Das Schrauben an der Klassengrösse ist eine der wirkungsvollsten
bildungspolitischen Massnahmen, wenn es um Geld geht. Bemisst sich die
Massnahme allerdings nach pädagogischen Zielen, ergibt sich eine ziemlich
konträre Sicht: Die Klassengrösse ist für Unterricht, Disziplin, Wohlbefinden
und Schulleistungen der Kinder von untergeordneter Bedeutung, zumindest im Kanton
Zürich, wo bereits heute mehr als 90 Prozent der Klassen 23 oder weniger
Schülerinnen und Schüler umfassen.
Nahezu wirkungslos, NZZ, 11.11. von Urs Moser
Selbstverständlich spielt es für Lehrerinnen und Lehrer eine Rolle, ob
sie 22 oder 18 Aufsätze korrigieren, 22 oder 18 Elterngespräche führen. Der
Arbeitsaufwand sinkt im Gleichschritt mit der Abnahme der Klassengrösse. Zudem
bieten kleinere Klassen die Möglichkeit, die Zeit der Interaktion zwischen
Lehrperson und Kind zu erhöhen. Die Schulkinder werden im Unterricht häufiger
aufgerufen, können sich weniger gut verstecken. Und trotzdem zeigen
wissenschaftliche Untersuchungen in ungewöhnlich hoher Übereinstimmung, dass
die Schüler in kleineren Klassen weder motivierter sind noch mehr lernen und
dass Lehrer ihre Unterrichtsformen nicht ändern, wenn sie in einem Jahr 22
Kinder und im nächsten 18 Kinder unterrichten.
Die Klassengrösse zählt zu jenen Faktoren, die auf Unterrichtsqualität
und Lernerfolg kaum einen Einfluss haben. Kinder profitieren in Klassen mit 25
mehrheitlich motivierten Schülerinnen und Schülern und einer fachlich wie
pädagogisch kompetenten Lehrerin deutlich mehr als in Klassen mit 15 Kindern,
von denen die Mehrheit Lernen als «uncool» bezeichnet oder deren Lehrer nicht
imstande ist, die Klasse effizient zu führen.
Von den vielen für guten Unterricht und Lernerfolg bedeutsamen Faktoren
sind in der Klassengrössen-Diskussion zwei besonders relevant: das
professionelle Vorgehen der Lehrer im Unterricht und die Zusammensetzung der
Klasse. Je besser Lehrerinnen fachlich und pädagogisch-didaktisch ausgebildet
sind, desto einfacher fällt es ihnen, strukturiert und anregungsreich zu
unterrichten und Kinder mit Lernschwierigkeiten erfolgreich zu unterstützen.
Und je besser die motivationalen Voraussetzungen der Klasse sind, desto grösser
ist die Chance, dass die Schüler das Unterrichtsangebot aktiv nutzen. Ob in
einer Klasse 22 oder 18 Kinder sitzen, spielt hingegen keine Rolle.
Die Beschränkung der Klassengrösse auf 20 Kinder ist nicht nur teuer und
pädagogisch nahezu wirkungslos, sie ist auch ungerecht. Durch die Anwendung des
Giesskannenprinzips wird verhindert, dass die Mittel dort eingesetzt werden, wo
sie gebraucht werden: in Klassen mit schwierigen Lehr-Lern-Bedingungen. Diese
Klassen brauchen mehr Ressourcen, beispielsweise, indem das Betreuungsverhältnis
erhöht wird, bestimmte Fächer im Halbklassenunterricht erteilt oder zusätzliche
Stunden für ausgewählte Schüler ermöglicht werden. Aufgrund der
wissenschaftlichen Erkenntnisse könnte man - prononciert ausgedrückt - auch zum
Schluss kommen, die Klassengrösse zu erhöhen und das frei werdende Geld Schulen
in Einzugsgebieten tendenziell anspruchsvollerer, schwierigerer Schüler zur
Verfügung zu stellen.
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