Latein, Chinesisch, Französisch, Englisch, ...? Bild: Schaad, Tages Anzeiger
Englisch, Englisch, Englisch, Tages Anzeiger, 1.12. von Martin Ebel
Als
Goethe auf seiner italienischen Reise in Torbole am Gardasee Station machte,
fragte er den Hausknecht nach «einer gewissen Gelegenheit». Auf gut Deutsch:
Er musste aufs WC. «Qui adesso può servirsi», sagte der Hausknecht – so notierte
es Goethe – und deutete in den Hof hinunter. Goethe darauf: «Dove?» Die
Antwort: «Da per tutto, dove vuol.» Überall also könne er sich erleichtern.
Heute weisen Piktogramme
auch dem Fremdesten, Sprachunkundigsten überall auf der Welt den Weg zur
Toilette (und ins richtige Häuschen), aber für weitergehende Bedürfnisse
braucht man bald die Landessprache. «Der Deutsche soll alle Sprachen lernen, damit
ihm zu Hause kein Fremder unbequem, er aber in der Fremde überall zuhause
sei», sagt Goethe in seinen «Maximen und Reflexionen». Ein Maximalprogramm,
dem nicht einmal er selbst gerecht wurde.
Immerhin konnte er sehr
gut Italienisch und Französisch, etwas weniger gut Englisch, dazu klassisches
Latein und Griechisch, sogar ein wenig Hebräisch. Er hat leicht gelernt, «ohne
Pedanterie, nur aus dem Gebrauch, ohne Regel und Begriff», wie er sich
erinnert. Nun, er war schliesslich Goethe und sass auch nicht mit dreissig
Mitschülern in einer Klasse. Sein Fremdsprachenprogramm kann kein Vorbild für
eine globalisierte Nation wie die Schweiz sein, die Begründung allerdings
schon: in der Fremde sich zu Hause fühlen, zu Hause den Fremden entgegenkommen.
Latein?
Oder doch Chinesisch?
Wenn
es nur so einfach wäre! Eine fremde Sprache lernt sich nicht wie
ein Kartenspiel, eher wie ein Musikinstrument, also durch ausdauerndes,
geduldiges, diszipliniertes Üben. Auch der Klügste muss pauken. Und allzu
selten kann er das unter idealen Bedingungen, die wären: dort, wo man die
Sprache spricht. Der Normalfall des Fremdsprachenerwerbs ist dieSchule. Dort hat man einerseits viel Zeit
– nämlich mindestens die neun Jahre der obligatorischen Schulzeit; anderseits verdammt
wenig – nämlich nur einige Wochenstunden.
Trotzdem: In der Zeit
sollte sich einiges bewerkstelligen lassen. Man muss sich allerdings
entscheiden. Wie viele Sprachen, welche Sprachen, in welcher Reihenfolge, wie
früh und wie lange? Darüber herrscht Verwirrung, Verunsicherung und Streit.
Verunsichert sind vor allem die Eltern, die ja stets das Beste für ihre Kinder
wollen. Aber was ist das Beste? Englisch, weil das die Weltsprache ist?
Französisch, die andere grosse Landessprache? Latein als Bildungsfundament?
Oder doch Chinesisch, weil das die Zukunft ist und etwas, durch das man sich
von der Konkurrenz abheben kann?
Der
aktuelle Konflikt ist aus einer richtigen Entscheidung der höchsten Bildungspolitiker entstanden. 2000 beschlossen
diese, früher mit dem Sprachenlernen zu beginnen. Seither werden schon in der
Primarschule zwei Fremdsprachen unterrichtet, die erste in der dritten, die
zweite in der fünften Klasse.
Gegen zwei Fremdsprachen
in der Primarschule sind fünf Volksinitiativen hängig, frühere Initiativen sind
allerdings alle gescheitert. Zündstoff liegt auch in der Sprachenfolge. Die
romanischen Kantone beginnen mit Deutsch; in den deutschsprachigen Kantonen
ist aber ein anglofranzösischer Graben aufgebrochen, nennen wir ihn den
Froschschenkelgraben. Im Westen wird zuerst Französisch, in Zürich und der
Ostschweiz Englisch gelernt. Letzteres zum grossen Ärger der Romands, die
es sowieso fuchst, wenn sie mit ihrem mühevoll erworbenen Schulhochdeutsch
nach Zürich oder Basel kommen und dort, mit der Mundart konfrontiert, nicht einmal
Bahnhof verstehen.
Ja, die Mundart: Die
verkompliziert die Situation noch, denn für das Schweizer Kind fällt die erste
Fremdsprache nicht in der dritten, sondern in der ersten Klasse an:
Hochdeutsch. Ein Handicap, das sich zum Vorteil wenden kann: Denn die Begegnung
mit fremden Wörtern, Regeln und Strukturen hat das Kind schon einmal
erlebt. Mehrsprachigkeit im Deutschen, das Nebeneinander zwischen heimeliger
Mundart und komplexer Schriftsprache, wird es das ganze Leben begleiten; der
Französisch- oder Englischunterricht kann da andocken. «Der Mensch ist das
Wesen, das mehrere Sprachen lernt», hat der grosse
Sprachwissenschaftler Mario Wandruszka definiert. Er fasst den Begriff
«Sprache» weit, für ihn wechseln wir ständig – in Fachsprachen, in den Slang,
in ein Familienidiom voller Anspielungen und vieles mehr.
Der junge Schweizer hat
es mit seiner Zweispurigkeit des Deutschen also schwerer und leichter zugleich
als ein Schüler «einsprachiger» Länder. Lernt er Englisch oder Französisch, so
nicht von der Mundart aus, sondern vom Hochdeutschen, mit dem er vielleicht
noch seine liebe Mühe hat (was verstärkt für Migrantenkinder gilt). Er muss die
Kräfte einteilen, sich konzentrieren.
Anderseits: weniger als
zwei – echte – Fremdsprachen dürfen es nicht sein. Die eine wegen der
Internationalität, die andere wegen des eigenen Landes. Die Schweiz hat
keine Zukunft ohne eine qualifizierte Bevölkerung, die mühelos die
Weltsprache unserer Zeit beherrscht – die Sprache der digitalen Welt, der
besten TV-Serien, der Technik, der internationalen Politik, der Wissenschaft
(inzwischen sogar Teile der Sozial- und Geisteswissenschaften).
Schlüssel
für andere Länder
Und damit beantwortet
sich für mich die Frage der Sprachenfolge mit einem Dreiklang, ähnlich dem, den
die Makler beim Häuserkauf anstimmen. Drei Dinge sind entscheidend, sagen
sie: Lage, Lage, Lage. Also Englisch, Englisch, Englisch! So früh wie möglich,
so lange wie möglich, so intensiv wie möglich, damit das Ergebnis so gut wie möglich
ausfällt. Am besten die gesamte Schulzeit hindurch, in den höheren Klassen mit
dem Einsatz von «native speakers», mit Austauschprogrammen, mit
Englischunterricht auch in anderen Fächern.
Ziel muss das sein, was
man in Stellenanzeigen mit «Verhandlungssicherheit» bezeichnet. Wer sich in der
Generation, die heute und in den nächsten Jahren ins Berufsleben einsteigt, im
Englischen unsicher ist oder unwohlfühlt, wird wie behindert sein (und so
behandelt werden). Andersherum ausgedrückt: Das Englische muss für jeden mit
dem mindesten beruflichen und gesellschaftlichen Ehrgeiz eine Kulturtechnik
sein wie Lesen, Schreiben, Rechnen.
Zum Nachteil des
Französischen? Für viele, die nicht zwei Fremdsprachen bis zur Perfektion
treiben können, schon. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist längst so, dass
sich viele Welsche und Deutschschweizer leichter miteinander tun, wenn sie
sich auf Englisch unterhalten können. Und ist das wirklich schlimm?
Englisch top,
Französisch so gut wie möglich: Das ist das Minimum, und wenn es gelingt, ein
schönes Ergebnis. Auf der Sekundarstufe, im Gymnasium ist natürlich mehr drin.
Es ist der Platz für Lust und Luxus. Das kann also Italienisch sein, die
dritte Landessprache, oder Spanisch, beide für Französischerfahrene leicht
zugänglich. Es kann Russisch sein, nicht nur zum Putinverstehen, sondern auch
wegen Puschkin und Achmatowa. Warum nicht Arabisch oder Chinesisch? Kommt man
bei diesen exotischeren Sprachen nicht wirklich weit, so kann man doch in
Geist und Kultur dieser Länder oder Sprachräume eindringen.
Hier wäre auch der
angemessene Platz für Latein: in einem zweijährigen Kurs, der nicht vorwiegend Deklinationen
paukt, sondern die römische Zivilisation vermittelt. Dass Latein die Grundlage
aller modernen Sprachen sei, ist nur historisch richtig, sprachpädagogisch aber
ein zeitraubender Umweg. Umgekehrt funktioniert es besser: Wer gut Französisch
kann, dem erschliesst sich auch ein lateinischer Text leichter als
pubertierenden Zwölfjährigen.
«Carpe diem», sagen die
um die Zukunft ihrer Kinder besorgten Eltern und wählen Sprachen nach
Nützlichkeitserwägungen. Schon recht. Aber ohne Freude an der Sache ist alles
nichts. Und welche Freude kann die Entdeckung und Eroberung eines fremden
Universums machen! Wer eine Sprache lernt, setzt Verstand und Herz, Ohren und
Mund ein, mobilisiert alle intellektuellen, sinnlichen und emotionalen Fähigkeiten
– und befriedigt sie im besten Fall auch.
Diesem besten Fall muss
sich der Sprachunterricht anzunähern suchen. Mit tollen Texten (die gibt es,
gerade in der modernen Literatur) und gespielten Alltagsszenen, mit dem Einsatz
modernster Medien und lebendiger Muttersprachler. Auch mit vergleichenden und
historischen Ansätzen: Manchmal hilft es, gerade auf den Unterschieden zur Muttersprache
zu insistieren («snake» ist Schlange, «snail» ist Schnecke), manchmal das
Wissen, wie sich ein Wort entwickelt hat, um es sich einzuprägen.
Vor allem kann guter
Sprachunterricht vermitteln, dass mit neuen Wörtern, Klängen und Formen auch
ein anderer Geist in das eigene Hirn einzieht. Dass dieses reicher wird. Dass
in diesem Hirn ein paar Schlüssel zu neuen Welten Platz haben, die nicht nur
nützlich sind, sondern auch faszinierend, schön anzusehen, wohlklingend. Dass
es schliesslich einfach mehr Spass macht, nach dem Klo zu fragen, wenn man es
kann, als stumm und blöd den Piktogrammen zu folgen.
Kommt ziemlich aufgeblasen daher, dieser Text. Reicht eine Promotion und ein Plätzchen in der Tagi-Redaktion, um über dieses Thema vernünftig schreiben zu können?
AntwortenLöschenProgressive English bietet unter anderem qualitativ hohe Englisch-Kurse in Zürich an. Ich habe selbst ein Privatkurs gebucht, was mich optimal auf meine Prüfungen vorbereitet hat. Ev. hilft das hier in diesem Artikel: https://www.progressive-english.ch/
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