17. Januar 2015

Druckschrift für dumme Schüler

Das Ende der Schnürlischrift wird hierzulande grösstenteils begrüsst. In Luzern und im Aargau ist man übergegangen zur neuen Basisschrift. Sie solle es "einfacher" machen für die Kinder. Mal abwarten. Mit Heike Schmoll meldet sich nun eine Stimme aus Deutschland, die findet, dass die Druckschrift die Schüler dümmer mache.
Arme Sprache, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.1. von Heike Schmoll


Jeder kennt die traumatischen Szenen des Schreibenlernens: ein m mit zwei Bögen, von denen der letzte mit schöner Regelmäßigkeit entgleitet. Generationen von Grundschülern haben ihre Erfahrungen mit Bögen und Häkchen gemacht. Davon hat sich nicht nur Hamburg verabschiedet. In immer mehr Grundschulen wird die Druckschrift nicht nur als erste, sondern als einzige Schrift gelernt, obwohl die Kultusministerkonferenz daran festhält, dass am Ende der vierten Klasse eine flüssige, lesbare Handschrift geschrieben werden soll.
Propagiert wurde die Neuerung vom einflussreichen Grundschulverband, der weniger eine Interessenvertretung ist als eine Lobbygruppe mit kommerziellen Absichten. Nicht zufällig vertreibt der Verband, der für das von ihm selbst beklagte Schreibchaos in Deutschlands sechzehn Ländern erst gesorgt hat, das zugehörige Lernmaterial. Der Arbeitskreis Grundschule, aus dem der Grundschulverband hervorging, hat der Lateinischen Ausgangsschrift, die 1941 von den Nationalsozialisten im Westen eingeführt worden war, in den siebziger Jahren eine vereinfachte Ausgangsschrift hinzugefügt. Der erwartete Durchbruch blieb aus, weil sie etabliert worden war, ohne vorher auf ihre Lerneffekte zu achten.
Vier unterschiedliche Schriften
So ist es auch mit der jetzt vom Grundschulverband propagierten Grundschrift, einer Druckschrift mit wenigen Verbindungen zwischen den einzelnen Buchstaben. Es gibt bisher keine oder nur unzureichende Erkenntnisse darüber, mit welcher Schrift Kinder besser Schreiben und Lesen lernen. Überzeugt hat der Verband Lehrer und Eltern sowie Politik und viele zeitgeistanfällige Erziehungswissenschaftler mit demselben fadenscheinigen Argument, mit dem auch die Rechtschreibreform
Grundschüler in Deutschland lernen vier unterschiedliche Schriften. Denn in den ostdeutschen Ländern wird häufig weiter die Schrift gelehrt, die 1968 von der DDR eingeführt wurde. Im Westen beginnen viele Grundschulen mit Druckschrift, um dann in der zweiten und dritten Klasse mit der Schreibschrift fortzufahren. Doch es gibt nicht einmal ländereinheitliche Regelungen, jede Schule, jede Schulkonferenz, ja, jeder Grundschullehrer entscheidet ganz nach Gusto.
Aufsehen erregt jetzt der Beschluss Finnlands, nur noch Druckbuchstaben zu lernen - und das Tippen auf Tastaturen. Wer Schreibschrift unterrichten will, kann das weiter tun, aber wichtiger ist es den Finnen, Virtuosität auf iPad und Computer zu entwickeln. Selbst die Schweiz verabschiedet gerade die Schnürlischrift, wie dort die Schreibschrift genannt wird. Die Begründungen lauten überall ähnlich: Das sei eine Erleichterung.
Die Kultusminister drücken sich
Spätestens seit den siebziger Jahren hätte es die Gelegenheit gegeben, zu untersuchen, ob das wirklich stimmt und welche Schriftart sich wie auf das Lernen auswirkt. Aber darauf wurde verzichtet. Der Deutsche Lehrerverband versucht jetzt wenigstens in einer Umfrage herauszufinden, wo Grundschullehrer und Lehrer weiterführender Schulen die Schwierigkeiten mit dem Schreibchaos sehen und wie mögliche Lösungen aussehen könnten. CDU und FDP haben in Nordrhein-Westfalen eine Anhörung zum Schreibunterricht in der Grundschule im Landtag beantragt, weil der Bericht des dortigen Kultusministeriums zur Schreibfertigkeit einfach zu dürftig ausgefallen war. Nicht nur dort drückt sich das Kultusministerium um Erkenntnisse über Schreibfertigkeit oder gar orthographische Fähigkeiten ihrer Schüler. Darin zeigt sich eine erschreckende Geringschätzung von Sprache. Die äußert sich auch darin, dass in der Grundschule das Schreiben nach Aussprache gelernt wird, dass der obligatorische Wortschatz für Grundschüler gekürzt wurde und dass ausgerechnet beim Deutschunterricht gespart werden soll.
Dass die Schreibschrift nicht nur ein Relikt aus den Tagen handgeschriebener Briefe und Tagebücher ist, offenbart sich in französischen und amerikanischen Studien. Sie belegen, dass Kinder, die flüssig mit der Hand schreiben, andere und mehr Hirnareale aktivieren als beim Tippen einzelner Buchstaben. In Kanada und den Vereinigten Staaten haben Studien gezeigt, dass Schüler mit einer Verbundschrift sich Texte besser merken und ihren Sinn besser erfassen können. Stutzig macht auch, dass Studenten, die mit der Hand mitschreiben, erwiesenermaßen besser lernen, als wenn sie ihre Notizen in den Computer tippen.
Offenbar gibt es auch Indizien dafür, dass Kinder beim Erlernen einer verbundenen Handschrift leichter Lesen lernen. Denn das Schreiben mit der Hand ist gerade in der Anfangsphase des Lernens ein Prozess, bei dem nicht einzelne Buchstaben isoliert verschriftet werden, sondern sprachliche Einheiten, die Silben und Morphemen entsprechen. Gute Schreiber rhythmisieren entlang von Silben, während schwache Schreiber keinen Rhythmus finden und nur den einzelnen Buchstaben sehen. Verbundene Schriften machen sprachliche Einheiten besser lernbar. Es wäre Sache der Kultusminister, das deutsche Erkenntnisdefizit zu beheben und eine einheitliche Ausgangsschrift zu beschließen. Sonst werden weiterhin einflussreiche Lobbyisten ihre Propaganda in die Schulen tragen.


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