Der Bündner Lehrerverband LEGR erklärt uns in der Zeitung "Südostschweiz", was der Lehrplan 21 gegen die Vergessenskurve ausrichten kann und wie durch ihn der Unterricht ansprechender und herausfordender wird. Diese Anreihung von Plattitüden veranlasste mich zu einem Schreiben an die Redaktion.
Fabio Cantoni, Präsident LEGR, will dem Lehrplan 21 eine Chance geben, Bild: Südostschweiz
Eichhörnchen durchgenommen, Südostschweiz, 20.2. von Fabio Cantoni
Schön!
Und jetzt? Was wissen die Kinder nun? Etwas über den Körperbau, das Fell in den
Jahreszeiten, die Ernährung, die Kletterfähigkeit … All dies wurde schön auf
Blättern festgehalten und kann von den Kindern kurzfristig auswendig aufgesagt
werden – zumindest, bis sie von der Vergessenskurve eingeholt werden. Wussten
Sie, dass wir auf lange Sicht gerade mal 15 Prozent des Erlernten behalten? Was
wissen Sie noch genau über Eichhörnchen? Nein, ich habe gar nichts gegen
Eichhörnchen! Sie sind tolle, putzige Tierchen, welche Kinder ansprechen. Sie
eignen sich wunderbar für das Thema «Tiere im Wald», welches im Bündner
Lehrplan für die Zweitklässler vorgesehen ist. Selbst mit einer ganzen Klasse
können sie im Freien noch gut beobachtet werden. Eigentlich geht es nicht um
Waldtiere, es geht um den Lehrplan. Noch selten wurde so viel und so diametral
in entgegengesetzte Richtungen über einen neuen Lehrplan debattiert. Dies ist
erstaunlich, umso mehr als Lehrpläne normalerweise in den Bücherregalen der
Klassenzimmer Staub ansetzen. Einerseits weil die wesentlichen Inhalte über die
meist obligatorischen Lehrmittel vordefiniert sind, andererseits weil Lehrpläne
für die tägliche Unterrichtsvorbereitung kaum einen direkten Nutzen haben.
Anders könnte es mit dem Lehrplan 21 werden. Denn dieser orientiert sich an zu
erreichenden Kompetenzen der Kinder – und weniger am zu unterrichtenden Stoff.
Der Unterricht soll – zumindest da, wo es noch nicht geschehen ist –
ansprechender und herausfordernder werden. Dabei sollen einfachere Reproduktionsleistungen
(Wissen aus dem Gedächtnis abrufen) gezielt mit konkreter Anwendung und der
Beurteilung verschiedener Lösungen ergänzt werden. Wer in unserer komplexen
Welt, in unserer Dienstleistungsgesellschaft Erfolg haben will, muss über mehr
als Wissen (über Eichhörnchen ;-)) verfügen. Wer Erfolg haben will, muss unter
anderem Zusammenhänge verstehen, Wissen in veränderten Situationen anwenden,
gut analysieren und argumentieren können. Der künftige Lehrplan 21, als
bildungspolitisch legitimierter Auftrag der Gesellschaft an die Volksschule,
könnte dabei hilfreich sein. Zumindest
hat er eine Chance verdient.
Hier mein Schreiben an die Redaktion der Südostschweiz:
AntwortenLöschenEs dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass der LP21 schweizweit sehr umstritten ist. Auch in Graubünden gibt es viele Leute, die sehr kritisch zu den Reformen im Bildungswesen stehen, was von Ihrem Blatt scheinbar nicht zur Kenntnis genommen wird. Da das Bündner Schulblatt kritische Beiträge nicht publiziert, respektive zensuriert (die Südostschweiz berichtete darüber), bleibt die Tagespresse die einzige Möglichkeit, um denen eine Stimme zu geben, die sonst am liebsten unter den Teppich gewischt werden.
Die Entwicklung ist vorgespurt: Die Regierung tut alles, um kritische Stimmen zu unterdrücken. So soll die Fremdspracheninitiative mit fadenscheinigen juristischen Spitzfindigkeiten verboten werden. Auch in Sachen LP21 soll das Volk nichts zu sagen haben. Der LEGR ist zum verlängerten Arm des Erziehungsdepartements und der PHGR degeneriert und nun gewährt auch noch die Südostschweiz Fabio Cantoni Platz für die Verbreitung seiner abstrusen Thesen ("bildungspolitischer legitimierter Auftrag der Gesellschaft an die Volksschule").
Wenn Sie Ihre Rolle als vierte Macht im Staat ernst nehmen, dann sollten bei Ihnen angesichts dieser Vorgänge längst alle roten Lämpchen aufleuchten. Der Meinungsartikel von Herrn Cantoni ist in diesem Zusammenhang ein peinlicher Affront.Ich fordere Sie auf, den Gegnern des LP 21 ebenfalls in gleichem Umfang Platz einzuräumen, ansonsten Sie Ihren Titel fairerweise gleich in "Amtsblatt des Kantons Graubünden - Sprachrohr der Regierung" umbenennen sollten.