1. November 2014

Drohfinger aus Bern

Nach Monaten des Hin und Hers haben sich die kantonalen Erziehungsdirektoren in Basel mit Bundesrat Alain Berset ausgesprochen. Den Kantonen bleibt Zeit - aber nur, bis die Frist für die Harmos-Bilanz zu Ende ist.








Ist er der neue starke Mann der Schweizer Volksschule? Bild: Georgios Kefalas



Ordnungsruf in der Sprachenfrage, NZZ, 1.11. von Michael Schoenenberger


Eigentlich hat die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) mit der Harmonisierung der obligatorischen Schule noch ein bisschen Zeit. Um genau zu sein: bis Mitte 2015. Doch offenbar hielten es die Verantwortlichen für dringlich, eine Aussprache zum Sprachenunterricht in der Schweiz abzuhalten, angesichts der politischen Vorstösse in einzelnen Kantonen, der emotionalen Aufwühlungen in der Romandie und der deutlichen Avancen des Freiburger Bundesrats Alain Berset, er werde die Sache regeln, sollten es die Kantone nicht können.
Umsetzung in 23 Kantonen
Das Tête-à-Tête mit Berset war das eine. Ganz offensichtlich gleich wichtig war die EDK-interne Aussprache. Denn immerhin: Seit dem Sprachenkompromiss von 2004 sind zehn Jahre ins Land gezogen, und in den Kantonen ist in dieser Zeit das politische Bildungspersonal weitgehend erneuert worden. Zur Erinnerung: Damals einigten sich die Erziehungsdirektoren auf das sogenannte Modell 3/5, also auf den Unterricht von zwei Fremdsprachen auf der Primarschulstufe ab dritter und fünfter Klasse. Der Kompromiss bestand darin, dass jeder Kanton selber entscheidet, mit welcher Sprache - also einer Landessprache oder Englisch - er anfangen möchte. Die Romands konnten dem zustimmen, da sie wussten, dass ihre Sprache ennet der Saane nicht zwischen Stuhl und Bank fallen würde.
Die EDK hat nun am Freitag ein starkes Signal ausgesandt: Mit 22 zu 2 Stimmen stützte sie die Sprachenstrategie von 2004 klar. Ein Kanton enthielt sich, einer war abwesend. Das ist zwar kein einstimmiger Entscheid, doch er wird in jenen Kantonen, die mit anderen Lösungen liebäugeln, nicht ohne Wirkung bleiben. EDK-Präsident Christoph Eymann erinnerte an der Medienkonferenz in Basel daran, dass die Sprachenstrategie von 2004 derzeit in 23 Kantonen umgesetzt wird. Er appellierte an alle Kantonsregierungen und kantonalen Parlamente, jetzt Hand zu bieten für die vereinbarte Strategie, damit eine Intervention des Bundes vermieden werden kann. «Es ist kein alternatives Modell in Sicht, das eine ähnlich grosse Zustimmung hätte», verdeutlichte Eymann. Mit Blick auf die Kantone Appenzell Innerrhoden, Aargau und Uri, die Englisch ab dem 3. Schuljahr, aber kein Französisch auf der Primarschulstufe anbieten, wird die Harmos-Bilanz abzuwarten sein. Uri ist ein Spezialfall wegen seiner Nähe zum Kanton Tessin, die beiden anderen Kantone warten ab, wie es mit dem Lehrplan 21 weitergeht (NZZ 31. 10. 14).
Bundesrat Berset erinnerte an die besorgte Stimmung im Bundesrat. «Es ist undenkbar, dass auf der Primarstufe keine zweite Landessprache unterrichtet wird», bekräftigte er die Haltung der Landesregierung. Der Bund wolle aber den ordentlichen Prozess abwarten, die kantonale Bilanz zu Harmos also. Erst dann werde er, falls nötig, aktiv.
Eine Drohung aus Bern
Wie er die Sache genau regeln möchte, liess Berset am Freitag offen. Er betonte aber die Subsidiarität der Bundeskompetenz, was auf einen feinen Eingriff hindeuten könnte. Der Druck des Bundesrats auf die Kantone wurde nach der Aussprache eher noch ein wenig grösser als bis anhin. Denn Berset schob eine kleine Drohung nach: Sobald ein einziger Kanton, also etwa der Thurgau oder Nidwalden, eine definitive Entscheidung gegen das Französisch auf der Primarschulstufe fällen sollte, werde der Bundesrat nicht zögern, zu handeln, ohne die Harmos-Frist abzuwarten.
Der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer (LCH) sieht im Moment die Bedingungen für einen erfolgreichen Unterricht von zwei Fremdsprachen auf der Primarschulstufe nicht gegeben. Erstmals wiesen nun die Erziehungsdirektoren in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass der Lehrerschaft in diesem Prozess eine wichtige Rolle zukomme. Sie würden sich für bessere Bedingungen an den Schulen einsetzen, hielten sie fest. Zusammen mit den Berufsverbänden werden Empfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Sprachenkonzepts erarbeitet. EDK und Bund lancieren sodann ein nationales Programm für den Austausch von Lehrpersonen. Diese sollen während eines Jahres an einer Schule in einer anderen Sprachregion arbeiten können.
Didaktiker für zwei Sprachen
Am Freitag haben sich überdies eine grosse Zahl Fremdsprachendidaktiker vernehmen lassen. Sie sprachen sich für die Fortsetzung des Modells 3/5 aus und für die vereinbarte Freiheit bei der Wahl der Sprachenreihenfolge. Die Kernfrage laute nicht, ob zwei Fremdsprachen in der Primarschule unterrichtet werden sollen, sondern wie das Fremdsprachenlernen optimiert werden kann.
Trotz Aufregung überall ist es angebracht, nüchtern die Harmos-Bilanz abzuwarten. Wie der Kanton Nidwalden zeigt, kann der Prozess Wendungen in diese oder die andere Richtung nehmen. Das dortige Parlament hat die für die Emotionen verantwortliche Volksinitiative, die nur noch eine Fremdsprache an der Primarschule fordert, bachab geschickt. Abgestimmt wird voraussichtlich am 8. März. Dies sollte auch im Bundesparlament zur Kenntnis genommen werden, wo Gegner von kantonalen Lösungen die derzeitigen Zwänge in der Sprachenfrage noch so gerne zum Anlass nehmen, um an der Harmonisierungsschraube drehen zu können. Die Kantone wären ihrerseits gut beraten, das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten, eine Einigung zu erzielen und den Befehl aus Bern so zu verhindern.

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