Verband der Bündner Lehrpersonen bricht sein Wort, Südostschweiz, 17.1. von Denise Alig
Am vergangenen 30.
Oktober hat der ehemalige
langjährige Churer Sekundarlehrer und
«Südostschweiz»-Blogger Fritz Tschudi dem Verband Lehrpersonen
Graubünden (Legr) einen
Leserbrief für die Dezemberausgabe des «Bündner
Schulblattes» zugestellt. Dies,
nachdem er vom Legr, dem
Herausgeber des «Schulblattes», eine
entsprechende
schriftliche Zusage
erhalten hatte. «Ich freute mich, dass
der Legr in seinem Verbandorgan endlich
auch eine reformkritische Stimme
zu Wort kommen lassen würde», sagt Tschudi
heute. Er hatte dem
«Bündner Schulblatt» zwei Monate zuvor in
einem offenen Brief vorgeworfen,
Informationen zu manipulieren
(«Südostschweiz» vom 22.August). Die
Redaktion habe in der
Augustausgabe über
Kompetenzorientierung gemäss Lehrplan 21 keinen
einzigen kritischen Beitrag gebracht, so
Tschudis damalige Kritik. Die
publizierten Texte trügen «die
Handschrift von Hardcore-Vertretern der neuen
pädagogischen Doktrin».
Doch die Freude über
die Öffnung des «Bündner Schulblattes»
auch für Stimmen, die dem
Lehrplan 21 kritisch gegenüberstehen, wurde
Anfang Dezember, kurz vor Redaktions-schluss, durch einen Brief des
Legr arg getrübt. Darin wurde
Tschudi beschieden: «Die Redaktion sieht
davon ab, Ihr Schreiben zu
veröffentlichen.» Der Leserbrief bringe
keine wesentlich neuen Informationen,
die nicht schon «über den
Artikel auf der Frontseite der ‘Südostschweiz’ in
Graubünden gut verbreitet
wurden», heisst es. Zwar räumte die
Redaktion ein, Tschudi die Möglichkeit
geboten zu haben, «einen
Leserbrief zum Thema
Kompetenzorientierung
beziehungsweise zur August-Nummer zu
schreiben». Doch, so das
«Schulblatt» weiter, «mit Rücksicht auf die
Attraktivität der (...) Zeitung
werden keine bereits
veröffentlichten
Artikel aus Tageszeitungen aufgenommen oder ‘nochmals aufgewärmt’,
insbesondere, wenn diese dem Leser
und der Leserin keinen Mehrwert
beziehungsweise
interessante
Zusatzinformationen bringen».
Tschudi ist entsetzt
und besorgt zuzugleich. «Das Schreiben der
‘Schulblatt’-Redaktion sei ein weiterer
Beweis dafür, dass der
Verband Lehrpersonen Graubünden seiner
Verpflichtung zu einer ausgewogenen
Berichterstattung über aktuelle
pädagogische und schulpolitische Themen
nicht nachkomme, sagt er.
«Der Legr bevorzugt die umstrittene
MainstreamPädagogik klar, abweichende
Beiträge werden unter den Tisch
gewischt, das
kommt einer
eigentlichen Zensur gleich», sagt er. Er
frage sich, ob der Legr sich seiner
grossen Verantwortung bewusst sei. «Der
Verband müsste alle Lehrpersonen
Graubündens
vertreten und deren
Stimme zu bildungspolitischen Fragen nach aussen tragen, wie es dies
beispielsweise das Verbandsorgan der
Baselbieter Lehrerschaft tut.»
Weiter weist Tschudi
darauf hin, dass mehrere Aussagen im
Absagebrief der «Schulblatt»-Redaktion
wahrheitswidrig seien. Erstens habe
der Legr mit seinem
anfänglichen Versprechen, den Leserbrief zu
drucken, und seiner späten Absage nicht
Wort gehalten.
Zweitens habe er von
der Redaktion nie die Auflage
erhalten, über die Kompetenz-orientierung
schreiben zu müssen, einzige
Auflage sei die Beschränkung des Textumfangs auf 1500 Zeichen gewesen.
Drittens stimme es nicht, dass es sich
bei seinem Beitrag für das «Schulblatt»
um einen bereits früher
veröffentlichten Text gehandelt habe. «Mein
Brief enthält durchaus neue
Informationen und schon gar nichts
Aufgewärmtes.» Besonders
der aufmerksame Blick
auf das bisherige
Selbstverständnis der Verbandsverantwortlichen
sei neu und erfordere eine
baldige Debatte. Viertens bezweifelt
Tschudi stark, dass sein Brief der
Leserschaft keinen Mehrwert bringe. Er
findet, ein entsprechendes Urteil könne die
«Schulblatt»-Redaktion getrost den Lesern überlassen. Fünftens
findet er es stossend,
dass seine im
damaligen offenen Brief gestellten
Fragen vom Legr immer noch nicht beantwortet
wurden.
Die Geschäftsleitung
des Verbandes Lehrpersonen
Graubünden (Legr) nimmt zur Kritik von
Fritz Tschudi Stellung, indem sie
auf einen Protokollauszug zur letzten
Jahresversammlung
des Legr verweist.
Darin heisst es sinngemäss,
der Legr habe Tschudis offenen Brief
(«Südostschweiz» vom 22.August 2014) an der Jahresversammlung
offiziell thematisiert
und es habe dazu kein
Diskussionsbedarf bestanden. Originaltext aus dem
Protokoll:
«Da die
'Südostschweiz' einen Leserbrief zum Lehrplan 21
aufgebauscht hat, fragt Präsident
Fabio Cantoni die
Delegierten an, ob Diskussionsbedarf besteht zu dem vom
Lehrplan 21
favorisierten Kompetenzmodell. Trotz doppelter
Nachfrage wird das Wort nicht
gewünscht. Die hart formulierte
öffentliche Kritik am Lehrplan 21 und am
Legr, der diesen unterstütze,
ist folglich bei den aktiven
Lehrpersonen kaum Thema und der Lehrplan
21 bewegt innerhalb des Legr
keine Emotionen.»
Weiter verweist
Präsident Fabio Cantoni gegenüber der
«Südostschweiz» im Namen der
Geschäftsleitung auf den Brief vom 2.
Dezember 2014 an Tschudi (siehe
Artikel oben).
Tschudi kontert. «Es
geht nicht um den Lehrplan 21», sagt
er. Seine noch immer offenen Fragen
seien: «Wie geht der Legr mit
Meinungsvielfalt, freier
Meinungsbildung, mit dem pä-
dagogischen Mainstream
und kritischen Einwänden konkret um?» Und: «Was unternimmt
er zur Förderung von fundierten und
lebendigen Reformdebatten?» Das
stets ängstlich
angepasste Verhalten
der Verbandsleitung stütze den Verdacht,
als verlängerter Arm der
Pädagogischen Hochschule Graubünden
und der Bildungsadministration
dienlich sein
zu wollen, so Tschudi.
«Dem Thema gebührt höchste
Aufmerksamkeit, weil es am ideellen
Selbstverständnis der Verbandsleitung
rüttelt.» Tatsache bleibe: Weder
im «Schulblatt»
noch auf der Website
fänden sich kritische
Sachtexte zu Reformdebatten, auch nicht solche
namhafter Fachautoren.
Publiziert werde grundsätzlich, was der
offiziellen Stossrichtung
entspreche. Er frage sich, warum sich die
Verbandsverantwortlichen dieser Thematik beharrlich verweigerten.
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