Seit Jahren wehren sich Menschen in vielen
europäischen Ländern gegen die immer stürmischer anrollenden Wellen von
Schulreformen, die nicht jeweils notwendige Erneuerungen in Teilbereichen
beabsichtigen, sondern tief in das jeweilige Bildungssystem eingreifen, um
Strukturen, Inhalte, Ziele, mit einem Wort: einfach alles umzustürzen.
Beispiele sind der Lehrplan 21 in der Schweiz und die Bildungsplanreform 2015
in Baden-Württemberg.
Die heimliche Privatisierung des öffentlichen Bildungswesens, Zeit-Fragen, 3.2. von Renate Caesar
Der Widerstand, der sich formiert, wird nicht nur von Lehrern und Eltern getragen, sondern auch zunehmend von Wissenschaftlern, Historikern, Literatur- und Sprachwissenschaftlern und Lehrplanforschern. Was alle eint in ihrer Kritik, ist die Tatsache, dass die angestrebten – und zum Teil leider schon umgesetzten – Veränderungen keinerlei pädagogischen, didaktischen oder wissenschaftlichen Sinn ergeben. Wie soll sich zum Beispiel das Lernen einer Fremdsprache verbessern, wenn das Sprachlernen, die «kommunikative Kompetenz», von der alle diese Reformen gern reden, in Hunderte von Einzelkompetenzen aufgeteilt ist, die der Schüler abarbeiten soll und den Lernerfolg dann in abzuhakenden Tests beweisen soll? (siehe Entwurf des Bildungsplans Englisch für die Förderstufe in Baden-Württemberg) Sprachlernen ist ja ein organisches Ganzes, der Schüler muss mit einem sprachkundigen Gegenüber zum Beispiel eine Frage hören, den Zusammenhang verstehen, die Bedeutung aufnehmen, passende Wörter suchen, antworten usw. Oder wie soll ein mündiger Staatsbürger heranwachsen, wenn er keinen systematisch aufbauenden Geschichtsunterricht mehr erhält, sondern nur noch beispielhaft «Machtverhältnisse», vielleicht in der Antike oder im Mittelalter, «erkennen, verstehen und beurteilen» soll ohne solides Grundlagenwissen. (siehe Lehrplan 21 in der Schweiz)
Kurz gesagt: Eine Verbesserung schulischen Lernens durch diese Zerstückelung von Lernprozessen in Hunderte von Kompetenzen und Unterkompetenzen ohne solide aufbauende Inhalte kann niemand erkennen. Was für einen Sinn haben diese Reformen aber dann?
Einen – wenn auch nicht den einzigen –Ansatz zur Beantwortung dieser Frage liefert eine Studie, die bereits im Jahr 2008 von «Education International», der internationalen Dachorganisation der Lehrergewerkschaften, veröffentlicht wurde.1 Wenn man die Schlussfolgerungen dieser Studie ernst nimmt, die nicht auf Hypothesen, sondern auf der faktischen Untersuchung der Vorgänge im Bildungswesen vieler Länder in mehreren Kontinenten beruhen, dann ergeben diese scheinbar unsinnigen Reformen sehr wohl einen Sinn, allerdings einen, der nicht beabsichtigt, Kindern zur ganzheitlichen Bildung ihrer Persönlichkeit in der demokratischen Gesellschaft zu verhelfen, sondern einen, der aus dem staatlich geschützten öffentlichen Gut Bildung eine Ware machen will, die sich auf dem lukrativen privaten Markt profitabel verkaufen lässt und nebenbei Ziele und Inhalte grundlegend verändert.
Die Verfasser der Studie begründen die Motivation
für ihre jahrelange Arbeit so: Es muss öffentlich gemacht werden, was im
geheimen vor sich geht und sich mit positiven, aber irreführenden Begriffen
tarnt. Denn der Prozess der Privatisierung von Bildungseinrichtungen in Europa,
in den USA und in den Schwellen- und Entwicklungsländern, ob «endogen», das
heisst durch verdeckte Einführung von Marktmechanismen, oder «exogen», das
heisst durch explizite Umwandlung des staatlichen Bildungssystems in private
Einrichtungen, verändert grundlegend die Aufgaben und Ziele von Bildung und
Lehrkräften. Auch verändert sie das Selbstverständnis von Lehrern, ihre
Arbeitsbedingungen, ihre Aufgabe in der Gesellschaft, auf fragwürdige und
negative Weise.
Solange das im verborgenen geschieht, kann die notwendige öffentliche Diskussion darüber, welche Bildung und Erziehung wir in unserer Gesellschaft wollen, nicht stattfinden.
Es geht den Autoren um die Ethik von Bildung und Erziehung: Durch die heimliche Privatisierung und Kommerzialisierung werden die Werte verändert, die unserem Bildungsverständnis beziehungsweise dem in den untersuchten Ländern zugrunde liegen. Jede Gesellschaft, so die Autoren, muss ja für sich die Frage beantworten können:
Geht es in der Erziehung und Bildung darum, dass jeder Mensch sein volles Potential als Person und Bürger der Gesellschaft entwickeln kann? Oder ist Bildung eine Dienstleistung, die den Menschen als Kunden verkauft wird; soll der Mensch, das Kind in erster Linie Konsument und Marktobjekt sein?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen die Bürger der entsprechenden Länder jedoch wissen, was vor sich geht und welche Hintergründe die ihnen als «Reformen» verkauften Strukturveränderungen haben! Darüber möchten die Autoren aufklären.
Solange das im verborgenen geschieht, kann die notwendige öffentliche Diskussion darüber, welche Bildung und Erziehung wir in unserer Gesellschaft wollen, nicht stattfinden.
Es geht den Autoren um die Ethik von Bildung und Erziehung: Durch die heimliche Privatisierung und Kommerzialisierung werden die Werte verändert, die unserem Bildungsverständnis beziehungsweise dem in den untersuchten Ländern zugrunde liegen. Jede Gesellschaft, so die Autoren, muss ja für sich die Frage beantworten können:
Geht es in der Erziehung und Bildung darum, dass jeder Mensch sein volles Potential als Person und Bürger der Gesellschaft entwickeln kann? Oder ist Bildung eine Dienstleistung, die den Menschen als Kunden verkauft wird; soll der Mensch, das Kind in erster Linie Konsument und Marktobjekt sein?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen die Bürger der entsprechenden Länder jedoch wissen, was vor sich geht und welche Hintergründe die ihnen als «Reformen» verkauften Strukturveränderungen haben! Darüber möchten die Autoren aufklären.
Ursprünge und Geschichte der Privatisierung von Bildung
«Privatisierung» sind für die Autoren alle
Marktstrategien ohne staatliche Kontrolle («state-free market approaches»),
auch Neoliberalismus genannt.
Das erste Land, das eine gründliche «Marktreform» seiner Schulen erlebte, war 1988 Neuseeland unter einer Labour-Regierung. Die Schlüsselfiguren waren Absolventen der Chicago School of Free Market Economies2. Der staatliche Einfluss wurde zurückgefahren, regionale Schulaufsichtsbehörden wurden abgeschafft, und jede Bildungseinrichtung sollte sich selbst kontrollieren, als «self-managing units» ihr eigenes Budget, Personal und so weiter bestimmen. England folgte im selben Jahr, diese «Reform» war aber mehr politisch als wirtschaftlich motiviert.
Vorausgegangen war schon der Umsturz des Bildungssystems in Chile. Es wurden dort drei neue Schultypen kreiert, und alles war auf Bildungsgutscheine umgestellt worden. Obwohl Selektion von Schülern angeblich verboten war, wählten die vom Staat subventionierten privaten Schulen die besten Schüler aus. (Vor kurzem ging durch die Nachrichten, dass in Chile eine breite Protestbewegung der Bevölkerung verlangt, dass das Bildungswesen wieder unter staatliche Aufsicht gestellt wird und gleichermassen allen zugute kommt.)
Das erste Land, das eine gründliche «Marktreform» seiner Schulen erlebte, war 1988 Neuseeland unter einer Labour-Regierung. Die Schlüsselfiguren waren Absolventen der Chicago School of Free Market Economies2. Der staatliche Einfluss wurde zurückgefahren, regionale Schulaufsichtsbehörden wurden abgeschafft, und jede Bildungseinrichtung sollte sich selbst kontrollieren, als «self-managing units» ihr eigenes Budget, Personal und so weiter bestimmen. England folgte im selben Jahr, diese «Reform» war aber mehr politisch als wirtschaftlich motiviert.
Vorausgegangen war schon der Umsturz des Bildungssystems in Chile. Es wurden dort drei neue Schultypen kreiert, und alles war auf Bildungsgutscheine umgestellt worden. Obwohl Selektion von Schülern angeblich verboten war, wählten die vom Staat subventionierten privaten Schulen die besten Schüler aus. (Vor kurzem ging durch die Nachrichten, dass in Chile eine breite Protestbewegung der Bevölkerung verlangt, dass das Bildungswesen wieder unter staatliche Aufsicht gestellt wird und gleichermassen allen zugute kommt.)
Sogenannte «Schulreformen» sind in Wirklichkeit getarnte «Feindliche
Übernahmen» des Bildungswesens
Die sogenannten Schulreformen, zum Beispiel in den
europäischen Ländern, sind in Wirklichkeit Prozesse, die eine Privatisierung in
das öffentliche Bildungswesen einführen, manchmal erklärtermassen, meistens
aber heimlich. Sie verbergen sich hinter vorgeblich positiven Zielen und
Begriffen wie «Wahlfreiheit», «Verbesserung der Lernprozesse»,
«Überprüfbarkeit», «mehr Wirksamkeit», «Individualisierung des Lernens». In
Wirklichkeit geht es darum, Techniken und Werte aus dem privaten
Geschäftsbereich einzuführen, mit dem Effekt, dass Bildungseinrichtungen wie
eine Firma geführt werden. In ihren Untersuchungen der Bildungseinrichtungen
vieler Länder fanden die Autoren zwei unterschiedliche Typen von
Privatisierungsvorgängen:
- endogene Privatisierung: Dabei werden Ideen,
Techniken und Praktiken aus dem Unternehmenssektor in die öffentlichen
Bildungseinrichtungen eingeführt mit dem Ziel, diese zu Firmen zu machen,
aber ohne dieses Ziel explizit zu benennen. Die eingeführten Kompetenzen,
Kompetenzraster, Evaluation, «Quality Management», Testing usw. dienen
angeblich der Verbesserung der Unterrichtsqualität.
- exogene Privatisierung: Das ist die Öffnung des
öffentlichen Bildungswesens für private Anbieter auf Profit-Basis, wobei
der private Sektor selbst die Bildungsziele bestimmt, einführt und managt!
Die Forschung hat gezeigt, dass in allen
untersuchten Ländern die endogene Privatisierung immer die Vorstufe für die
zweite, die exogene Privatisierung war oder ist.
Weil sich die ganze Unternehmung als «Reform» tarnt, verstehen die Menschen nicht, was vor sich geht. Viele empfinden die sogenannten Reformen (richtig) als sach- und fachfremd, als unpädagogisch und bildungsfern – immer mehr Experten weisen auf deren unwissenschaftlichen Charakter hin3, aber die Reformwellen rollen immer schneller und verändern alles, bevor man sich besinnen kann. Sie verändern grundlegend:
Weil sich die ganze Unternehmung als «Reform» tarnt, verstehen die Menschen nicht, was vor sich geht. Viele empfinden die sogenannten Reformen (richtig) als sach- und fachfremd, als unpädagogisch und bildungsfern – immer mehr Experten weisen auf deren unwissenschaftlichen Charakter hin3, aber die Reformwellen rollen immer schneller und verändern alles, bevor man sich besinnen kann. Sie verändern grundlegend:
- die Organisation:
Auflösung von Jahrgangsstufen und Klassenverbänden,
- die Führung: Manager statt
Headmaster,
- das Curriculum: Es
gibt keine verbindlichen Inhalte mehr,
- die Methoden, mit denen
unterrichtet wird (jeder Schüler schafft für sich an seinen individuellen
Lernjobs statt im gemeinsamen Klassenunterricht),
- die Leistungsbeurteilung (Testen
von Kompetenzen und Unterkompetenzen),
- die Art wie Schüler, Schulen, Schulleiter und
ganze Gemeinden bewertet werden: Wer widerspruchslos
mitmacht, ist innovativ, wer sich sträubt, ist rückständig.
Besonders heimtückisch geht die endogene Privatisierung vor
Das Ziel bei dieser unausgesprochenen
Privatisierung ist, die Schulen im geheimen so umzustrukturieren, dass sie wie
Unternehmen geführt werden, scheinbar aber in staatlicher Verantwortung
bleiben.
Das Schlüsselinstrument dieser versteckten Privatisierung im Bildungswesen ist der Quasi-Markt. Es werden unter dem Deckmantel angeblich positiver Werte wie «freie Wahl der Eltern» (choice), «Wettbewerb», wodurch sich alle Schulen angeblich verbessern, «effizienteres Lernen» durch «Selbstverantwortung», «Unabhängigkeit» und so weiter gewisse Marktmechanismen wie «testing» und «ranking» (Veröffentlichung der Test-Resultate, um Schulen vergleichen zu können) eingeführt. Es wird viel Zeit und Geld darauf verwendet, die Schule attraktiv zu machen, mit dem verborgenen Ziel, später den Gewinn zu erhöhen. Der Staat wird dabei oft eingespannt: Ein staatliches Curriculum (zum Beispiel der «Lehrplan 21» in der Schweiz) und landesweite Tests helfen mit, die Basis zu legen, dass Schulen konkurrieren und eine Art Markt werden können.
Das Schlüsselinstrument dieser versteckten Privatisierung im Bildungswesen ist der Quasi-Markt. Es werden unter dem Deckmantel angeblich positiver Werte wie «freie Wahl der Eltern» (choice), «Wettbewerb», wodurch sich alle Schulen angeblich verbessern, «effizienteres Lernen» durch «Selbstverantwortung», «Unabhängigkeit» und so weiter gewisse Marktmechanismen wie «testing» und «ranking» (Veröffentlichung der Test-Resultate, um Schulen vergleichen zu können) eingeführt. Es wird viel Zeit und Geld darauf verwendet, die Schule attraktiv zu machen, mit dem verborgenen Ziel, später den Gewinn zu erhöhen. Der Staat wird dabei oft eingespannt: Ein staatliches Curriculum (zum Beispiel der «Lehrplan 21» in der Schweiz) und landesweite Tests helfen mit, die Basis zu legen, dass Schulen konkurrieren und eine Art Markt werden können.
Transformation des Staates
Dabei spielt ein Prozess eine wichtige Rolle, den
die Autoren Umformung des Staates («Reshaping the State») nennen. In diesem
Prozess findet die Verschiebung von «government» zu «governance» statt, das
heisst, die staatliche Kontrolle wird durch die Kontrolle verschiedener
Teilnehmer und Anbieter ersetzt. Diese bestimmen dann die Richtung der
Bildungspolitik und überwachen auch die Umsetzung, indem sie Programme und Dienstleistungen
zur Verfügung stellen. Der Staat soll nicht ganz ausgeschaltet werden,
aber den Interessen der Privatisierer dienen, und vor allem zahlen!
Es wäre zu kurz gegriffen, sagen die Autoren, diese Vorgänge als «De-Regulierung» zu begreifen, es ist in Wirklichkeit eine Re-Regulierung. Die Kontrolle wird dem Staat entzogen und den internationalen Organisationen und deren Hintermännern übertragen.4
Das Bildungswesen wird damit quasi unbemerkt aus der Ferne gesteuert. Ein managing Netzwerk tritt an die Stelle der staatlichen Behörden. Damit einher geht der Niedergang des Nationalstaates als der Ort, an dem Politik gemacht wird. Als Beispiel nennen die Autoren die Bologna Declaration, die die Hochschulbildung in ganz Europa verändert hat, über die Köpfe der staatlichen Politik hinweg.
Durch GATS wurden die nationalen Bildungssysteme für globale Anbieter geöffnet. 40 Länder haben einen Vertrag unterzeichnet, gegenseitige private Dienstleistungen zuzulassen.
Der Staat stellt nur noch den Markt bereit: Er lässt private Firmen und NGO-Gruppen als Sponsoren in der Bildung seines Staatsgebiets agieren, nicht nur in den Industrieländern, sondern überall.
Dieselben Prozesse laufen in allen öffentlichen Bereichen wie Gesundheitswesen und sozialen Diensten ab. Gemeinsam ist allen: Das neue Paradigma kommt immer als «Reformpaket» daher, und immer wird dieselbe Sprache benutzt, nämlich die des New Public Managements, und Organisationen wie OECD, EU, Unesco, Weltbank, IFC und WTO sind die treibenden Kräfte.
Es wäre zu kurz gegriffen, sagen die Autoren, diese Vorgänge als «De-Regulierung» zu begreifen, es ist in Wirklichkeit eine Re-Regulierung. Die Kontrolle wird dem Staat entzogen und den internationalen Organisationen und deren Hintermännern übertragen.4
Das Bildungswesen wird damit quasi unbemerkt aus der Ferne gesteuert. Ein managing Netzwerk tritt an die Stelle der staatlichen Behörden. Damit einher geht der Niedergang des Nationalstaates als der Ort, an dem Politik gemacht wird. Als Beispiel nennen die Autoren die Bologna Declaration, die die Hochschulbildung in ganz Europa verändert hat, über die Köpfe der staatlichen Politik hinweg.
Durch GATS wurden die nationalen Bildungssysteme für globale Anbieter geöffnet. 40 Länder haben einen Vertrag unterzeichnet, gegenseitige private Dienstleistungen zuzulassen.
Der Staat stellt nur noch den Markt bereit: Er lässt private Firmen und NGO-Gruppen als Sponsoren in der Bildung seines Staatsgebiets agieren, nicht nur in den Industrieländern, sondern überall.
Dieselben Prozesse laufen in allen öffentlichen Bereichen wie Gesundheitswesen und sozialen Diensten ab. Gemeinsam ist allen: Das neue Paradigma kommt immer als «Reformpaket» daher, und immer wird dieselbe Sprache benutzt, nämlich die des New Public Managements, und Organisationen wie OECD, EU, Unesco, Weltbank, IFC und WTO sind die treibenden Kräfte.
Weitere Ergebnisse der Studie
- Es gibt keinerlei Forschung in keinem der
untersuchten Länder, die zeigen würde, dass Privatisierung die Qualität
der Schule und die Leistungen der Schüler hebt.
- Hingegen gibt es Forschungsresultate, die
zeigen, dass wenn es in privaten Schulen besonders gute Testergebnisse
gibt, bestimmte Bevölkerungsgruppen überrepräsentiert sind, das heisst
hier war Rassen- oder Klassentrennung im Spiel.
- Der Druck der Konkurrenz verändert das Lehren:
«Teaching-to-the-test» (auf den Test hin unterrichten). Dadurch werden die
Lernerfahrungen der Schüler eingeengt, und der Lehrer wird gezwungen,
vorfabriziertes Material mit kontrollierter Geschwindigkeit zu benützen.
Das machen vor allem unerfahrene Lehrer, und die finden sich besonders
häufig in den «Low-income-schools», Schulen in armen Regionen. Komplexere
Inhalte, die sich nicht ohne weiteres testen lassen, werden gar nicht mehr
gelehrt.
- In den Entwicklungsländern beeinflussen die
Private Public Partnerships, die sich des Bildungswesens bemächtigen, die
Werte und Kulturen dieser Gesellschaften. Hier ist die Weltbank sehr
aktiv. Die Autoren vermuten, dass auch dort durch das GATS5 die privaten
Anbieter ins Land kommen und quasi das Bildungssystem übernehmen.
- Dabei besteht die Gefahr, dass nicht nur
Bildungsdienstleistungen von Privaten eingeführt werden, sondern dass die
ganze Bildungspolitik, die bisher der Nationalstaat bestimmte, durch
Beratung, Konsultationen, Forschung, Evaluation und andere Einflussnahmen
allmählich privatisiert wird. Das heisst, die privaten Organisationen sind
zunehmend dabei, die Bildungspolitik des jeweiligen Landes zu übernehmen,
zu bestimmen und umzusetzen.
- Privatisierung bedeutet auch immer einen
Angriff auf die Berufsverbände, denn sie werden daran gehindert, sichere
und gute Arbeitsbedingungen und Verträge für ihre Mitglieder auszuhandeln.
- Da jeder Bildungspolitik auch und vor allem
ethische Ziele und Werte der jeweiligen Kultur zugrundeliegen, werden diese
mit der Zeit zerstört, denn «Die Formen der versteckten Privatisierung –
Marktmechanismen, Konkurrenz, ‹choice› und der Schwerpunkt auf
Performance-Management – bringen ethische Gefahren mit sich, was sich in
vielen Beispielen von opportunistischen und taktischen Verhaltensweisen
von Schulen in solchen Systemen zeigt.» (S. 12)
Schlussfolgerung: Gravierende Auswirkungen auf das Bildungswesen der
Länder
Die Privatisierung verändert die Bildung als
öffentliches Gut, das der ganzen Gemeinschaft dient, hin zu einem privaten Gut,
einer Ware, die vordergründig Interessen des zu bildenden Individuums
befriedigt, in Wirklichkeit aber die Interessen der globalisierenden
Wirtschaft. Die so gelieferte Bildung ist für die Gesellschaft nur noch
bedeutsam in Form von Qualifikationen und Zertifikaten. Dabei werden die
sozialen Werte und der Wert der Bildung als kollektives Gut einer Kultur
verdrängt, das heisst, ein öffentliches Gut, von dem die ganze Gemeinschaft
profitiert, und damit ihre Kultur, wird systematisch ignoriert und
zerstört.
Privatisierung der Bildung fördert Konkurrenz und Individualismus und die Ungleichheit von Bildungschancen und Bildungsresultaten in den Gesellschaften. In einem Marktsystem ist Gleichheit kein positiver Wert. Die Schere zwischen armen und reichen Schulen öffnet sich, und eine gemeinsame Schulbildung für alle wird verunmöglicht.
Der Forschungsbericht soll allen helfen, diese Tendenzen in ihren Ländern und Gemeinden zu erkennen und zu hinterfragen, vor allem den Lehrern und Eltern.
Privatisierung der Bildung fördert Konkurrenz und Individualismus und die Ungleichheit von Bildungschancen und Bildungsresultaten in den Gesellschaften. In einem Marktsystem ist Gleichheit kein positiver Wert. Die Schere zwischen armen und reichen Schulen öffnet sich, und eine gemeinsame Schulbildung für alle wird verunmöglicht.
Der Forschungsbericht soll allen helfen, diese Tendenzen in ihren Ländern und Gemeinden zu erkennen und zu hinterfragen, vor allem den Lehrern und Eltern.
Was zu tun ist und schon getan wird
Die Aufforderung, wachsam zu bleiben und die
undemokratischen und heimlich eingeführten Neuerungen im Bildungswesen der
Länder zu beobachten und sich dagegen zu wehren, haben inzwischen viele Eltern,
Lehrer, Erziehungswissenschaftler, zum Beispiel in der Schweiz und in
Süddeutschland, in die Tat umgesetzt. Überall wächst der Widerstand gegen die
unpädagogischen «Reformen» im Bildungswesen mit ihren Kompetenzen, ihren
Standards und Tests, ob sie sich nun angeblich zukunftsorientiert und modern
«Lehrplan 21» nennt oder ganz paradox «Gemeinschaftsschule» oder «Mosaikschule»
o.ä.
Die Handschrift von OECD, EU und weiteren im Artikel genannten internationalen Organisationen ist überall erkennbar, wird inzwischen oft durchschaut, und ihre Ziele und Durchsetzungsstrategien werden entschieden zurückgewiesen (vgl. auch Zeit-Fragen, Nr. 28–31 aus dem Jahr 2014 und Nr. 1, 2 von 2015). •
Die Handschrift von OECD, EU und weiteren im Artikel genannten internationalen Organisationen ist überall erkennbar, wird inzwischen oft durchschaut, und ihre Ziele und Durchsetzungsstrategien werden entschieden zurückgewiesen (vgl. auch Zeit-Fragen, Nr. 28–31 aus dem Jahr 2014 und Nr. 1, 2 von 2015). •
1 Hidden Privatisation in Public
Education, Report by Stephen J. Ball and Deborah Youdell, Institute of
Education, University of London, 2008
2 Bekannt für den von Milton Friedman propagierten Neoliberalismus, vgl. auch Naomi Klein: Die Schockstrategie, 2007
3 Vgl. zum Beispiel Konrad Liessmann: Geisterstunde – Die Praxis der Unbildung, Wien 2014
4 Vgl. Schule und Bildung im Würgegriff von Machtpolitik, Zeit-Fragen Nr. 33, 2012
5 GATS = Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen
2 Bekannt für den von Milton Friedman propagierten Neoliberalismus, vgl. auch Naomi Klein: Die Schockstrategie, 2007
3 Vgl. zum Beispiel Konrad Liessmann: Geisterstunde – Die Praxis der Unbildung, Wien 2014
4 Vgl. Schule und Bildung im Würgegriff von Machtpolitik, Zeit-Fragen Nr. 33, 2012
5 GATS = Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen
Pasi Sahlberg, ein finnischer
Erziehungswissenschaftler, Lehrer und Berater des finnischen Bildungsministeriums,
nennt die Vorgänge der von internationalen Organisationen wie OECD forcierten
globalen Schulreformen einen «GERM» (Global Education Reform Movement), der
«Schulen tötet». Ein «germ» ist der englische Begriff für einen krankmachenden Keim
oder ein krankmachendes Virus.
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