26. November 2014

Bund hat in Fremdsprachenfrage zu wenig Kompetenzen

Die Verteidiger von zwei Primarfremdsprachen und insbesondere auch der LCH und die nationalrätliche Bildungskommission verweisen unisono auf den Bund, der den Abweichlern dann mithilfe des Artikels 62 der Bundesverfassung schon den Marsch blasen würde. In diesem Blog wurde bereits früher auf diese wacklige Argumentation hingewiesen, die bei nüchterner Betrachtung der relevanten Gesetzestexte auch für Nichtjuristen nachvollziehbar scheint: Der Bund hat in der Fremdsprachenfrage aufgrund der Rechtslage zu wenig Kompetenzen, um widerspenstige Kantone auf eine gemeinsame Linie zu zwingen. Ganz einfach darum, weil es eine solche Linie nicht gibt. Das Volk hat sich ausserordentlich deutlich für eine Harmonisierung im Bereich der Volksschule ausgesprochen. Darunter fällt in erster Linie der Fremdsprachenunterricht. Man könnte deshalb sogar so weit gehen und behaupten, dass der Vorschlag der EDK (zwei Primarfremdsprachen mit nicht harmonisiertem Beginn) im Kern genau diesem Harmonisierungswillen des Volkes widerspricht. Zum Glück hat nun mit Bernhard Waldmann ein Spezialist eine Analyse der bestehenden Situation vorgenommen. Diese dürfte den anlaufenden Volksinitiativen noch mehr Unterstützung bringen. (uk)


Bernhard Waldmann ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und Vizedirektor des Instituts für Föderalismus an der Universität Fribourg, Bild: Universität Fribourg

Beschränkte Bundeskompetenz beim Fremdsprachenunterricht, NZZ, 26.11. von Bernhard Waldmann



Die Bemühungen der Kantone um die Koordination des Fremdsprachenunterrichts gehen auf die frühen 1970er Jahre zurück. Bei den zwischen den kantonalen Erziehungsdirektoren gefundenen Lösungen handelte es sich stets um politische Kompromisse. Dies gilt sowohl für die Empfehlungen der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) aus dem Jahr 1975, infolge deren alle Kantone (wenn auch einzelne etwas später) den Unterricht in einer zweiten Landessprache auf Primarschulstufe einführten, als auch für den Plenarbeschluss der EDK aus dem Jahr 2004, der ein Einsetzen von mindestens einer zweiten Landessprache und einer Fremdsprache bis zum 5. Schuljahr vorgab und damit das Modell 3/5 gemäss heutigem Harmos-Konkordat vorspurte.
Beschränkte Gesetzgebungskompetenz
Nun droht die Koordination auf den letzten Metern ihrer Umsetzung aufgrund des Widerstands in einzelnen Deutschschweizer Kantonen zu scheitern. Angesichts dieser Entwicklungen wird von verschiedener Seite ein Einschreiten des Bundes gefordert. Sowohl der Bundesrat als auch die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) kündigen an, notfalls mit einer Änderung des Sprachengesetzes den Unterricht in einer zweiten Landessprache auf Primarstufe vorzuschreiben, um zu verhindern, dass in einzelnen Kantonen in der Primarschule künftig nur noch Englisch als Fremdsprache unterrichtet wird. Begründet wird diese Ankündigung hauptsächlich mit der Sorge um den nationalen Zusammenhalt und die nötige Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften.
Zu kurz gekommen ist bisher allerdings die Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Bund überhaupt die Kompetenz hätte, die erwünschte Harmonisierung über eine Änderung des Sprachengesetzes herbeizuführen.
Die verfassungsrechtliche Ermächtigung für eine solche Bundesregelung wird gemeinhin in Artikel 62 Abs. 4 der Bundesverfassung gesehen, wonach der Bund die notwendigen Vorschriften zu erlassen hat, wenn auf dem Koordinationsweg hinsichtlich bestimmter Eckwerte keine Harmonisierung des Schulwesens zustande kommt. Zwar erstreckt sich die indirekt darin enthaltene Harmonisierungspflicht der Kantone insbesondere auch auf den Bereich der «Ziele der Bildungsstufen». Sie bleibt aber auf allgemeine, stufenspezifische Zielumschreibungen beschränkt und umfasst gerade nicht auch fächerspezifische Ziele und Inhalte der einzelnen Bildungsstufen.
Die mit grosser Mehrheit angenommene Neuordnung der Bildungsverfassung zielte vorab auf eine Harmonisierung der Schulstrukturen (Eintrittsalter, Zu- und Übergänge zu den Bildungsstufen und Anerkennung von Abschlüssen), dies mit Blick auf eine bessere Durchlässigkeit der verschiedenen Schulsysteme. Eine Angleichung der Bildungsinhalte entspricht zwar ebenfalls dem Geist dieser Reform, bleibt aber vom subsidiären Gesetzgebungsauftrag des Bundes ausgeklammert. Mit einer anderen Auslegung würden sonst über die Ziele auch die Inhalte der einzelnen Bildungsstufen von der subsidiären Steuerungsbefugnis des Bundes erfasst, womit die verfassungsrechtlich gewährleistete kantonale Schulhoheit zur Leerformel verkäme.
Mit dem Modell 3/5 sind die Kantone bereits über das geforderte Minimum hinausgegangen. Ein Ausscheren einzelner Kantone muss daher nicht zwingend eine Verletzung von Art. 62 Abs. 4 BV zur Folge haben, solange das darin geforderte Minimum nicht unterschritten wird. Die Bestimmung dieses Minimums ist allerdings gerade mit Bezug auf den Eckwert der Bildungsstufenziele alles andere als klar, zumal die Verfassung hierfür weder konkrete Ziele definiert noch ein bestimmtes Mass an Harmonisierung vorgibt.
Bund darf Konzept nicht aufzwängen
Art. 62 Abs. 4 BV bietet überdies keine Handhabe, um eine bestimmte interkantonale Koordinationslösung zum bundesrechtlichen Standard zu erklären. Sollte das Modell 3/5 tatsächlich nicht von allen Kantonen mitgetragen werden, wovon zumindest im heutigen Zeitpunkt ausgegangen werden muss, bliebe als Konsens immerhin das auch im Harmos-Konkordat festgeschriebene Ziel bestehen, wonach am Ende der obligatorischen Schule für zwei Fremdsprachen (davon eine zweite Landessprache) gleichwertige Kompetenzniveaus erfüllt sein müssen.
Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, darin ein aus der Perspektive von Art. 62 Abs. 4 BV genügendes Mass an Harmonisierung zu erblicken. Jedenfalls darf der Bundesgesetzgeber den Kantonen nicht sein eigenes Harmonisierungskonzept aufdrängen, selbst wenn er dafür gute (staats)politische Gründe anführen kann.
Notwendigkeit einer Verfassungsrevision
Vor diesem Hintergrund vermag das Interesse an der nationalen Kohäsion allein keine Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Regelung des Fremdsprachenunterrichts in der Primarschule zu begründen. Will der Bund - wofür es durchaus gewichtige Gründe gibt - seinen Einfluss auf den Unterricht in einer zweiten Landessprache in der Primarschule verstärken, bedarf es hierzu einer klaren Grundlage auf Verfassungsstufe. Art. 62 Abs. 4 BV reicht, auch im Zusammenspiel mit der Verantwortung für die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften (Art. 70 Abs. 3 BV), nicht aus.


Wenn dem Unterricht in einer zweiten Landessprache eine solche staatspolitische Bedeutung zukommt, erscheint eine Entscheidung durch Volk und Stände letztlich auch aus demokratiepolitischer und aus föderalistischer Hinsicht sinnvoll.

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