21. Februar 2015

"Mille feuilles" kommt nicht aus den Schlagzeilen

Und wieder hat es einem Vater angesichts der "neuesten Lehrmittelgeneration" den Hut gelupft. Die besserwisserischen Phrasen der auf den neuesten methodischen Stand gehobenen Fremdsprachenlehrmittel sind Sand in den Augen der oft hilflosen Eltern





Neuer didaktischer Ansatz beim Wörtlilernen? Bild: Fotolia

La folie du percnoptère, Basler Zeitung, 20.2. von Micha Hauswirth



Das neue Französisch-Lehrmittel «Mille feuilles» brachte die Tochter zum Verzweifeln. «Papa, ich habe bei diesem Test nichts verstanden», sagte sie und streckte mir drei Seiten entgegen. «Papa, ich weiss nicht, wie konjugiert wird. Und dann mussten wir noch eine Reportage schreiben.»

Aha, Reportage. Davon verstehe ich etwas. Abgesehen davon, dass es äusserst schwierig ist, eine Reportage zu schreiben ohne konjugieren zu können, die Verfasser dieses Lehrmittels haben keine Ahnung, was eine Reportage ist. Und wenn sie es nicht wissen, wie sollen es denn die Kinder richtig machen? Denn die «Reportage» war in Wirklichkeit ein Kurzbeschrieb: Erzähle etwas, das du gerne tust, was du dazu brauchst und welche Freunde von dir dabei sind. Würde einer dieser Buch­autoren kommen und mir so etwas als Reportage verkaufen wollen, so müssten wir uns mal ganz grundsätzlich über Stilformen unterhalten. Eine Reportage geht komplett anders, liebe Lehrmittel-Reformatoren, Details können Sie gerne auch googeln (neudeutsches Wort für «im Internet recherchieren»).

Aber zurück zum Test: «Ich werde das nie können, das ist so schwierig, und jetzt habe ich eine schlechte Beurteilung», sagte meine Tochter. «Aber was soll ich machen, wenn ich kaum etwas verstehe und alles so schnell geht?» Was sollte ich ihr antworten? Dass sie jetzt dieses geheimnisvolle Sprachbad nehme, von dem uns die didaktischen Wunderheiler versprechen, dass es wahre Sprachgenies hervorbringt? Schon fast grotesk hingegen war die Aufforderung, die «Reportage» zusammen mit einem Klassenkameraden mit einer Arbeit vor rund einem Jahr zu vergleichen und sich dann – natürlich auf Französisch – darüber zu unterhalten, welche Fortschritte man gemacht habe.

Da das klassische Büffeln von Wörtchen und Konjugationen für die neuen Lehrmittel-Propheten ja so was von hinterwäldlerisch ist, stellt sich jetzt dringlich die Frage, wie dies denn in der vierten Klasse machbar sein soll. Frust und Demotivation sind da garantiert.
Der Irrsinn (la folie) geht noch weiter: Die Primarschüler müssen heute Wörter lernen, bei denen Franzosen die Stirn runzeln. Das Beispiel von le perc­noptère (Schmutzgeier) wurde in der BaZ vom 7. November 2014 erwähnt, mit «prestidigitateur» (Zauberkünstler) lässt sich ein weiteres Beispiel hinzufügen. Eine befreundete Französin, von der ich wissen wollte, wie oft sie dieses Zungenbrecherwort denn gebrauche, so im Alltag meine ich und nicht an der Sorbonne, fing an zu lachen: «Ich habe das Wort höchstens drei Mal gebraucht in meinem Leben. Wenn, dann reden wir von ‹le magicien›.»

Da dieses «Mille feuilles» die Verbenkonjugation so sträflich vernachlässigt, müssen die Eltern Nachhilfe geben und die Motivation aufbauen. Den Aufwand sollten die Eltern von den Steuern abziehen.


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