23. Mai 2015

St. Galler Gericht verhindert Volksabstimmung

Im Zweifelsfall gegen die direkte Demokratie: Im Kanton St. Gallen wurde eine Volksinitiative für unzulässig erklärt, die nur noch eine Fremdsprache in der Primarschule fordert





Keine Schweiz ohne Frühfranzösisch? Bild: Christian Beutler

Anmassung macht Schule, Weltwoche, 21.5. von Peter Keller



Wieder ein Schlag gegen die direkte Demokratie. Im Kanton St. Gallen schützt das Verwaltungsgericht die Regierung. Diese hatte eine Volksinitiative für unzulässig ­erklärt, welche auf Primarstufe nur noch eine Fremdsprache forderte. Begründung: Die In­itiative widerspreche der Bundesverfassung und dem daraus abgeleiteten Harmonisierungsauftrag (Harmos-Konkordat), der für den Unterricht auf der Primarstufe zwei Fremdsprachen vorschreibe.
Die Richter räumten zwar ein, dass die Initiative politisch bedeutsame Anliegen aufgreife, nur habe die St. Galler Bevölkerung eben auch per Abstimmung dem Beitritt zum Harmos-Konkordat zugestimmt. Initiativen seien insbesondere dann ganz oder teilweise unzulässig, heisst es in der richterlichen Begründung weiter, wenn sie gegen höherrangiges Recht ver­stos­sen. Was in diesem Fall zutreffe: Schliesslich wolle die Initiative die Umsetzung des über­geordneten Harmos-Konkordates verhindern.
Es gibt Vergnüglicheres, als Gerichtsentscheide zu lesen. Interessant an der ganzen ­Debatte ist, dass die Befürworter zweier Fremdsprachen auf der Primarstufe fast kaum pädagogisch argumentieren. Ob sich der grosse Aufwand lohnt – kein Thema. Dass der strukturierte Erwerb einer Fremdsprache auf der Oberstufe mindestens so gute Resultate bringt – das wird geflissentlich übergangen. Grosse empirische Studien zeigen, dass der Grundsatz «Je früher, desto besser» beim Fremdsprachen­unterricht nicht zutrifft.
Umso ausführlicher werden dafür die politischen und juristischen Dimensionen ins Feld geführt. Man beschwört den nationalen Zusammenhalt, als ob es die Schweiz vor dem Frühfranzösisch nicht gegeben hätte. Mindestens so eindringlich wird auf den Harmonisierungsauftrag verwiesen, der im Bildungsartikel der Bundesverfassung formuliert sei. Dass dort gleichzeitig die kantonale Hoheit in Bildungsfragen gewährleistet wird, blenden die Harmonisierungs-Turbos aus. Nochmals: In der Schule geht es um Kinder – und nicht um juristische Spitzfindigkeiten, die nur dazu dienen, päda­gogisch begründete Kritik und demokratisch zustandegekommene Initiativen abzublocken.

Am Ende steht die Monokultur

Harmonisierung an sich ist gar nicht wünschenswert. Am Ende der Harmonisierung droht die Monokultur. Man kann nicht am Sonntag die «Vielfalt der Schweiz» besingen und werktags gegen diese vorgehen, nur weil Vielfalt eben auch zu Widerspruch führt. Wenn der Kanton Uri, als Nachbar des Tessins, sich für Frühitalienisch entscheidet, würde er auch übergeordnetes Recht (Harmonisierungsauftrag der Verfassung) verletzen – aber gleichzeitig ein schönes Zeichen setzen für die mehrsprachige Schweiz.

Ganz zu Beginn, im ersten Artikel der Bundesverfassung, wird unser Staatsgebilde näher definiert: «Das Schweizervolk und die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg, Genf und Jura bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft.» Mit anderen Worten: Der Souverän in der Schweiz ist zusammengesetzt aus den Bürgerinnen und Bürgern (Schweizervolk) und den 26 Kantonen (Ständen). Von Regierungskonferenzen, die irgendwelche Konkordate auskungeln, ist keine Rede. Hier masst man sich eine Rolle an, die den direktdemokratischen Grundsätzen der Schweizerischen Eidgenossenschaft ­widerspricht – dass sich die Gerichte im ­Zweifelsfall gegen den Souverän stellen, ist ­leider auch kein Einzelfall.

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