11. März 2015

Thurgau will Primarfranz möglichst bald abschaffen

Das Volks-Ja zum Frühfranzösisch in Nidwalden lässt den Kanton Thurgau unbeeindruckt. Er treibt den Entscheid seines Parlaments voran: die Streichung des Französischunterrichts auf Primarstufe.




Der Nutzen von Primarfranzösisch ist nach wie vor umstritten, Bild: Keystone


Thurgau will Frühfranzösisch möglichst bald abschaffen, Tages Anzeiger, Anja Burri, 10.3.



Das kommt selten vor im Parlament: Eine Abstimmung in einem kleinen Kanton ist das Gesprächsthema im Bundeshaus. Die Nidwaldner, die sich am Sonntag klar für zwei Fremdsprachen in der Primarschule ausgesprochen hatten, schafften es gestern gar ins Protokoll des Nationalrats. «Als Westschweizer freue ich mich, dass sich die Nidwaldner um den nationalen Zusammenhalt sorgen», so begann Nationalratspräsident Stéphane Rossini (SP) die zweite Sessionswoche. «Vielen Dank an Nidwalden!», sagte auch der Genfer SP-Nationalrat Manuel Tornare ins Mikrofon, bevor er über den Aussenpolitischen Bericht sprach.
Während sich viele nationale Parlamentarier und auch die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) über das Nidwaldner Bekenntnis zum Frühfranzösisch freuen, treibt ein anderer Kanton die Abschaffung desselben unbeeindruckt voran. Im Thurgau laufen die Vorbereitungsarbeiten auf Hochtouren, um den Französischunterricht von der fünften Klasse auf die Sekundarstufe, also auf die 7. Klasse, zu verschieben. «Die Arbeitsgruppe ist im Einsatz», sagt Erziehungsdirektorin Monika Knill (SVP). Im vergangenen August hatte der Grosse Rat eine entsprechende Motion überwiesen. Diesen parlamentarischen Auftrag werde sie aufgrund nationaler Debatten nicht hinterfragen, sagt Knill.
Die Arbeitsgruppe aus Vertretern des Erziehungsdepartements, Lehrkräften und Schulbehörden hat viele Fragen zu klären. Es geht etwa darum, wie die Französischlektionen umverteilt werden, welche Lehrmittel es braucht oder wie es möglich wäre, Französisch auf der Primarstufe weiter als Freifach anzubieten. Das Ziel sei klar, sagt Knill: «Unsere Schüler müssen am Ende der neunten Klasse gleich gut Französisch sprechen wie die Schüler in anderen Kantonen.» Bis Ende Jahr soll das Konzept vorliegen und in die Umsetzungs­bestimmungen zum Lehrplan 21 einfliessen. Anfang 2016 folgt eine kantonale Vernehmlassung. Der neue Fremdsprachenunterricht soll schliesslich mit der geplanten Einführung des Lehrplans 21 im Schuljahr 2017/18 beginnen.
Keine Angst vor dem Bund
Vor dem Machtwort des Bundes fürchtet sich Knill derzeit nicht. «Der Thurgau steht in der Pflicht, dass unsere Schüler am Ende gleich gut oder besser Französisch sprechen», sagt sie. Und die Harmonisierungsbilanz der kantonalen ­Erziehungsdirektoren im Juni komme sowieso zu früh, um ihren Kanton zu tadeln. «Bis zum Sommer 2017 erfüllen wir die Sprachenstrategie der EDK», sagt sie. Falls der Bund die Kantone tatsächlich zu einer einheitlichen Fremdsprachenumsetzung zwingen wolle, werde der nationale Zusammenhalt anderweitig empfindlich geschwächt. «Das wäre für die föderale Schweiz sehr bedauerlich», sagt sie.
Verbündete Lehrer
Anders als in Nidwalden stehen im Thurgau auch die Lehrer hinter der Abschaffung des Frühfranzösisch. «Jedes Kind in der Schweiz hat ein Recht auf gleichwertige Bildung am Ende der Volksschule, sagt Anne Varenne, Präsidentin des Lehrerverbands Bildung Thurgau. Der Weg dorthin müsse der Bund aber jedem Kanton selber überlassen. Im Thurgau seien die Schüler mit zwei Fremdsprachen nicht überfordert. «Aber der heutige Französischunterricht mit zwei Lektionen pro Woche ist einfach nicht effizient», sagt sie. Zudem könnten die Sekundarschüler auf dem schwächeren Niveau, der sogenannten Stammklasse G, das Französisch wieder abwählen. «Davon machen viele Teenager Gebrauch», sagt Varenne. Mit einer Verschiebung des Französischunterrichts auf die Sekundarstufe könne erstens die Zahl der Lektionen pro Woche verdoppelt werden. Und zweitens wäre das Abwählen nicht mehr möglich. Wie Knill ist auch die Lehrerpräsidentin überzeugt, dass die Schüler besser Französisch sprechen werden als heute.
Ausgelöst hat die ganze Entwicklung Verena Herzog, die vor zwei Jahren mit Mitstreitern die Motion im Thurgauer Grossen Rat einreichte. Ziel sei es, dass die Primarschüler bessere Grundlagen in Deutsch und Mathematik erhielten – bei mindestens gleich guten Französischkenntnissen, sagt sie. Heute ist Herzog SVP-Nationalrätin und verfolgt die Debatte ums Frühfranzösisch im Bundeshaus. «Es kann nicht sein, dass der Zusammenhalt unseres Landes von Französischlektionen abhängt», sagt sie. Die Art, wie die Primarschüler heute Französisch lernten, sei eine Alibiübung. Aus ihrer Sicht sollten die Ostschweizer Kantone «gemeinsam den gleichen Weg gehen». Weil die Gegner des Frühfranzösisch auch in Schaffhausen oder St. Gallen stark seien, schätze sie diesen Plan als realistisch ein.
Einen möglichen Verbündeten hat der Thurgau im Kanton Appenzell Innerrhoden. Dort lernen die Schüler ab der 3. Klasse Englisch und ab der 7. Klasse Französisch. Die Sprachenstrategie der EDK, wonach in der Primarschule zwei Fremdsprachen unterrichtet werden müssen, wird nicht erfüllt. Eine Änderung ist bis jetzt nicht geplant. «Wir fahren gut damit», sagt Ständerat Ivo Bischofberger (CVP), einst Rektor des Gymnasiums Appenzell. Das hätten Untersuchungen gezeigt.
Solche «Sonderzüge» möchte der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard (SP) verhindern. Für ihn ist klar: «Um unser viersprachiges Land zusammenzuhalten, sollen alle Primarschüler eine zweite Landessprache lernen.» Das Bekenntnis aus Nidwalden reiche nicht. «Das Parlament muss den Druck auf die Kantone aufrechterhalten», sagt er.


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