Oberstufenlehrer sind nicht happy mit Englischlehrmittel, Südostschweiz, 7.3. von Stefan Bisculm
Über zwei Drittel von insgesamt 79 befragten Bündner Oberstufenlehrern
zeigten sich in einer Umfrage «unzufrieden» bis «sehr unzufrieden» mit dem
neuen Englischlehrmittel «New World» des Verlags Klett und Balmer. Über die
Hälfte der Lehrpersonen würde lieber mit einem anderen Lehrmittel unterrichten
und möchte, dass sich die Bündner Lehrergewerkschaft Legr für eine Auflockerung
des Lehrmittelobligatoriums einsetzt. Mit dieser Forderung beisst der Legr bei
der Bündner Regierung aber auf Granit (siehe Interview unten).
Alternativ-Obligatorien wie sie etwa im Kanton Zürich zugelassen sind, würden
zu Unsicherheiten unter anderem beim Übertritt in die Kantonsschule führen,
teilte die Regierung dem Legr in einem Antwortschreiben mit.
Probeversion für Bündner Schüler
«Unsere Oberstufenlehrer sind sehr motiviert, Englisch zu unterrichten,
doch sie haben ein unfertiges Lehrmittel und damit das falsche Werkzeug
erhalten», findet Andreas Spinas, Präsident der Legr-Kommission Sek I, der die
Umfrage bei den Lehrern durchführte. Von einem unfertigen Lehrmittel spricht
Spinas deshalb, weil in Graubünden der erste Jahrgang, der mit dem Lehrmittel
«New World» unterrichtet wurde, während der ganzen Schulzeit mit einer
Probeversion des Lehrmittels wird arbeiten müssen. Denn als Graubünden den
Englischunterricht auf der Primarstufe im Schuljahr 2012/13 gestartet hatte,
lag erst eine Probeversion von «New World» vor. Die Endversion für das erste
Schuljahr war erst ein Jahr später fertig. Der Bündner Pionier-Jahrgang ist
aktuell in der 1. Oberstufe, die von den Sekundarlehrern in der Umfrage
geäusserte Kritik bezieht sich deshalb auf die Probeversion von «New World».
Doch auch die fertige Version von «New World» kommt bei vielen Lehrern
nicht gut an. Im Kanton Baselland haben sieben Landräte aufgrund von Kritik am
Lehrmittel einen Vorstoss im Kantonsparlament eingereicht und verlangen
Lehrmittelfreiheit an der Sekundarschule. Philipp Loretz ist
Geschäftsleitungsmitglied des Baselbieter Lehrerverbands und zog letzte Woche
in der «Basler Zeitung» folgendes Fazit: «Das Lehrmittel überfordert die
Primarschüler systematisch und kann nur gebraucht werden, wenn der
praxisorientierte Lehrer die Defizite von ‘New World’ permanent ausgleicht.»
Ähnliche Töne sind auch aus Graubünden zu hören. Urs Kalberer,
Sprachdidaktiker und Sekundarlehrer aus Landquart, hat alle sechs
Englisch-Lehrmittel, die in Schweizer Schulstuben gelehrt werden, miteinander
verglichen. Sein Fazit: «‘New World’ ist das Lehrmittel mit der geringsten
Substanz. Es verfügt über die kleinste Wörterliste und die kleinste Anzahl an
Übungen für Schreiben, Lesen und Sprechen.» Kalberer bezeichnet das Lehrmittel
ausserdem als ideologisch. «Die Schüler sollen möglichst viel selber erproben
und sind dabei ständig überfordert.»
Unzufriedenheit zieht sich durch
Keine guten Noten erhält das Lehrmittel «New World» auch in einem
aktuellen Evaluationsbericht, den Malgorzata Barras vom Institut für
Mehrsprachigkeit in Freiburg verfasst hat. Ihre Beobachtungen führte sie in
drei sogenannten Passepartout-Kantonen durch. In diesen Kantonen wird wie in
Graubünden als erste Frühfremdsprache ab der dritten Klasse eine Landessprache
unterrichtet, Englisch folgt in der fünften Klasse. Gemäss Evaluationsbericht
war nach der Einführung von «New World» nur noch «ein Drittel der Lehrpersonen
allgemein mit dem neuen Englischunterricht zufrieden». Das ist ein frappanter
Rückgang zu den Vorjahren. Die Mehrheit der Lehrer ist zudem der Ansicht, mit
dem neuen Lehrmittel könne nicht mehr ausreichend auf die unterschiedlichen
Bedürfnisse der Schüler eingegangen werden.
In der Bündner Primarschule wird schon das dritte Jahr mit dem
Lehrmittel «New World» unterrichtet. Das Urteil über das neue Lehrmittel fällt
auf dieser Stufe generell positiver aus. Ein Primarlehrer erklärt die
unterschiedliche Wahrnehmung unter anderem damit, dass «New World»
sprachdidaktisch immer noch einiges besser sei als das Italienischlehrmittel
«Grande amici», das ebenfalls an Bündner Primarschulen zum Einsatz kommt.
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