Neuer didaktischer Ansatz beim Wörtlilernen? Bild: Fotolia
La folie du percnoptère, Basler Zeitung, 20.2. von Micha Hauswirth
Das neue Französisch-Lehrmittel «Mille feuilles» brachte die
Tochter zum Verzweifeln. «Papa, ich habe bei diesem Test nichts verstanden»,
sagte sie und streckte mir drei Seiten entgegen. «Papa, ich weiss nicht, wie
konjugiert wird. Und dann mussten wir noch eine Reportage schreiben.»
Aha,
Reportage. Davon verstehe ich etwas. Abgesehen davon, dass es äusserst
schwierig ist, eine Reportage zu schreiben ohne konjugieren zu können, die
Verfasser dieses Lehrmittels haben keine Ahnung, was eine Reportage ist. Und
wenn sie es nicht wissen, wie sollen es denn die Kinder richtig machen? Denn
die «Reportage» war in Wirklichkeit ein Kurzbeschrieb: Erzähle etwas, das du
gerne tust, was du dazu brauchst und welche Freunde von dir dabei sind. Würde
einer dieser Buchautoren kommen und mir so etwas als Reportage verkaufen
wollen, so müssten wir uns mal ganz grundsätzlich über Stilformen unterhalten.
Eine Reportage geht komplett anders, liebe Lehrmittel-Reformatoren, Details
können Sie gerne auch googeln (neudeutsches Wort für «im Internet
recherchieren»).
Aber
zurück zum Test: «Ich werde das nie können, das ist so schwierig, und jetzt
habe ich eine schlechte Beurteilung», sagte meine Tochter. «Aber was soll ich
machen, wenn ich kaum etwas verstehe und alles so schnell geht?» Was sollte ich
ihr antworten? Dass sie jetzt dieses geheimnisvolle Sprachbad nehme, von dem
uns die didaktischen Wunderheiler versprechen, dass es wahre Sprachgenies
hervorbringt? Schon fast grotesk hingegen war die Aufforderung, die «Reportage»
zusammen mit einem Klassenkameraden mit einer Arbeit vor rund einem Jahr zu
vergleichen und sich dann – natürlich auf Französisch – darüber zu unterhalten,
welche Fortschritte man gemacht habe.
Da
das klassische Büffeln von Wörtchen und Konjugationen für die neuen
Lehrmittel-Propheten ja so was von hinterwäldlerisch ist, stellt sich jetzt
dringlich die Frage, wie dies denn in der vierten Klasse machbar sein soll.
Frust und Demotivation sind da garantiert.
Der
Irrsinn (la folie) geht noch weiter: Die Primarschüler müssen heute Wörter
lernen, bei denen Franzosen die Stirn runzeln. Das Beispiel von le percnoptère
(Schmutzgeier) wurde in der BaZ vom 7. November 2014 erwähnt, mit
«prestidigitateur» (Zauberkünstler) lässt sich ein weiteres Beispiel
hinzufügen. Eine befreundete Französin, von der ich wissen wollte, wie oft sie
dieses Zungenbrecherwort denn gebrauche, so im Alltag meine ich und nicht an
der Sorbonne, fing an zu lachen: «Ich habe das Wort höchstens drei Mal
gebraucht in meinem Leben. Wenn, dann reden wir von ‹le magicien›.»
Da
dieses «Mille feuilles» die Verbenkonjugation so sträflich vernachlässigt,
müssen die Eltern Nachhilfe geben und die Motivation aufbauen. Den Aufwand
sollten die Eltern von den Steuern abziehen.
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