Die «Neue Zürcher Zeitung» hat sich in ihrer Samstagausgabe gegen die
Klassengrössen-Initiative ausgesprochen. Mit ihrer Argumentation liegt sie
gleich auf zwei Ebenen falsch. Auf der Ebene der Bildungsqualität stützt sie
sich auf wissenschaftliche Studien. Diese besagen, dass die meisten
Schülerinnen und Schüler dem Unterricht auch in grösseren Klassen folgen
könnten. Unsere Erfahrungen im Schulalltag zeigen dagegen: Dies gilt nur für
sehr gute und gute Schülerinnen und Schüler. Schulisch mittelmässige und
schwache Kinder und Jugendliche würden sehr stark profitieren, wenn die
Lehrerinnen und Lehrer dank kleineren Klassen mehr Zeit für sie hätten.
Alle werden profitieren, NZZ, 11.11. von Lilo Lätzsch
Ich unterrichte eine 3.-Sekundar-Klasse mit 25 Jugendlichen. Ich tue
mein Bestes, um sie alle für den Übergang in eine Lehre oder eine andere
Anschlusslösung fit zu machen. Doch wäre die Klasse kleiner, könnte ich für den
Einzelnen und die Einzelne mehr tun. Eine Lektion dauert 45 Minuten. Im
Sprachunterricht etwa würde jeder und jede Einzelne in einer kleineren Klasse
mehr mündliche Partizipationsmöglichkeiten erhalten.
Für die hohe Belastung der Lehrkräfte macht es zudem einen Unterschied,
ob 25 oder 20 Aufsätze zu korrigieren sind. Angesichts ihrer vielen Überstunden
helfen sich die Lehrer selber, indem sie einfach weniger Aufsätze schreiben
lassen. Für die Bildungsqualität ist dies der falsche Weg. Wer diese hochhält,
muss der Klassengrössen-Initiative zustimmen. Die Mitglieder des Lehrerinnen-
und Lehrervereins ZLV haben diesen Zusammenhang in einer Umfrage bestätigt, in
der sie zu grosse Klassen als stärksten Belastungsfaktor bezeichneten.
Falsch liegt die NZZ mit ihrer Schlussfolgerung auch auf politischer
Ebene. Sie anerkennt zwar die Überlastung der Lehrpersonen, doch sei die
Klassengrössen-Initiative das falsche Instrument. Am Ende folgt ein vager
Hinweis, es brauche feineres Werkzeug. Um was es sich dabei handeln könnte,
wird nicht gesagt. Immerhin wird noch darauf hingewiesen, dass in den letzten
Jahren fast alle Vorschläge zur Entlastung der Lehrpersonen abgeschmettert
wurden, etwa im nahezu wirkungslosen Projekt Belastung/Entlastung der
Bildungsdirektion. Ein weiteres Beispiel verdeutlicht, weshalb die Lehrpersonen
frustriert sind. Kürzlich unterbreitete der ZLV den politisch Verantwortlichen
einen differenzierten Vorschlag zur Belastungsreduktion. Dieser hätte erlaubt,
bezüglich Klassengrösse die individuelle Situation in jeder Klasse zu
berücksichtigen. Die Bildungsdirektion und die kantonsrätliche Kommission für
Bildung und Kultur wiesen ihn ohne genaue Prüfung ab.
Motivierte Lehrerinnen und Lehrer, die genügend Zeit für den einzelnen
Schüler und die einzelne Schülerin haben, sind der Schlüssel zu einer
gelingenden Schule. Eine solche ist für die Kinder, Jugendlichen und ihre
Eltern ebenso wichtig wie für die heimische Wirtschaft. Die Investitionen in
die Zürcher Volksschule sollen Früchte tragen - für alle. Die Stimmberechtigten
können dies mit einem Ja zur Klassengrössen-Initiative und als zweitbeste
Lösung zum Gegenvorschlag des Kantonsrats sicherstellen.
Lilo Lätzsch ist Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands ZLV
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