17. Januar 2015

Vom Morgengrauen

In einer Winternacht in den 80ger Jahren besuchte ich mit einer Freundin ein Theaterstück in La Chaux-de-Fonds. Es dauerte etwas länger als gedacht und so übernachteten wir in der Neuenburger Uhrenmetropole. Da wir aber am Morgen in Biel um 07.15 Uhr wieder vor unseren SchülerInnen stehen mussten,  fuhren wir in La Chaux-de-Fonds um sechs Uhr früh mit dem Auto los. Es war bitter kalt, die Strassen waren schneebedeckt. Auf der Höhe von Villeret fuhr unser Auto an drei kleinen Gestalten vorbei. Sie hatten alle Tornister auf dem Rücken, waren vollkommen winterfest eingepackt und stapften hintereinander rechts der Landstrasse durch den Schnee. Wir bremsten und fragten die Knirpse, ob wir sie mitnehmen sollten. Natürlich waren die zwei Viertklässler und das jüngere Schwesterchen gut instruiert und lehnten unser Angebot freundlich aber bestimmt ab. Denn man steigt ja nicht zu Wildfremden in ein Auto. Meine Gefährtin, die am Morgen immer Mühe hatte mit dem Aufstehen, schüttelte wütend den Kopf: „Kein Land in der Welt mutet das seinen Kindern zu, c’est typiquement Suisse“ fluchte sie und wir fuhren weiter.
Wer früh aufstehen muss, weiss woher das Wort "Morgengrauen" kommt, Berner Zeitung, 16.1. von Alain Pichard


Ich bin selber ein Morgenmensch und habe mich in meinem Berufsleben noch nie verschlafen. Aber das Bild dieser drei Kinder blieb mir bis heute präsent. Gerade auch jetzt, wo die Debatte über den Schulanfang neu lanciert ist. Und anders als in den 80ger Jahren, in denen zaghafte Wünsche nach einem späteren Schulanfang von Schulkommissionspräsident und Schreinermeister Liechti mit dem „Weichei-Argument abgeschmettert wurden, entwickelt sich die Diskussion in den diversen Foren ganz prächtig. Denn inzwischen haben wir ja Dutzende von Berufen und Verwaltungsbehörden, die es damals nicht so richtig gab: So lassen sich neuerdings Hirnforscher, Schlafforscher, Verkehrsplaner, Jugendpsychiater, Lernberater, Schulpsychologen, Dutzende Abteilungsleiter von lokalen Bildungsgremien zu dieser Frage vernehmen und diskutieren leidenschaftlich mit den inzwischen inthronisierten Schulleitungen über die Frage, ob sich ein späterer Schulanfang machen liesse. Ja sogar ein Ausbildner der Marines in den USA darf hier seine Erfahrungen zum Besten geben. Die Reihe der Bildungspolitiker schliesst his Masters Voice, Frühaufsteher Bernhard Pulver, ab, der eine eventuelle Einführung über einen allfällig späteren Schulbeginn für Ende 2017 in Aussicht stellt.
Man kann es natürlich auch einfacher haben und sich das Beispiel des Oberstufenzentrums Mett-Bözingen in Biel zu Gemüte führen. Schulleitung und Lehrkräfte der Bieler Brennpunktschule hatten sich im Frühling vergangenen Jahres zu einer Retraite für drei Tage an den Hallwilersee zurückgezogen. Dort beschlossen sie einige Neuerungen an ihrer Schule: Die teilweise Aufhebung von Sekundar- und Realklassen, die Umschichtung der Förderlektionen, das Abstellen der kleinen Pausensignale und den einheitlichen Schulanfang um 08.15 Uhr für alle.
Nach einer positiv verlaufenen Elternbefragung holten sich die Bieler die Bewilligung des Schulamts und seit August 2014 läuft nun dieses Modell.
Es habe, so ein Mitglied der Schulleitung noch keinerlei Beschwerden gegeben, die Stimmung sei sehr gut.
Alles was es brauchte, war eine initiative Schulleitung, engagierte und offene Lehrkräfte, einen fähigen Stundenplaner und eine funktionierende Elternarbeit.
Bleibt noch anzumerken, dass dieses innovative und tatkräftige Kollegium das Memorandum gegen den Lehrplan 21 fast unisono unterschrieben hatte. Und auch die Kosten für die Retraite haben die Bieler Lehrkräfte alle aus ihrer Tasche bezahlt. Der Grund: Die sonst übliche Kostenbeteiligung des Kantons wurde nicht gewährt, weil das Kollegium keine Fachperson des Instituts für Weiterbildung hinzuzog.

Lehrer und Schüler des Oberstufenzentrums Mett-Bözingen kümmert dies wenig. Wenn sie in diesen Tagen in die Schule kommen, ist der Hauptverkehr abgeebbt und das Morgengrauen den ersten sanften Sonnenstrahlen gewichen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen