Keine Schweiz ohne Frühfranzösisch? Bild: Christian Beutler
Anmassung macht Schule, Weltwoche, 21.5. von Peter Keller
Wieder ein Schlag gegen die direkte Demokratie. Im Kanton St.
Gallen schützt das Verwaltungsgericht die Regierung. Diese hatte eine
Volksinitiative für unzulässig erklärt, welche auf Primarstufe nur noch eine
Fremdsprache forderte. Begründung: Die Initiative widerspreche der
Bundesverfassung und dem daraus abgeleiteten Harmonisierungsauftrag
(Harmos-Konkordat), der für den Unterricht auf der Primarstufe zwei
Fremdsprachen vorschreibe.
Die Richter räumten zwar
ein, dass die Initiative politisch bedeutsame Anliegen aufgreife, nur habe die
St. Galler Bevölkerung eben auch per Abstimmung dem Beitritt zum
Harmos-Konkordat zugestimmt. Initiativen seien insbesondere dann ganz oder
teilweise unzulässig, heisst es in der richterlichen Begründung weiter, wenn
sie gegen höherrangiges Recht verstossen. Was in diesem Fall zutreffe:
Schliesslich wolle die Initiative die Umsetzung des übergeordneten
Harmos-Konkordates verhindern.
Es gibt Vergnüglicheres,
als Gerichtsentscheide zu lesen. Interessant an der ganzen Debatte ist, dass
die Befürworter zweier Fremdsprachen auf der Primarstufe fast kaum pädagogisch
argumentieren. Ob sich der grosse Aufwand lohnt – kein Thema. Dass der
strukturierte Erwerb einer Fremdsprache auf der Oberstufe mindestens so gute
Resultate bringt – das wird geflissentlich übergangen. Grosse empirische
Studien zeigen, dass der Grundsatz «Je früher, desto besser» beim Fremdsprachenunterricht
nicht zutrifft.
Umso ausführlicher
werden dafür die politischen und juristischen Dimensionen ins Feld geführt. Man
beschwört den nationalen Zusammenhalt, als ob es die Schweiz vor dem
Frühfranzösisch nicht gegeben hätte. Mindestens so eindringlich wird auf den
Harmonisierungsauftrag verwiesen, der im Bildungsartikel der Bundesverfassung
formuliert sei. Dass dort gleichzeitig die kantonale Hoheit in Bildungsfragen
gewährleistet wird, blenden die Harmonisierungs-Turbos aus. Nochmals: In der
Schule geht es um Kinder – und nicht um juristische Spitzfindigkeiten, die nur
dazu dienen, pädagogisch begründete Kritik und demokratisch zustandegekommene
Initiativen abzublocken.
Am
Ende steht die Monokultur
Harmonisierung an sich
ist gar nicht wünschenswert. Am Ende der Harmonisierung droht die Monokultur.
Man kann nicht am Sonntag die «Vielfalt der Schweiz» besingen und werktags
gegen diese vorgehen, nur weil Vielfalt eben auch zu Widerspruch führt. Wenn
der Kanton Uri, als Nachbar des Tessins, sich für Frühitalienisch entscheidet,
würde er auch übergeordnetes Recht (Harmonisierungsauftrag der Verfassung)
verletzen – aber gleichzeitig ein schönes Zeichen setzen für die mehrsprachige
Schweiz.
Ganz zu Beginn, im
ersten Artikel der Bundesverfassung, wird unser Staatsgebilde näher definiert:
«Das Schweizervolk und die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden
und Nidwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt und
Basel-Landschaft, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell
Innerrhoden, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis,
Neuenburg, Genf und Jura bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft.» Mit
anderen Worten: Der Souverän in der Schweiz ist zusammengesetzt aus den
Bürgerinnen und Bürgern (Schweizervolk) und den 26 Kantonen (Ständen). Von
Regierungskonferenzen, die irgendwelche Konkordate auskungeln, ist keine Rede.
Hier masst man sich eine Rolle an, die den direktdemokratischen Grundsätzen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft widerspricht – dass sich die Gerichte im Zweifelsfall
gegen den Souverän stellen, ist leider auch kein Einzelfall.
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