13. Januar 2015

Kontroversen um späteren Schulstart

Die Stadtberner Behörden prüfen die Möglichkeit eines späteren Schulbeginns für Oberstufenschüler. Das Anliegen ist umstritten.




Chronobiologen empfehlen einen späteren Schulstart, Bild: Christian Beutler


Späterer Schulanfang sorgt für Kontroversen, Bund, 13.1. von Mireille Guggenbühler


Das Schulamt der Stadt Bern prüft bis Ende 2015 die Machbarkeit eines späteren Schulbeginns für Oberstufenschüler. Den Anstoss dazu gab ein Antrag von Vertretern der Stadtberner Elternräte. Begründet wurde der Vorstoss mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass die Leistungen von Jugendlichen schon bei 20 Minuten späterem Unterrichts­beginn signifikant höher sind und dass gerade ältere Jugendliche neun bis zehn Stunden Schlaf brauchen (siehe Box zur Schlafforschung).
Das bestätigt Michael Birnstiel, Klassenlehrer der Time-out-Klasse an der Sekundarschule Worb­boden in Worb. «Schüler wie Lehrer brauchen Zeit zum geistigen Hochfahren. Ein Unterrichtsbeginn vor 8 Uhr bringt niemandem etwas.»
Schulleiter warnt vor Folgen
Anders sieht das hingegen Rolf Rickenbach, Oberstufenschulleiter im Schulhaus Hochfeld in der Länggasse und Co-Präsident der Konferenz der städtischen Schulleitungen (KSL). Die Frühstunden seien in der Lehrerschaft wegen der konzentrierteren Atmosphäre nicht unbeliebt und auch am frühen Morgen kämen viele Schüler gerne in den freiwilligen Ergänzungsunterricht, so Rickenbach.
Er plädiert dafür, dass die Folgen ­eines späteren Schulbeginns genau geprüft werden, denn die Morgenlektionen müssen entweder am Mittag oder am frühen Abend nachgeholt werden. «Eine verkürzte Mittagspause jedoch verlangt nach dem massiven Ausbau von Tagesschulstrukturen oder anderweitiger Betreuungsmöglichkeiten.»
Und ein Hineinziehen in den Abend habe Auswirkungen auf Freizeitaktivitäten wie Sport, Musik und kirchlichen Unterricht. Er betont auch die finanziellen Folgen des späteren Schulbeginns. Unabhängig davon führe schon der Lehrplan 21 zu mehr Lektionen und damit finanziellem Mehraufwand, so der Schulleiter.
Auch Philippe von Escher, Lehrer an der Sekundarschule Worb, ist nicht davon überzeugt, dass seinen Schülern ein späterer Schulbeginn lieber wäre als ein früherer Schulschluss. Und im Sommer sei es deutlich angenehmer, in der morgendlichen Frische statt in der nachmittäglichen Hitze den Unterricht durchzuführen.
Allerdings stellt von Escher nicht in Abrede, dass zwischen 9 und 11 Uhr das beste Lernklima herrsche. «Gerade Neuntklässer kommen frühmorgens nur schwer in die Gänge.»
Als Stimme der Schülerinnen und Schüler sagt Johanna Schmid von der Union der Schülerorganisationen (USO), dass es natürlich schön ist, länger auszuschlafen und das vielleicht auch die Züge weniger voll wären.
Doch insgesamt sieht auch der Vorstand der USO mehr Nachteile, wenn man erst um 8.30 Uhr beginnen würde. Man hätte vor allem abends kaum mehr die Chance, Freizeitaktivitäten nachzugehen, wenn beispielsweise die Schule erst um 18 Uhr endet und viele Trainings schon vor Schulschluss beginnen.
Um Aktivität und Bewegung sorgt sich auch Andrea Aeschlimann, Präsidentin der Vereinigung der Elternräte des Kantons Bern (ver:Be). Aeschlimann ist im Gegensatz zu den Stadtberner ­Elternräten «eher nicht dafür, die Freizeit der Kinder mit einem späteren Schulbeginn weiter zu reduzieren.
Weiter müsse man bei einer verkürzten Mittagspause erst flächendeckende Mittagstische schaffen, wovon man hierzulande noch weit entfernt ist. Zudem schade es laut Aeschlimann nicht, die Kinder im Hinblick auf das Arbeitsleben an das Frühaufstehen zu gewöhnen.
Für Franziska Teuscher (GB), Gemeinderätin und Vorsteherin der Direktion Bildung, Soziales und Sport der Stadt Bern, sind die genannten Einwände berechtigt. Deshalb wolle man vom ­Stadtberner Schulamt die Machbarkeit sowie die Vor- und Nachteile des späteren ­Schulbeginns genau prüfen lassen, bevor man einen Entscheid fälle.
Vor allem positive Rückmeldungen erhält Teuscher vom Versuchsprojekt im Stadtberner Schulhaus Munzinger. Dort beginnt der Unterricht seit August 2014 erst um 8.30 Uhr. «Der Stundenplan im Munzinger-Schulhaus zeigt, dass es möglich ist, am Morgen eine Lektion später zu beginnen», sagt Teuscher. Auf die Erfahrungen im Munzinger-Schulhaus stützt sich auch der Antrag der Stadtberner Elternräte.
Die Lösung sieht die Stadtberner ­Bildungsdirektorin in der verkürzten Mittagszeit. «Wenn man Kindern nach einer einstündigen Mittagspause freiwilligen Unterricht zumutet, sollte es auch möglich sein, dann obligatorischen Unterricht durchzuführen.» Die Mittagspause von zwei auf eine Lektion zu verkürzen, wäre auch für Johanna Schmid von der Schülerorganisation USO «verkraftbar».


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