Der Brief der
Kreisschulpflege Zürichberg hat es in sich. In dem Schreiben vom 8. Juli
informiert Schulpräsidentin Mirella Forster (FDP) die Eltern der Schulkinder
der SchuleBalgrist-Kartaus
über einen Beschluss mit weitreichenden Folgen: Die Schule werde aus dem
Pilotprojekt «Tagesschule 2025» aussteigen und in den nächsten Jahren keine Tagesschuleanbieten. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung seien nicht
gegeben.
Hinter der Ablehnung der Lehrer stecken Ängste, aber auch prinzipielle Kritik, Karikatur: Schaad
Lehrer verhindern Tagesschule in Riesbach, Tages Anzeiger, 9.7. von Martin Huber
Der
Entscheid kommt überraschend. Letztes Jahr hatte die Kreisschulpflege noch
mitgeteilt, die Schule Balgrist-Kartaus werde ab nächstem Sommer zusammen mit
sechs weiteren Schulen am Tagesschulversuch von Stadtrat Gerold Lauber(CVP)
teilnehmen. «Aufgrund des grossen Interesses der Schulleitung und der
Kreisschulpflege, die Zukunft der Zürcher Volksschule gewissermassen als
Pioniere mitzugestalten», wie Forster damals an die Eltern schrieb.
Doch nun wird nichts aus
der Pionierrolle der Schule in Riesbach. Es habe sich im Verlauf der
Diskussionen gezeigt, dass viele Mitglieder des Schulteams «grossen Respekt vor
den mit dem Pilotprojekt verbundenen Veränderungen haben, manche auch mit
Skepsis in die Zukunft als Tagesschule blicken», begründet Forster den
Rückzieher. «Wenn auch nicht einhellig, so doch unüberhörbar wird die Teilnahme
in der ersten Versuchsphase als verfrüht betrachtet.» Die Basis für einen Start
auf das Schuljahr 2016/17 erscheine zu schmal.
Ängste und prinzipielle
Kritik
Was im Brief
diplomatisch-verklausuliert daherkommt, heisst konkret: Ein Teil der
Lehrerschaft im Schulhaus Kartaus hat sich heftig gegen den Tagesschulversuch
gewehrt und geriet dadurch in Konflikt mit der Schulleitung. Die Lehrerschaft
im Balgrist-Schulhaus hingegen war für den Versuch. Es folgten eine
Grundsatzabstimmung in der Lehrerschaft und eine Umfrage unter Eltern. Jessamyn
Graves vom Elternrat Kartaus: «Viele Eltern, unabhängig von ihrer Einstellung
zur Tagesschule, empfanden ein Unbehagen, mit einem Schulhausteam in das
Projekt einzusteigen, das fast einstimmig gegen eine Teilnahme ist. Und dazu
noch uneinig mit der Schulleitung.»
Die Gründe für
den Widerstand der Lehrerinnen und Lehrer sind laut Graves vielschichtig.
Ängste vor Veränderungen und die teils ungeklärten Raumfragen hätten ebenso
eine Rolle gespielt wie prinzipielle Einwände, etwa: Kinder sollten über Mittag
zu Hause bei der Familie essen. Viele Lehrpersonen lehnten zudem die Mitarbeit
bei der Mittagsbetreuung ab. «Ihnen graut es bei der Vorstellung, mit ihren
lauten und teils widerspenstigen Schülern auch noch die Mittagspause verbringen
und dabei als Streitschlichter amtieren zu müssen.»
Viele Kündigungen
Der Konflikt gipfelte
darin, dass auf Ende dieses Schuljahres auffallend viele Lehrpersonen an der
Schule kündigten. Das Unbehagen wegen der Tagesschule sei sicher ein Faktor für
die Kündigungen gewesen, heisst es bei der Schulleitung. Doch dahinter steckten
auch andere Gründe wie Pensionierung, Aufhebung von Kleinpensen, persönliche
Konflikte mit der Schulleitung oder eine gewisse Reformmüdigkeit.
Die Schulleitung weist
zudem darauf hin, dass die Mittagsbetreuung in der Tagesschule den Lehrern
speziell vergütet wird und Lehrpersonen zu diesem Mehraufwand nicht gezwungen
werden können. Und: Die Schule habe frühzeitig alle offenen Stellen wieder
besetzen können.
Enttäuschte Eltern
Dennoch hat die
Kreisschulpflege jetzt die Reissleine gezogen. Schulpräsidentin Mirella
Forster: «Die Erfahrung zeigt, dass schulische Projekte nur dann gelingen
können, wenn die überwiegende Mehrheit des Teams mit voller Überzeugung
dahintersteht.» Sie bedauert den Schritt, hält ihn aber unter den genannten
Vorzeichen für richtig. Obschon die Schulleitung und ein Teil des Teams eine
Teilnahme am Pilotprojekt gewünscht hätten, akzeptierten diese den Entscheid
«im Sinne einer konstruktiven Schulkultur». Forster zeigt sich überzeugt, dass
die «Tagesschule 2025» ein Modell der Zukunft sei und das Projekt weiter auf
Kurs bleibe.
Bei gewissen Eltern ist
die Enttäuschung gross. «Ärgerlich», meint ein Vater aus dem Seefeld, der
seinen Sohn gerne in die Tagesschule geschickt hätte und bereits fest damit
rechnete. Zumal die Schule den Tagesschulversuch bereits angekündigt hatte.
Jetzt müsse er nach einem alternativen Betreuungsmodell Ausschau halten.
Eine Enttäuschung sei
der Entscheid auch für die Schulleitung und Elternschaft im Schulhaus Balgrist,
sagt Jessamyn Graves vom Elternrat. Sie hätten sich sehr für eine Teilnahme am
Projekt eingesetzt und würden jetzt hängen gelassen. Letztlich habe die
Schulbehörde die Bedenken einer grossen oder zumindest lautstarken Minderheit
aus dem Schulhaus Kartaus höher gewichtet als die Chancen. Graves wünscht sich,
dass die Schulbehörden und insbesondere CVP-Schulvorsteher Gerold Lauber die
positiven Seiten der privaten Familientische künftig stärker würdigen und sie
explizit als Ressource beim Tagesschulversuch definieren.
Lauber: «Nicht
demotiviert»
Lauber selber gibt sich
trotz des Dämpfers optimistisch: «Das demotiviert uns nicht.» Es sei von Anfang
an Teil der Versuchsanlage gewesen, einer Schule die Möglichkeit zum Ausstieg
zu geben, wenn sich zeige, dass sie noch nicht so weit sei. Das Ausscheiden
habe in dem Sinn keinen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Pilotprojekts,
versichert der Schulvorsteher.
Wichtig sei nun, die
Erkenntnisse aus den Vorgängen an der Schule Balgrist-Kartaus in die kommenden
Projektphasen einfliessen zu lassen. Ob eine andere Schule den
Tagesschulversuch durchführen wird, ist laut Lauber offen, da die
Vorbereitungszeit bis zum Start 2016 doch sehr knapp sei. «Den Versuch können
wir sehr gut auch mit sechs statt sieben Pilotschulen durchführen.» In den
andern Pilotschulen fänden zwar auch «intensive Diskussionen» statt, jedoch mit
einer durchwegs positiven Grundhaltung gegenüber dem Pilotprojekt, so Lauber.
Erfreut über die
Neuigkeit aus Riesbach zeigt sich die SVP, die dem Tagesschulmodell von Anfang
an kritisch gegenüberstand. Er sei sehr froh, dass sich Lehrerinnen und Lehrer
nun einmal deutlich zu Wort meldeten, sagt Gemeinderat Daniel Regli. Es gebe
noch zu viele offene Fragen, die bisher von den Behörden ausgeblendet worden
seien.
Erst vor wenigen Tagen
hatte die SVP für Schlagzeilen gesorgt, als sie in Affoltern Flyer gegen die
Tagesschule an Schulkinder verteilte, was für Empörung bei Eltern und der SP
sorgte. Inzwischen hat die Partei laut Regli die Verteilaktion vor Schulhäusern
gestoppt.
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