Bernhard Waldmann ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und Vizedirektor des Instituts für Föderalismus an der Universität Fribourg, Bild: Universität Fribourg
Beschränkte Bundeskompetenz beim Fremdsprachenunterricht, NZZ, 26.11. von Bernhard Waldmann
Die Bemühungen der Kantone um die Koordination des
Fremdsprachenunterrichts gehen auf die frühen 1970er Jahre zurück. Bei den
zwischen den kantonalen Erziehungsdirektoren gefundenen Lösungen handelte es
sich stets um politische Kompromisse. Dies gilt sowohl für die Empfehlungen der
Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) aus dem Jahr 1975, infolge deren alle
Kantone (wenn auch einzelne etwas später) den Unterricht in einer zweiten
Landessprache auf Primarschulstufe einführten, als auch für den Plenarbeschluss
der EDK aus dem Jahr 2004, der ein Einsetzen von mindestens einer zweiten
Landessprache und einer Fremdsprache bis zum 5. Schuljahr vorgab und damit das
Modell 3/5 gemäss heutigem Harmos-Konkordat vorspurte.
Beschränkte Gesetzgebungskompetenz
Nun droht die Koordination auf den letzten Metern
ihrer Umsetzung aufgrund des Widerstands in einzelnen Deutschschweizer Kantonen
zu scheitern. Angesichts dieser Entwicklungen wird von verschiedener Seite ein
Einschreiten des Bundes gefordert. Sowohl der Bundesrat als auch die
nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-N)
kündigen an, notfalls mit einer Änderung des Sprachengesetzes den Unterricht in
einer zweiten Landessprache auf Primarstufe vorzuschreiben, um zu verhindern,
dass in einzelnen Kantonen in der Primarschule künftig nur noch Englisch als
Fremdsprache unterrichtet wird. Begründet wird diese Ankündigung hauptsächlich
mit der Sorge um den nationalen Zusammenhalt und die nötige Verständigung
zwischen den Sprachgemeinschaften.
Zu kurz gekommen ist bisher allerdings die
Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Bund überhaupt die Kompetenz hätte,
die erwünschte Harmonisierung über eine Änderung des Sprachengesetzes
herbeizuführen.
Die verfassungsrechtliche Ermächtigung für eine
solche Bundesregelung wird gemeinhin in Artikel 62 Abs. 4 der Bundesverfassung
gesehen, wonach der Bund die notwendigen Vorschriften zu erlassen hat, wenn auf
dem Koordinationsweg hinsichtlich bestimmter Eckwerte keine Harmonisierung des
Schulwesens zustande kommt. Zwar erstreckt sich die indirekt darin enthaltene
Harmonisierungspflicht der Kantone insbesondere auch auf den Bereich der «Ziele
der Bildungsstufen». Sie bleibt aber auf allgemeine, stufenspezifische
Zielumschreibungen beschränkt und umfasst gerade nicht auch fächerspezifische
Ziele und Inhalte der einzelnen Bildungsstufen.
Die mit grosser Mehrheit angenommene Neuordnung der
Bildungsverfassung zielte vorab auf eine Harmonisierung der Schulstrukturen
(Eintrittsalter, Zu- und Übergänge zu den Bildungsstufen und Anerkennung von
Abschlüssen), dies mit Blick auf eine bessere Durchlässigkeit der verschiedenen
Schulsysteme. Eine Angleichung der Bildungsinhalte entspricht zwar ebenfalls
dem Geist dieser Reform, bleibt aber vom subsidiären Gesetzgebungsauftrag des
Bundes ausgeklammert. Mit einer anderen Auslegung würden sonst über die Ziele
auch die Inhalte der einzelnen Bildungsstufen von der subsidiären
Steuerungsbefugnis des Bundes erfasst, womit die verfassungsrechtlich
gewährleistete kantonale Schulhoheit zur Leerformel verkäme.
Mit dem Modell 3/5 sind die Kantone bereits über
das geforderte Minimum hinausgegangen. Ein Ausscheren einzelner Kantone muss
daher nicht zwingend eine Verletzung von Art. 62 Abs. 4 BV zur Folge haben,
solange das darin geforderte Minimum nicht unterschritten wird. Die Bestimmung
dieses Minimums ist allerdings gerade mit Bezug auf den Eckwert der
Bildungsstufenziele alles andere als klar, zumal die Verfassung hierfür weder konkrete
Ziele definiert noch ein bestimmtes Mass an Harmonisierung vorgibt.
Bund darf Konzept nicht aufzwängen
Art. 62 Abs. 4 BV bietet überdies keine Handhabe,
um eine bestimmte interkantonale Koordinationslösung zum bundesrechtlichen
Standard zu erklären. Sollte das Modell 3/5 tatsächlich nicht von allen
Kantonen mitgetragen werden, wovon zumindest im heutigen Zeitpunkt ausgegangen
werden muss, bliebe als Konsens immerhin das auch im Harmos-Konkordat
festgeschriebene Ziel bestehen, wonach am Ende der obligatorischen Schule für
zwei Fremdsprachen (davon eine zweite Landessprache) gleichwertige
Kompetenzniveaus erfüllt sein müssen.
Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, darin
ein aus der Perspektive von Art. 62 Abs. 4 BV genügendes Mass an Harmonisierung
zu erblicken. Jedenfalls darf der Bundesgesetzgeber den Kantonen nicht sein
eigenes Harmonisierungskonzept aufdrängen, selbst wenn er dafür gute
(staats)politische Gründe anführen kann.
Notwendigkeit einer Verfassungsrevision
Vor diesem Hintergrund vermag das Interesse an der
nationalen Kohäsion allein keine Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Regelung
des Fremdsprachenunterrichts in der Primarschule zu begründen. Will der Bund -
wofür es durchaus gewichtige Gründe gibt - seinen Einfluss auf den Unterricht
in einer zweiten Landessprache in der Primarschule verstärken, bedarf es hierzu
einer klaren Grundlage auf Verfassungsstufe. Art. 62 Abs. 4 BV reicht, auch im
Zusammenspiel mit der Verantwortung für die Verständigung zwischen den
Sprachgemeinschaften (Art. 70 Abs. 3 BV), nicht aus.
Wenn dem Unterricht in einer zweiten Landessprache
eine solche staatspolitische Bedeutung zukommt, erscheint eine Entscheidung
durch Volk und Stände letztlich auch aus demokratiepolitischer und aus
föderalistischer Hinsicht sinnvoll.

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