Unklar ist, wann die gestrichene Lektion nachgeholt werden soll, Bild: Fotolia
Müde Schüler: Stadt Bern will die Frühstunden streichen, Berner Zeitung, 9.1. von Tobias Marti
Der Lehrer ist krank, die
erste Stunde fällt aus. Eine Nachricht, für Schüler so schön wie der Klang der
Pausenglocke. Es geht aber noch besser: «Die Frühstunde wird abgeschafft, ihr
könnt ab sofort länger ausschlafen.» Von solchen Meldungen wagen Schüler höchstens
zu träumen. In der Stadt Bern könnte dieser Traum aber bald wahr werden.
Die Stadt plant, die
Frühstunden der Oberstufenschüler zu reduzieren oder ganz zu streichen. Der
Unterricht soll für Schüler ab der 7.Klasse nicht mehr um 7.30 Uhr beginnen,
sondern voraussichtlich eine Lektion später. Die Jugendlichen dürfen also in
Zukunft länger im Bett liegen bleiben.
Die Leistung der Schüler
sei bei einem späteren Unterrichtsbeginn signifikant höher, sagt Annemarie
Tschumper, Ärztin und Co-Leiterin des Stadtberner Gesundheitsdienstes. Nach
wissenschaftlichen Studien würden die Schüler dank des späteren
Unterrichtsbeginns auch mehr lernen.
Ein Experiment der U.S. Navy
Es war keine erholsame Zeit
für die Rekruten im Trainingscamp der US Navy. Um zehn Uhr abends löschte der
Feldwebel das Licht, um vier Uhr morgens wurden die jungen Männer wieder
geweckt. Erlaubt waren ihnen nur sechs Stunden Schlaf. Ein Jahr später wurde das
Experiment wiederholt.
Nun durften die 17- bis
19-jährigen Rekruten eine Stunde länger schlafen. Der Feldwebel löschte also
bereits eine Stunde früher das Licht und befahl: «Schlafenszeit!» Der Befehl
wurde nicht befolgt. Nicht das die jungen Rekruten nicht wollten, sie konnten
schlicht nicht einschlafen. Sie schafften es nicht, ihren Schlafrhythmus zu
überwinden.
Was für US-amerikanische
Rekruten gilt, gilt auch für Berner Teenager, davon ist Annemarie Tschumper
überzeugt. Der Anstieg des Melatoninspiegels ist bei Teenagern zeitlich nach
hinten verschoben, und damit auch ihr Tag-Nacht-Rhythmus. Jugendliche brauchen
zwar neun bis zehn Stunden Schlaf, schaffen es aber selten, vor 22 Uhr
einzuschlafen. Das Ergebnis am nächsten Morgen: müde, gereizte und unaufmerksame
Schüler. Dies habe man auch in der schulärztlichen Untersuchung festgestellt,
sagt Tschumper. Schlafmangel sei für viele Oberstufenschüler ein grosses
Problem.
Teuscher findet die Idee gut
Die Idee, später mit dem
Unterricht zu beginnen, ist nicht neu. Bereits in den 1940er-Jahren wurde sie
vom damaligen Schularztamt thematisiert. Nun erlebt die Idee ihr Revival: «Ich
hege grosse Sympathie für dieses Anliegen», sagt Franziska Teuscher (GB),
Direktorin für Bildung, Soziales und Sport: «Die Schülerinnen und Schüler
sollten dann in die Schule gehen, wenn sie aufnahmefähig sind», sagt sie.
Die Volksschulkonferenz
teilt Teuschers Meinung. Die Konferenz sprach sich in ihrer letzten Sitzung für
das Anliegen aus. Auch die Elternräte der Stadt Bern stehen geschlossen hinter
dem Antrag. Bis Ende 2015 wollen das Schulamt und die Schulleitungen nun die
Machbarkeit prüfen. «Die Idee wird frühestens im Schuljahr 2017/2018
umgesetzt», sagt Teuscher.
Wer später mit dem
Unterricht beginnt, aber nicht länger in der Schule sitzt, dem fehlen
Lektionen. Eine Rechnung, die jedem Erstklässler einleuchtet. Und genau diese
Rechnung stellt das Schulamt vor ein Dilemma. Die derzeitige Anzahl Lektionen
muss nämlich auch ohne Frühstunden eingehalten werden. Und mit dem Lehrplan 21
kommen in Zukunft mehr Lektionen hinzu. «Darum müssen die gestrichenen
Frühstunden zu einer anderen Zeit kompensiert werden», sagt Teuscher.
Zwei Varianten sind
denkbar: Entweder wird die Mittagspause von zwei auf eine Stunde gekürzt, oder
der Unterricht dauert bis 17.30 Uhr, also eine Lektion länger als bisher. So
oder so, Teuscher ist sich bewusst: «Die Diskussion um den Schulalltag wird
sicher kontrovers werden.»
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