Nach Monaten des Hin und Hers haben sich die kantonalen
Erziehungsdirektoren in Basel mit Bundesrat Alain Berset ausgesprochen. Den
Kantonen bleibt Zeit - aber nur, bis die Frist für die Harmos-Bilanz zu Ende
ist.
Ist er der neue starke Mann der Schweizer Volksschule? Bild: Georgios Kefalas
Ordnungsruf in der Sprachenfrage, NZZ, 1.11. von Michael Schoenenberger
Eigentlich hat
die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) mit der
Harmonisierung der obligatorischen Schule noch ein bisschen Zeit. Um genau zu
sein: bis Mitte 2015. Doch offenbar hielten es die Verantwortlichen für
dringlich, eine Aussprache zum Sprachenunterricht in der Schweiz abzuhalten,
angesichts der politischen Vorstösse in einzelnen Kantonen, der emotionalen
Aufwühlungen in der Romandie und der deutlichen Avancen des Freiburger
Bundesrats Alain Berset, er werde die Sache regeln, sollten es die Kantone
nicht können.
Umsetzung in 23 Kantonen
Das Tête-à-Tête
mit Berset war das eine. Ganz offensichtlich gleich wichtig war die EDK-interne
Aussprache. Denn immerhin: Seit dem Sprachenkompromiss von 2004 sind zehn Jahre
ins Land gezogen, und in den Kantonen ist in dieser Zeit das politische
Bildungspersonal weitgehend erneuert worden. Zur Erinnerung: Damals einigten
sich die Erziehungsdirektoren auf das sogenannte Modell 3/5, also auf den
Unterricht von zwei Fremdsprachen auf der Primarschulstufe ab dritter und
fünfter Klasse. Der Kompromiss bestand darin, dass jeder Kanton selber
entscheidet, mit welcher Sprache - also einer Landessprache oder Englisch - er
anfangen möchte. Die Romands konnten dem zustimmen, da sie wussten, dass ihre
Sprache ennet der Saane nicht zwischen Stuhl und Bank fallen würde.
Die EDK hat nun
am Freitag ein starkes Signal ausgesandt: Mit 22 zu 2 Stimmen stützte sie die
Sprachenstrategie von 2004 klar. Ein Kanton enthielt sich, einer war abwesend.
Das ist zwar kein einstimmiger Entscheid, doch er wird in jenen Kantonen, die
mit anderen Lösungen liebäugeln, nicht ohne Wirkung bleiben. EDK-Präsident
Christoph Eymann erinnerte an der Medienkonferenz in Basel daran, dass die
Sprachenstrategie von 2004 derzeit in 23 Kantonen umgesetzt wird. Er
appellierte an alle Kantonsregierungen und kantonalen Parlamente, jetzt Hand zu
bieten für die vereinbarte Strategie, damit eine Intervention des Bundes
vermieden werden kann. «Es ist kein alternatives Modell in Sicht, das eine
ähnlich grosse Zustimmung hätte», verdeutlichte Eymann. Mit Blick auf die
Kantone Appenzell Innerrhoden, Aargau und Uri, die Englisch ab dem 3.
Schuljahr, aber kein Französisch auf der Primarschulstufe anbieten, wird die
Harmos-Bilanz abzuwarten sein. Uri ist ein Spezialfall wegen seiner Nähe zum
Kanton Tessin, die beiden anderen Kantone warten ab, wie es mit dem Lehrplan 21
weitergeht (NZZ 31. 10. 14).
Bundesrat
Berset erinnerte an die besorgte Stimmung im Bundesrat. «Es ist undenkbar, dass
auf der Primarstufe keine zweite Landessprache unterrichtet wird», bekräftigte
er die Haltung der Landesregierung. Der Bund wolle aber den ordentlichen
Prozess abwarten, die kantonale Bilanz zu Harmos also. Erst dann werde er,
falls nötig, aktiv.
Eine Drohung aus Bern
Wie er die
Sache genau regeln möchte, liess Berset am Freitag offen. Er betonte aber die
Subsidiarität der Bundeskompetenz, was auf einen feinen Eingriff hindeuten
könnte. Der Druck des Bundesrats auf die Kantone wurde nach der Aussprache eher
noch ein wenig grösser als bis anhin. Denn Berset schob eine kleine Drohung
nach: Sobald ein einziger Kanton, also etwa der Thurgau oder Nidwalden, eine
definitive Entscheidung gegen das Französisch auf der Primarschulstufe fällen
sollte, werde der Bundesrat nicht zögern, zu handeln, ohne die Harmos-Frist
abzuwarten.
Der Dachverband
der Lehrerinnen und Lehrer (LCH) sieht im Moment die Bedingungen für einen
erfolgreichen Unterricht von zwei Fremdsprachen auf der Primarschulstufe nicht
gegeben. Erstmals wiesen nun die Erziehungsdirektoren in ihrer Stellungnahme
darauf hin, dass der Lehrerschaft in diesem Prozess eine wichtige Rolle
zukomme. Sie würden sich für bessere Bedingungen an den Schulen einsetzen,
hielten sie fest. Zusammen mit den Berufsverbänden werden Empfehlungen für eine
erfolgreiche Umsetzung des Sprachenkonzepts erarbeitet. EDK und Bund lancieren
sodann ein nationales Programm für den Austausch von Lehrpersonen. Diese sollen
während eines Jahres an einer Schule in einer anderen Sprachregion arbeiten
können.
Didaktiker für zwei Sprachen
Am Freitag
haben sich überdies eine grosse Zahl Fremdsprachendidaktiker vernehmen lassen.
Sie sprachen sich für die Fortsetzung des Modells 3/5 aus und für die
vereinbarte Freiheit bei der Wahl der Sprachenreihenfolge. Die Kernfrage laute
nicht, ob zwei Fremdsprachen in der Primarschule unterrichtet werden sollen,
sondern wie das Fremdsprachenlernen optimiert werden kann.
Trotz Aufregung
überall ist es angebracht, nüchtern die Harmos-Bilanz abzuwarten. Wie der
Kanton Nidwalden zeigt, kann der Prozess Wendungen in diese oder die andere
Richtung nehmen. Das dortige Parlament hat die für die Emotionen
verantwortliche Volksinitiative, die nur noch eine Fremdsprache an der
Primarschule fordert, bachab geschickt. Abgestimmt wird voraussichtlich am 8.
März. Dies sollte auch im Bundesparlament zur Kenntnis genommen werden, wo
Gegner von kantonalen Lösungen die derzeitigen Zwänge in der Sprachenfrage noch
so gerne zum Anlass nehmen, um an der Harmonisierungsschraube drehen zu können.
Die Kantone wären ihrerseits gut beraten, das Kind nicht mit dem Bad
auszuschütten, eine Einigung zu erzielen und den Befehl aus Bern so zu
verhindern.
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