22. Dezember 2014

Ritalin-Abgabe wächst

Die Zahl der midikamentös behandelten ADHS-Fälle hat sich im Kanton Zürich innerhalb von sechs Jahren verdoppelt.
NZZ, 1 von 40 Schulkindern in Zürich nimmt Ritalin, NZZ, 19.12.


Rund 3000 Schulkinder erhielten im Kanton Zürich im Jahr 2012 Ritalin - doppelt so viele wie noch 2006. Die Zahl entspricht 2,6 Prozent der Schulkinder, was nahe am schweizweiten Durchschnitt von 2,4 Prozent liegt. In einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), vom Kantonsrat 2011 gefordert und vom Regierungsrat in Auftrag gegeben, sind diese Werte ermittelt und deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern festgestellt worden: Knaben wurde das Medikament dreimal häufiger verschrieben als Mädchen.
Insgesamt nahm die Fallzahl von 2006 bis 2010 stark zu, dann stabilisierte sie sich. Über die Gründe für den Anstieg können die Studienverfasser nur mutmassen: Womöglich hat sich die Chance erhöht, dass Kinder mit ADHS überhaupt erfasst und behandelt werden. Weil Öffentlichkeit und Fachleute heute stärker sensibilisiert sind als früher, ist das die wahrscheinlichste Erklärung. Denkbar ist allerdings auch, dass heute mehr ADHS-Fälle medikamentös behandelt und dabei andere Therapieformen - Psychotherapie, Homöopathie oder Ergotherapie - verdrängt werden.
Dass bei immer mehr Kindern ADHS diagnostiziert wird, stösst in der Öffentlichkeit immer wieder auf Kritik (NZZ 11. 12. 14). Der Vorwurf lautet, dass die Gesellschaft intoleranter gegenüber lauten und auffälligen Kindern geworden sei und zu viele davon heute mit Medikamenten ruhiggestellt würden. Auch die in der ZHAW-Studie befragten Fachleute sagten, der Begriff werde «überstrapaziert». Dabei komme es zu vorschnellen Diagnosen, wenn Kinder der Norm nicht entsprächen.
Allerdings bezweifelten die Fachleute nicht, dass Ritalin bei sorgfältig diagnostizierten ADHS-Fällen sinnvoll eingesetzt werden kann. Die meisten Eltern, die man im Rahmen der Studie befragt hat, sind mit der Medikamententherapie denn auch zufrieden. Den Entscheid machte sich kaum jemand leicht: Viele griffen erst dann zu Ritalin, als andere Therapieformen beim Kind keinen Erfolg zeigten. Der Leidensdruck des Kindes, vor allem im und um das Schulzimmer, war ausschlaggebend.

Der Zürcher Regierungsrat sieht laut einer Mitteilung vom Donnerstag im Kanton jedenfalls keinen politischen Handlungsbedarf. Dies aus zwei Gründen: Erstens fühlten sich laut der Studie die meisten Eltern gut beraten. Zweitens wolle bereits der Bund die Entwicklung der ADHS-Fallzahlen weiter im Auge behalten, nachdem auch im nationalen Parlament kritische Vorstösse eingebracht worden sind.

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