6. Juni 2015

Kontrolle von Schulkindern beim Essen

Michèle Binswanger findet, die Kontrolle von Schulkindern beim Essen sei übertrieben.
Der Staat im Znüniböxli, Tages Anzeiger, 6.6. von Michèle Binswanger


Ein Kollege erzählte neulich, sein Kind sei mit einer unangetasteten Madeleine aus dem Kindergarten nach Hause gekommen. Die Kindergärtnerin habe ihr verboten, es zu essen, weil es zu viel Zucker enthalte. Dabei ist das Kind weder fettleibig noch übergewichtig, hat keine Karies oder Mangelerscheinungen.
Seit fünf Jahren gilt der Leitfaden «Pausenernährung Plus!» des Zürcher Schul- und Sportdepartements. Er teilt Znünsnacks in gut und böse ein. Unter gut figurieren Obst und Gemüse sowie Vollkornbrot und Reiswaffeln nature. Ausnahmsweise erlaubt sind Bananen, Dörrfrüchte und Halbweissbrot. Schokolade, Salznüssli oder Joghurtdrinks hingegen sind des Teufels. Es existiert sogar ein 51-seitiger Evalua­tionsbericht dazu, der festhält: «Gesunde Ernährungund gesundes Essverhalten schützen vor Übergewicht, ohne Essstörungen zu begünstigen.»

Keine Freude am Essen
Ach ja? Wer selber Kinder hat oder mit Eltern spricht, dem zeigt sich ein anderes Bild. Schon im Kindergarten beschimpfen sich Mädchen gegenseitig als fett. Und fett wird, wer sich falsch ernährt, das lernt man ebenfalls im Kindergarten. Selber schuld also, wer nicht so früh wie möglich mit der Kalorienkalkulation beginnt. Diese Nachricht bleibt bei den Kindern hängen. Und raubt ihnen Unbefangenheit und Freude am Essen. Auch Fachleute beobachten, dass sich die Generation Low-fat-low-carb-laktosefrei-glutenfrei krank isst. Manche Kinder leiden schlicht Hunger, weil die Eltern ihnen Kohlenhydrate vorenthalten – aus Angst, sie könnten dick werden.

Gegen Information ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Unerträglich aber ist, dass die staatliche Bevormundung nun schon bis ins Znüniböxli vordringt. Ganz zu schweigen vom Normierungswahn, der sich dahinter versteckt. Menschen sind nun mal unterschiedlich gebaut, auch Kinder, ganz egal, wie sie sich ernähren. Letztendlich sind die Richtlinien nur Empfehlungen. Ob jemand diesen «Beitrag zur gesunden Pausenernährung» dann auch leisten oder seinem Kind Madeleines in die Schule mitgeben will, ist seine Sache.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen