NZZ, 1 von 40 Schulkindern in Zürich nimmt Ritalin, NZZ, 19.12.
Rund 3000 Schulkinder erhielten im Kanton Zürich im
Jahr 2012 Ritalin - doppelt so viele wie noch 2006. Die Zahl entspricht 2,6
Prozent der Schulkinder, was nahe am schweizweiten Durchschnitt von 2,4 Prozent
liegt. In einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
(ZHAW), vom Kantonsrat 2011 gefordert und vom Regierungsrat in Auftrag gegeben,
sind diese Werte ermittelt und deutliche Unterschiede zwischen den
Geschlechtern festgestellt worden: Knaben wurde das Medikament dreimal häufiger
verschrieben als Mädchen.
Insgesamt nahm die Fallzahl von 2006 bis 2010 stark
zu, dann stabilisierte sie sich. Über die Gründe für den Anstieg können die
Studienverfasser nur mutmassen: Womöglich hat sich die Chance erhöht, dass
Kinder mit ADHS überhaupt erfasst und behandelt werden. Weil Öffentlichkeit und
Fachleute heute stärker sensibilisiert sind als früher, ist das die
wahrscheinlichste Erklärung. Denkbar ist allerdings auch, dass heute mehr
ADHS-Fälle medikamentös behandelt und dabei andere Therapieformen -
Psychotherapie, Homöopathie oder Ergotherapie - verdrängt werden.
Dass bei immer mehr Kindern ADHS diagnostiziert
wird, stösst in der Öffentlichkeit immer wieder auf Kritik (NZZ 11. 12. 14).
Der Vorwurf lautet, dass die Gesellschaft intoleranter gegenüber lauten und
auffälligen Kindern geworden sei und zu viele davon heute mit Medikamenten
ruhiggestellt würden. Auch die in der ZHAW-Studie befragten Fachleute sagten,
der Begriff werde «überstrapaziert». Dabei komme es zu vorschnellen Diagnosen,
wenn Kinder der Norm nicht entsprächen.
Allerdings bezweifelten die Fachleute nicht, dass
Ritalin bei sorgfältig diagnostizierten ADHS-Fällen sinnvoll eingesetzt werden
kann. Die meisten Eltern, die man im Rahmen der Studie befragt hat, sind mit
der Medikamententherapie denn auch zufrieden. Den Entscheid machte sich kaum
jemand leicht: Viele griffen erst dann zu Ritalin, als andere Therapieformen
beim Kind keinen Erfolg zeigten. Der Leidensdruck des Kindes, vor allem im und
um das Schulzimmer, war ausschlaggebend.
Der Zürcher Regierungsrat sieht laut einer
Mitteilung vom Donnerstag im Kanton jedenfalls keinen politischen
Handlungsbedarf. Dies aus zwei Gründen: Erstens fühlten sich laut der Studie
die meisten Eltern gut beraten. Zweitens wolle bereits der Bund die Entwicklung
der ADHS-Fallzahlen weiter im Auge behalten, nachdem auch im nationalen
Parlament kritische Vorstösse eingebracht worden sind.
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