16. November 2014

Eine Fehlkonstruktion

Der Lehrplan ist nicht einfach zu lang, er ist eine Fehlkonstruktion, weil er Grundzüge von Lernvorgängen missachtet. Der Versuch, alles unter den einen Begriff der Kompetenz zu zwängen, führt am Ende zu einer Ansammlung von Talkshow-Fähigkeiten. «Kompetenzen» sind nichts anderes als verkappte «Produkte». Aus dem kommerziellen Bereich ist die Marotte, alles Mögliche als Produkt aufzufassen, in den erzieherischen Bereich übergeschwappt. Produkte kann man abpacken, lagern und bei Bedarf verwenden. Fähigkeiten verhalten sich jedoch nicht wie Produkte. Die eine Schülerin erfasst die Prozentrechnung innerhalb von fünf Minuten und beherrscht sie bis ans Ende des Lebens. Ihr Banknachbar müht sich tagelang ab und verliert die Fähigkeit, wenn er sie nicht alle Vierteljahre neu erwirbt. Fähigkeiten sind flüchtig. Der Lehrplan 21 erweist sich so als ein Sack voller Flöhe, den erbarmungswürdige Lehrerinnen zu hüten haben. Bildungsbürokraten und Hors-sol-Theoretiker haben in diesen Sack viel zu viele Flöhe gepfercht.
Leserbrief NZZaS, 16.11. von Urs Oswald

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