; nie die Zügel aus der Hand gebend, mit bissiger Ironie jeden Schülertrotz zermalmend, aber dennoch fair; stets auf Zack, immer jeden Schüler im Blick behaltend – und gerade dadurch total motivierend. Es war ihm nicht egal, ob man die Konjugationen konnte oder den Seneca-Brief verstand. Er sammelte lateinische Sinnsprüche, wir mussten sie alle auswendig lernen, da war er gnadenlos (ich nerve meine eigenen Kinder heute noch mit den Sentenzen). Als es dann, ein paar Jahre nach dem knallharten Kaltstart mit diesem Lehrer, zur Profilwahl kam, entschied sich ein grosser Teil meiner Klasse für – Latein. Denn man wusste, dass der Orkan der Lehrer sein würde.
Das Lehren lieben
Eben dies scheint ob der wilden Spekulationen rund um den Erfolg und Niedergang finnischer Schülerleistungen in den Pisa-Studien – Spekulationen, die etliche soziologische Faktoren ausser acht lassen – gern vergessen zu gehen: dass der Lehrerberuf nach einer Art Künstlerberufung verlangt; sprich, dass die Methode weniger entscheidend ist als der Mensch, der sie umsetzt. Dass es grundsätzlich beim Lehren zu einem nicht geringen Teil um Beziehung geht. Oder, um mal ein grosses Wort zu verwenden: um Liebe (die nicht als pädagogischer Eros à la Odenwaldschule missverstanden werden darf). Um die Liebe zum Fach, aber noch wichtiger: um die Liebe zum Lehren, also dazu, Schülern zu Aha-Erlebnissen zu verhelfen und sie nicht allein zu lassen mit einem Wust an Wissen.
Der 2011 verstorbene, renommierte deutsche Pädagoge Wolfgang Bergmann sprach hier von «guter Autorität» – in Abgrenzung zu einer schwarzen, strafenden, das Kind erniedrigenden Pädagogik, die damit operiert, dem Kind seine Defizite vorzuführen (dass dieser Stil Abwehr und Lernblockaden verursacht, ist bekannt, wenn auch offenbar noch nicht allen schweizerischen Schulzimmern). Aber die «gute Autorität» steht auch im Unterschied zu einem führungslosen, wurstigen Laissez-faire, wo beispielsweise in wenig effektiver Gruppenarbeit Referate auf Minimalniveau zusammengeschustert werden, die dann als Lehrstoff für alle durchgehen müssen – die Vermittlungsleistung der Lehrperson bewegt sich in solchen Fällen gegen null.
Anspruchsvolle Autorität
Ohne die «gute Autorität» gibt es Schwierigkeiten im Klassenzimmer. Sie kann mütterliche Züge tragen, libertäre oder auch scharfzüngig-intellektuelle – aber ohne sie geht es nicht. Gerade die völlig zu Recht geforderte «kognitive Aktivierung» der Schüler, ihre Einbindung, ihr Mitdenken nach der sokratischen Hebammenmethode erreicht man ohne diese Autorität kaum. Auch und besonders Gruppenarbeit will geführt sein. «Autorität» meint nicht «psychologisches Drauflosprügeln», genauso wenig wie Frontalunterricht sich im einschläfernden Predigen erschöpft. Die viel gepriesene Interaktion funktioniert auch – nein, häufig sogar besser – im Plenumsunterricht.
Ähnlich sieht es Peter Labudde, der Leiter des Zentrums Naturwissenschafts- und Technikdidaktik der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, der in Deutschland, Finnland und der Schweiz die Unterrichtsweisen untersucht hat. In Finnland sei der Unterricht viel stärker vom Lehrer geleitet, viel strukturierter und dabei trotzdem besser fokussiert auf den individuellen Schüler. Man lasse nicht zu, dass ein Schüler einfach abhänge, abgehängt werde. Die Lehrperson passe besser auf und habe weniger Disziplinprobleme als in den anderen Ländern.
Ein solcher Unterricht ist anspruchsvoll – nicht nur für den Schüler, sondern viel mehr noch für den Lehrer. Und einen solchen Unterricht bekommt man nur, wenn man den Lehrern so attraktive Bedingungen bietet, dass man unter zahlreichen Anwärtern die Besten aussuchen kann – die engagiertesten, wachsamsten, die, denen das Lernerlebnis jedes einzelnen Schülers am Herzen liegt. Die mit dieser Lehreraura halt. Es darf auch ein Orkan sein.


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