"Erfolgsgeschichte Religion und Kultur", Bild: Keystone
Wie gut sind muslimische Kinder im Schulalltag integriert? Limmattaler Zeitung, 24.1. von Matthias Scharrer
«Biblische
Geschichte» ist als Unterrichtsfach in den Zürcher Schulen längst Geschichte.
Ab 2007 führten die Gemeinden nach und nach das neue Schulfach «Religion und
Kultur» ein. Statt christliche Religion zu unterrichten, wird heute an den
Schulen im Kanton Zürich Wissen über alle Weltreligionen vermittelt.
Unterrichtsgegenstand ist damit auch der Islam – nebst Christentum, Judentum,
Hinduismus, Buddhismus und einem atheistisch-naturwissenschaftlichen
Weltverständnis.
Das neue
Schulfach ist inzwischen überall im Kanton etabliert – und laut
Volksschulamtschef Martin Wendelspiess eine Erfolgsgeschichte: «Die
Rückmeldungen von Lehrern und Kindern sind eindeutig positiv.» Eine einzige
Beschwerde habe es seit der Einführung des neuen Fachs beim Volksschulamt
gegeben. Sie betraf eine Lehrerin, die weiterhin nur christlichen
Religionsunterricht erteilte.
Anders als
früher «Biblische Geschichte» ist «Religion und Kultur» Pflichtfach: in der
Primarschule mit einer Lektion pro Woche, in der ersten Sekundarklasse mit zwei
Wochenlektionen, in der zweiten Sek dann wiederum mit einer. Im dritten
Sekundarschuljahr wird das Fach nicht unterrichtet.
Was lernen die
Schulkinder über den Islam? Massgeblich ist das dreibändige Lehrmittel
«Blickpunkt – Religion und Kultur», das seit 2013 vollständig vorliegt. Im
ersten Band, der in der Unterstufe zum Einsatz kommt, werden die Kinder
alltagsnah an die Weltreligionen herangeführt. Zum Beispiel im Kapitel über die
Herkunft von Namen wie Jonas oder Fatima (so hiess die jüngste Tochter des
Propheten Mohammed). Oder im Kapitel über Kirchenglocken und den Ruf des
Muezzins. Ein weiteres Beispiel ist das Kapitel über Festtage, in dem der
Fastenmonat Ramadan und das Fest des Fastenbrechens erklärt wird. Auch, dass
Juden und Muslime kein Schweinefleisch essen, ist schon auf der Unterstufe
Schulstoff.
Im
«Blickpunkt»-Band für die Mittelstufe kommen Kapitel über den Koran, die
Moschee, die Pilgerfahrt nach Mekka und den Propheten Mohammed hinzu.
Dazwischen finden sich jeweils Kapitel über heilige Texte, Religionshäuser und
zentrale Figuren anderer Weltreligionen. Der dritte «Blickpunkt»-Band – jener
für die Mittelstufe – bietet schliesslich ein grösseres, zusammenhängendes
Kapitel, in dem die Geschichte des Islams sowie seine Gegenwart in der Schweiz
und weltweit dargestellt wird.
Nur wenige Konfliktfälle
Soweit der
Schulstoff zum Islam. Doch wie steht es um die Integration muslimischer Kinder
im Schulalltag? Legendär ist der lange Streit um ihre Teilnahme am
Schwimmunterricht, der mehrmals bis vors Bundesgericht ging. Ein erster
Grundsatzentscheid fiel 1993: Damals gewichteten die Lausanner Richter die
Religionsfreiheit höher als die Pflicht zur Teilnahme am Schwimmunterricht in
der Schule. 2008 erfolgte dann die Kehrtwende: Das Bundesgericht erklärte das
Schwimmen zum Bestandteil der schulischen Grundausbildung und damit für
obligatorisch – auch für Muslime. Dieser Linie blieb es seither in mehreren
weiteren Urteilen treu.
Wendelspiess
weist allerdings darauf hin, dass es vor dem Bundesgerichts-Urteil von 2008 im
Kanton Zürich während zehn Jahren nur rund ein Dutzend muslimische Kinder gab,
die vom Schwimmen dispensiert wurden. Mit anderen Worten: Die Anzahl der
Konfliktfälle blieb überschaubar.
Daran habe sich
nichts geändert: Dass muslimische Kinder im Ganzkörper-Schwimmanzug in den
schulischen Schwimmunterricht gehen, komme nur sehr selten vor. Auch Fälle von
Gesichtsverschleierung muslimischer Mädchen, die in der Schule nicht toleriert
würde, sind dem Volksschulamtschef nicht bekannt. Und die Option, muslimische
Schülerinnen und Schüler für das Freitagsgebet während einer halben bis einer
Stunde vom Unterricht zu befreien, werde nur selten genutzt. Den so verpassten
Schulstoff müssten die Kinder nachholen.
Einzig beim
Thema Essen gebe es häufig Diskussionen, etwa bei Klassenlagern – allerdings
nicht nur im Zusammenhang mit religiösen Essensregeln. «Die Ernährung muss so
geplant werden, dass sich alle am Essen beteiligen können», sagt Wendelspiess.
Wer aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch esse oder Vegetarier sei, müsse
Alternativen bekommen, zum Beispiel Gemüsesuppe oder Beilagen.
Fazit des
Volksschulamtschefs: «Wir haben gar nicht so viele Spezialregeln, wie man am
Stammtisch oft glaubt. Muslimische Schulkinder erhalten keine Sonderbehandlung.
Die ganz grosse Mehrheit macht alles mit.»
Bea Krebs,
FDP-Stadträtin und Schulvorsteherin von Schlieren (Ausländeranteil: 45
Prozent), bestätigt diese Einschätzung. Der einzige Unterschied zwischen
muslimischen und anderen Schulkindern, der ihr spontan einfällt, betrifft die
Feiertage, an denen muslimische Kinder auf Antrag der Eltern schulfrei
bekommen: Fastenbrechen und Opferfest. Der Grossteil der muslimischen
Schulkinder nehme an diesen Tagen frei.
Auch für
Jean-Pierre Balbiani, SVP-Stadtrat und Schulvorstand von Dietikon
(Ausländeranteil: 41 Prozent), ist das Miteinander von muslimischen und
andersgläubigen Schulkindern «Routine, nichts Spezielles», wie er sagt. «Wir
versuchen, im Unterricht gegenseitige Toleranz zu fördern. Das klappt nicht
schlecht.» Konflikte könne es unter Gleichgläubigen wie auch unter
Andersgläubigen geben.
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