Wie viel Autorität darf und soll es im Schulzimmer haben? Bild: Reto Oeschger
Ohne gute Autorität geht es nicht, Tages Anzeiger, 12.7. von Alexandra Kedves
Hatten
Sie auch so einen Lehrer? Einen, der in seiner allerersten Stunde stramm ins
Klassenzimmer marschierte, seine Bücher aufs Lehrerpult knallte wie einen Tusch
und dann, so zur Eingewöhnung, mal eben jeden Einzelnen vor der ganzen Klasse
eine Aufgabe lösen und sein persönliches Waterloo erleben liess?
Bei uns wars der
Lateinlehrer. Er kam über uns wie ein Orkan – und sollte sich doch mit der Zeit
als einer der besten Lehrer überhaupt entpuppen: streng, exakt, fordernd; nie
die Zügel aus der Hand gebend, mit bissiger Ironie jeden Schülertrotz zermalmend,
aber dennoch fair; stets auf Zack, immer jeden Schüler im Blick behaltend – und
gerade dadurch total motivierend. Es war ihm nicht egal, ob man die
Konjugationen konnte oder den Seneca-Brief verstand. Er sammelte lateinische
Sinnsprüche, wir mussten sie alle auswendig lernen, da war er gnadenlos (ich
nerve meine eigenen Kinder heute noch mit den Sentenzen). Als es dann, ein paar
Jahre nach dem knallharten Kaltstart mit diesem Lehrer, zur Profilwahl kam,
entschied sich ein grosser Teil meiner Klasse für – Latein. Denn man wusste,
dass der Orkan der Lehrer sein würde.
Das Lehren lieben
Eben dies scheint ob der
wilden Spekulationen rund um den Erfolg und Niedergang finnischer
Schülerleistungen in den Pisa-Studien – Spekulationen, die etliche
soziologische Faktoren ausser acht lassen – gern vergessen zu gehen: dass der
Lehrerberuf nach einer Art Künstlerberufung verlangt; sprich, dass die Methode
weniger entscheidend ist als der Mensch, der sie umsetzt. Dass es grundsätzlich
beim Lehren zu einem nicht geringen Teil um Beziehung geht. Oder, um mal ein
grosses Wort zu verwenden: um Liebe (die nicht als pädagogischer Eros à la
Odenwaldschule missverstanden werden darf). Um die Liebe zum Fach, aber noch
wichtiger: um die Liebe zum Lehren, also dazu, Schülern zu Aha-Erlebnissen zu
verhelfen und sie nicht allein zu lassen mit einem Wust an Wissen.
Der 2011 verstorbene,
renommierte deutsche Pädagoge Wolfgang Bergmann sprach hier von «guter
Autorität» – in Abgrenzung zu einer schwarzen, strafenden, das Kind
erniedrigenden Pädagogik, die damit operiert, dem Kind seine Defizite
vorzuführen (dass dieser Stil Abwehr und Lernblockaden verursacht, ist bekannt,
wenn auch offenbar noch nicht allen schweizerischen Schulzimmern). Aber die
«gute Autorität» steht auch im Unterschied zu einem führungslosen, wurstigen
Laissez-faire, wo beispielsweise in wenig effektiver Gruppenarbeit Referate auf
Minimalniveau zusammengeschustert werden, die dann als Lehrstoff für alle
durchgehen müssen – die Vermittlungsleistung der Lehrperson bewegt sich in
solchen Fällen gegen null.
Anspruchsvolle Autorität
Ohne die «gute Autorität»
gibt es Schwierigkeiten im Klassenzimmer. Sie kann mütterliche Züge tragen,
libertäre oder auch scharfzüngig-intellektuelle – aber ohne sie geht es nicht.
Gerade die völlig zu Recht geforderte «kognitive Aktivierung» der Schüler, ihre
Einbindung, ihr Mitdenken nach der sokratischen Hebammenmethode erreicht man
ohne diese Autorität kaum. Auch und besonders Gruppenarbeit will geführt sein.
«Autorität» meint nicht «psychologisches Drauflosprügeln», genauso wenig wie
Frontalunterricht sich im einschläfernden Predigen erschöpft. Die viel
gepriesene Interaktion funktioniert auch – nein, häufig sogar besser – im
Plenumsunterricht.
Ähnlich sieht es Peter
Labudde, der Leiter des Zentrums Naturwissenschafts- und Technikdidaktik der
Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, der in Deutschland, Finnland und der
Schweiz die Unterrichtsweisen untersucht hat. In Finnland sei der Unterricht
viel stärker vom Lehrer geleitet, viel strukturierter und dabei trotzdem besser
fokussiert auf den individuellen Schüler. Man lasse nicht zu, dass ein Schüler
einfach abhänge, abgehängt werde. Die Lehrperson passe besser auf und habe
weniger Disziplinprobleme als in den anderen Ländern.
Ein solcher Unterricht
ist anspruchsvoll – nicht nur für den Schüler, sondern viel mehr noch für den
Lehrer. Und einen solchen Unterricht bekommt man nur, wenn man den Lehrern so
attraktive Bedingungen bietet, dass man unter zahlreichen Anwärtern die Besten
aussuchen kann – die engagiertesten, wachsamsten, die, denen das Lernerlebnis
jedes einzelnen Schülers am Herzen liegt. Die mit dieser Lehreraura halt. Es
darf auch ein Orkan sein.
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