25. Januar 2015

Pädagogik als Wahlkampfthema

Im Kanton Baselland liefern sich zwei Frauen einen Kampf um den Sitz des zurücktretenden Erziehungschefs Urs Wüthrich. Dabei geht es auch um konkrete pädagogische Ausrichtungen.



Regula Nebiker (SP) und Monica Gschwind (FDP) haben unterschiedliche Positionen zu Schulfragen, Bild: Stefan Leimer und Kostas Maros

Streit um Sek-Niveaus und Reformitis, Basler Zeitung, 24.1. von Thomas Dähler


BaZ: Der neuste Streit im Bereich Bildung ist in der Sekundarschule Pratteln entstanden, wo bekannt wurde, dass in sogenannten Lernlandschaften unterrichtet werden soll. Muss die Qualität der Baselbieter Sekundarschulen mit Lernlandschaften verbessert werden?
Regula Nebiker: Ich bin erstaunt, wie mit dem Begriff Lernlandschaft Schindluderei betrieben wird. Für Lernlandschaften wurden in Pratteln bauliche Voraussetzungen ge­schaffen, damit dies ausprobiert werden kann. Die Schülerinnen und Schüler werden in Pratteln weiterhin nach dem geltenden Lehrplan in den Niveaus A, E und P unterrichtet. Lernlandschaften sind keine Revolution.
Also ist viel Aufregung um wenig entstanden?
Monica Gschwind: Nein, da bin ich anderer Ansicht. Das Schulhaus wurde umgebaut und die vergrösserten Schulzimmer für bis zu 60 Schülerinnen und Schüler sind eingerichtet. Ein Drittel des Unterrichts erfolgt an den Arbeitsplätzen in diesen Lernlandschafts-Räumen. Dabei wurde dieses Modell politisch nie diskutiert, weder in der Bildungskommission noch im Landrat oder sonst irgendwo. Dies ist ein Experiment, das praktisch durch die Hintertür eingeführt wird und die Politik vor vollendete Tatsachen stellt.
Nebiker: Genau solche Modelle gibt es bereits in Privatschulen, und schon heute nehmen gutbetuchte Eltern deswegen ihre Kinder aus den Staatsschulen und stecken sie in die Privatschulen. Die Modelle werden in den Privatschulen angewendet, weil sich Kinder damit individuell fördern lassen und ihre Talente entwickelt werden können. Coach ist ein Begriff aus der Führungsausbildung, der zum Unwort des Jahres erklärt werden könnte. Es geht nicht um Coaches sondern um die pädagogische Grundhaltung, Kinder zu fördern. Neu sind nur die Begriffe, und diese sind eine Modeerscheinung.
Gschwind: Nein, das ist nicht nur eine Modeerscheinung.
Nebiker: Ich glaube, dass diejenigen, die jetzt fundamental dagegen opponieren, dagegen sind, dass sich die Schule überhaupt weiterentwickelt.
Gschwind: Das sehe ich ganz anders. Wenn zwei bis drei Lehrer in den Grossräumen mit 60 Kindern arbeiten, sind sie nur Coaches, die den Kindern bei denjenigen Aufgaben helfen, an denen sie gerade arbeiten. Es ist höchst wahrscheinlich nicht gerade der Französisch-Lehrer zur Stelle, wenn das Kind ein Französisch-Problem hat. Damit werden die Lehrer stärker zu Generalisten und arbeiten nicht mehr als spezifische Fachpersonen. Dies geht klar in die falsche Richtung, und es ist zu befürchten, dass die Qualität der Ausbildung sinken wird.
Nebiker: So ist es nicht. Es unterrichten keineswegs schlecht ausgebildete Generalisten an unseren Sekundarschulen. Sie malen mit Ihrem Bild der Lernlandschaften den Teufel an die Wand.
In sogenannten Lernlandschaften lassen sich mehrere Sekundarschul­niveaus gemeinsam unterrichten. Der Lehrplan 21 unterscheidet in den geforderten Kompetenzen nicht zwischen den Niveaus. Sind Sie für eine strikte Trennung der Niveaus A, E und P?
Gschwind: Für mich sind die Niveaus nicht antastbar.
Nebiker: Die Niveaus werden gar nicht infrage gestellt.
Gschwind: Doch, das werden sie. Die Sekundarschule Pratteln beantragt, in den Lernlandschaften in Zukunft niveau-übergreifend zu arbeiten. Dagegen trete ich an.
Nebiker: In unserem Kanton hat der Bildungsrat beschlossen, im Lehrplan an den verschiedenen Niveaus festzuhalten. Auf nationaler Ebene gibt es jedoch Kritiker, die den Lehrplan 21 fundamental kritisieren und überhaupt alles, das verändert werden soll, kippen wollen. Sie benutzen Begriffe wie Lernlandschaften oder Lerncoaches, die nicht wahnsinnig relevant sind, als Argumente und versuchen damit, Angst zu machen.
Muss der Kanton den Lehrplan 21 für das Baselbiet anpassen?
Nebiker: Der Kanton Baselland hat eine Baselbieter Lösung vor. Deswegen hat man gesagt, man verschiebe die Einführung des Lehrplans 21 für die Sekundarstufe I. Das muss geklärt werden, genau wie auch die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Es geht zum Beispiel nicht, dass die Lehrer je nach Ausbildung an der Uni oder an der Fachhochschule verschieden entlöhnt werden.
Gschwind: Damit bin ich einverstanden. Aber die Einführung des Lehrplans wird nicht wirklich verschoben. Er soll 2015/2016 in der Primarschule und im Schuljahr 2018/2019 in der Sekundarschule eingeführt werden. Dabei gibt es keinen Grund zur Eile, denn in fast allen betroffenen Kantonen wird damit zugewartet, weil weder die Lehrmittel angepasst sind noch die Lehrerausbildung darauf ausgerichtet ist.
Nebiker: Ich habe auch gesagt, dass man warten kann.
Gschwind: Nein, das stimmt nicht. 
Nebiker: Für die Primarschule. Für diejenigen, die diesen Sommer in die Schule kommen und für die neuen sechsten Primarklassen. Wenn dies nicht gemacht wird, haben wir Chaos pur. Anders bei der Sek I. Dort machen wir wie bei jedem Neuanfang eine Manöverkritik. In der Primarschule, wo es schon genug Reformitis gab, können wir nicht nochmals etwas ändern, in der Sek …
Gschwind: Reformitis brauchen wir überhaupt nicht.
Nebiker: … spielt es keine Rolle, ob der Lehrplan 21 nun sogar erst 2019/2020 oder 2020/2021 eingeführt wird. Da kann ich auch Urs Wüthrich zitieren. Auch er als Bildungsdirektor sagt, es komme Qualität vor Tempo.
Gschwind: Sie irren. Es ist ganz anders. Der Bildungsrat hat beschlossen, obwohl wie gesagt noch über die Initiative abgestimmt werden muss, dass der Lehrplan 21 eingeführt wird. Ich finde aber, dass man sich länger Zeit nehmen muss. Der Lehrplan 21 beinhaltet Sammelfächer. Auch Bildungsdirektor Wüthrich setzt sich für diese ein. Die aktuelle Bildungspolitik zielt für mich klar und eindeutig Richtung Einheitsschule. Nur dank den Initiativen können wir hier noch den Fuss dazwischen stellen.
Nebiker: Wenn man sagt, es brauche jetzt etwas Ruhe in den Schulen, verstehe ich das. Ich bin offen für Manöverkritik. Es braucht das Gespräch, und wir müssen das Vertrauen in die Bildung wiederherstellen. Deshalb kritisiere ich auch, dass viele Bürgerliche finden, Bildung sei nicht so wichtig. Die Wirtschaft braucht gut ausgebildete Schülerinnen und Schüler. Und die Wirtschaft stellt sich hinter den Lehrplan 21. Es ist ein grosses Projekt, bei dem wir sorgfältig ans Werk gehen müssen. Ein Alleingang des Kantons Baselland: Das kann es nun wirklich nicht sein. Auch die Wirtschaft will, dass wir uns in einem Bildungsraum bewegen.
Der Kanton Basel-Stadt führt den Lehrplan 21 sofort ein, der Kanton Aargau unternimmt vorläufig gar nichts.
Nebiker: Wir müssen uns genauso autonom bewegen wie die andern. Aber es ist kein Wettbewerb, welcher Kanton am meisten tut und welcher der schnellste ist.
Gschwind: Ich bin nicht fundamental gegen den Lehrplan 21. Ich habe auch die Initiative nicht mitunterzeichnet, die einen sofortigen Austritt aus dem Harmos-Konkordat verlangt. Aber ich bin für einen Marschhalt, eine Auslegeordnung und für eine gute Lösung. Erst wenn man zu einem späteren Zeitpunkt feststellen müsste, dass wir diese nicht finden, können wir über einen Ausstieg aus dem Harmos-Konkordat diskutieren. Wir befinden uns auch gar nicht in einem Alleingang. Es sind bisher nur 15 Kantone dem Konkordat beigetreten. Zum Lehrplan 21 gibt es überall Kritik. Zu sagen, ich übte damit Fundamentalkritik, entspricht schlichtweg nicht der Wahrheit.
Nebiker: Ich bin auch dafür, dass die Lehrer mitziehen sollen. Was ich nicht gut finde, ist diese unglaublich eklektizistische Art, einmal die Lernlandschaften, einmal die Lern­coaches, einmal die Frühsprachen zu kritisieren und damit alles infrage zu stellen. Dabei gibt es doch viel Spielraum. Aber es braucht eine minimale Einheitlichkeit. Das wäre der Fortschritt, den wir brauchen. Wir haben faktisch schon sehr viel erreicht. Das anerkennt auch die Wirtschaft, sorry.
Gschwind: Ich verstehe mich als Vertreterin der Wirtschaft, und ich weiss, dass die Wirtschaft beim Lehrplan 21 ebenfalls skeptisch ist und Verbesserungen fordert.
Konkret werden beim Lehrplan 21 die Sammelfächer infrage gestellt. Darüber wird es eine Abstimmung geben. Sollen die Sammelfächer wieder aus dem Lehrplan gestrichen werden?
Nebiker: Es ist doch völlig klar, dass wir uns solchen Fragen stellen müssen. Sie gehören politisch auf den Tisch. So habe ich immer argumentiert. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, Monica Gschwind habe sich dank meinen Argumenten weitergebildet.
Gschwind: Das Gegenteil ist der Fall: Tatsache ist, dass ich die Bildungs­politik zuerst thematisiert habe, und zwar weil sie mir ein wichtiges Anliegen ist.
Nebiker: Ich weiss, dass wir jetzt sehr viele politische Vorstösse auf dem Tisch haben. Wer auch immer die ­Bildungsdirektion in Zukunft leitet: Diese Fragen müssen zuerst geklärt werden. Da können wir heute nicht einfach sagen, wir würden es so oder so machen. Es braucht diese Bildungsdiskussion, denn die Bildung ist etwas vom Wichtigsten. Das habe ich differenziert gesagt, und nicht in Form einer Fundamentalkritik. Und nicht mit Polemik.
Gschwind: Noch einmal: Das hat nichts mit Fundamentalkritik zu tun. Ich setze mich dafür ein, dass diese Sammelfächer nicht zustande kommen und habe auch die Parlamentarische Initiative gegen die Sammel­fächer unterschrieben. Wir brauchen einen gezielten Fachunterricht und Lehrkräfte, die in ihren Fächern stark sind und die unsere Jugendlichen für ihr Fach begeistern können. Dies benötigt unsere Wirtschaft. Mit Sammelfächern ist das nicht möglich, so leid es mir tut.
Nebiker: Ich habe bei den Sammelfächern durchaus eine eigene Position.
Gschwind: Aber nichts dazu gesagt.
Nebiker: Die Sammelfächer werden als Schlagwort missbraucht. Wenn der Kanton Baselland entscheidet, wir führen diese Sammelfächer nicht ein, und dieser Entscheid wird ja irgend einmal fallen, akzeptiere ich es. Ob die Sammelfächer nun auch das Gelbe vom Ei sind, da bin ich auch skeptisch.
Soll die Fachhochschule nun eine kombinierte Lehrerausbildung etwa in Wirtschaft und Hauswirtschaft einführen?
Gschwind: Nein, auf keinen Fall. Ich setze mich für eine gute Ausbildung ein. Diese soll an der Universität geschehen, denn damit kann man Doppelspurigkeiten zwischen Universität und Fachhochschule vermeiden. Pädagogik und Didaktik dagegen sollen an der Fachhochschule gelehrt werden.
Nebiker: Ich bin für eine niveau­gerechte Ausbildung der Sekundarlehrkräfte. Wirtschaft und Hauswirtschaft kann man nicht auf allen Niveaus gleich unterrichten. Aber ich bin voll dafür, dass die Universität und die Pädagogische Hochschule je ihre eigene Verantwortung wahrnehmen.


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