16. November 2014

Begriff Gender durch "Geschlechter und Gleichstellung" ersetzt

Die Macher des Lehrplan 21 haben auf Druck von aussen den politisch aufgeladenen Begriff "Gender" aus dem Werk gestrichen. Was sich damit verbessert haben soll, ist unklar. Und die Kritiker sind keineswegs besänftigt.




Begriff gestrichen, Inhalte belassen. Bild: novalo.com

Männlein und Weiblein im Lehrplan 21, St. Galler Tagblatt, 16.11. von Marina Winder



«Ihr Suchbegriff <Gender> führte zu keinem Treffer.» Die Suchfunktion auf der Online-Plattform des Lehrplan 21 spuckt dieses Ergebnis aus. Noch vor einem halben Jahr hätte es anders ausgesehen. In der Zwischenzeit aber haben die Lehrplanmacher, gedrängt durch die Petition «Kein Gender im Lehrplan 21», die den Initianten zufolge von 33 000 Personen unterschrieben wurde, den Begriff aus dem Werk gestrichen. Statt «Gender und Gleichstellung» heisst das fächerübergreifende Thema – so werden Themen genannt, die im Lehrplan nicht in einem eigenen Fach, sondern in verschiedenen Fächern unterrichtet werden – nun «Geschlechter und Gleichstellung». Der Begriff «Gender» wurde durchwegs ersetzt, einige Formulierungen im Lehrplan wurden abgeschwächt. So ist in der einleitenden Beschreibung des Themenbereichs «Geschlechter und Gleichstellung» nicht mehr von der «prägenden und lenkenden Kraft von Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern» die Rede. Stattdessen sprechen die Lehrplanautoren jetzt von der «Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen, Stereotypen, Vorurteilen und Klischees in Alltag und Arbeitswelt».
«Das ist Etikettenschwindel»
Der Stiftung Zukunft CH, die Initiantin der Petition «Kein Gender im Lehrplan 21», reicht das bei weitem nicht. Sie wirft der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) «Etikettenschwindel» vor. Die «genderistisch eingefärbten Inhalte» seien nicht entfernt worden, schreibt Dominik Lusser von Zukunft CH in einer Stellungnahme.
Zukunft CH ist nach eigenen Angaben eine Stiftung, die sich für «zukunftstragende Werte, eine Aufwertung der Familie und gegen die schleichende Einführung der Sharia» einsetzt. Sie hat zum Beispiel die gerichtliche Beschwerde gegen die «Love Life»-Kampagne des Bundesamts für Gesundheit unterstützt.
Der Lehrplan 21 sei nach wie vor gespickt mit Kompetenzen, welche den natürlichen Geschlechtsunterschied zwischen Mann und Frau relativierten und die «heterosexuelle Norm» in Frage stellten, kritisiert Lusser weiter. Die Schule masse sich an, sich in die Aufteilung von Berufs- und Familienleben aktiv einzumischen. Weiter unterstellt ihr Lusser einen «genderistischen Gleichheitswahn – der weder den Bedürfnissen noch den Vorlieben von Männern und Frauen entspricht».
SVP stösst ins gleiche Horn
Mit anderen Worten, aber nicht weniger deutlich wehrte sich auch die SVP gegen die Gender-Thematik im Lehrplan 21. Auch sie wollte das Thema «Gender und Gleichstellung» sowie sämtliche lebens- und sexualkundliche Themen komplett streichen. «Auch dort, wo sie in andere Bereiche wie Gesundheit, Natur, Gesellschaft, Wirtschaft, Arbeit oder Ethik und Religion verwoben sind», sagt die stellvertretende Generalsekretärin Silvia Bär. Die erzieherische Hauptverantwortung liege bei den Eltern. «Der Staat und damit die Schule sollen und dürfen nicht vereinheitlichend auf die soziale und individuelle Wertehaltung einwirken», schrieb die SVP bereits in ihrer Vernehmlassungsantwort.
D-EDK lässt sich nicht beirren
Die D-EDK lässt sich durch diese geballte Kritik nicht irritieren. «Die Auswahl der Inhalte, die unter dem Titel <Geschlechter und Gleichstellung> angesprochen werden, stützt sich auf Artikel 8 der Schweizerischen Bundesverfassung», sagt Christian Amsler, Präsident der D-EDK und Schaffhauser Regierungsrat. Das betreffe zum einen das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der Lebensform und zum anderen den Grundsatz der Gleichberechtigung und den Auftrag zur Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. «Die Schule hat nach unserer klaren Meinung den Auftrag, hierzu einen Beitrag zu leisten», sagt Amsler. «Daher muss sich die Volksschule mit Geschlechterrollen und geschlechtsspezifischem Berufswahlverhalten befassen oder sich gegen die Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung wenden.» Es gehe darum, dass die Schüler verschiedene Standpunkte kennenlernten, diese abzuwägen lernten und sich eine eigene Meinung bilden könnten.

Schliesslich weist Amsler darauf hin, dass die D-EDK bereits vor mehr als 20 Jahren Empfehlungen zur sprachlichen Gleichbehandlung von Mann und Frau beschlossen habe. Die in der Petition kritisierten Bemühungen um eine «geschlechtergerechte Sprache» seien also eigentlich keine Neuerung des Lehrplan 21.

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