Begriff gestrichen, Inhalte belassen. Bild: novalo.com
Männlein und Weiblein im Lehrplan 21, St. Galler Tagblatt, 16.11. von Marina Winder
«Ihr
Suchbegriff <Gender> führte zu keinem Treffer.» Die Suchfunktion auf der
Online-Plattform des Lehrplan 21 spuckt dieses Ergebnis aus. Noch vor einem
halben Jahr hätte es anders ausgesehen. In der Zwischenzeit aber haben die
Lehrplanmacher, gedrängt durch die Petition «Kein Gender im Lehrplan 21», die
den Initianten zufolge von 33 000 Personen unterschrieben wurde, den Begriff
aus dem Werk gestrichen. Statt «Gender und Gleichstellung» heisst das
fächerübergreifende Thema – so werden Themen genannt, die im Lehrplan nicht in
einem eigenen Fach, sondern in verschiedenen Fächern unterrichtet werden – nun
«Geschlechter und Gleichstellung». Der Begriff «Gender» wurde durchwegs
ersetzt, einige Formulierungen im Lehrplan wurden abgeschwächt. So ist in der
einleitenden Beschreibung des Themenbereichs «Geschlechter und Gleichstellung»
nicht mehr von der «prägenden und lenkenden Kraft von Männlichkeits- und
Weiblichkeitsbildern» die Rede. Stattdessen sprechen die Lehrplanautoren jetzt
von der «Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen, Stereotypen, Vorurteilen
und Klischees in Alltag und Arbeitswelt».
«Das ist
Etikettenschwindel»
Der Stiftung Zukunft CH,
die Initiantin der Petition «Kein Gender im Lehrplan 21», reicht das bei weitem
nicht. Sie wirft der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK)
«Etikettenschwindel» vor. Die «genderistisch eingefärbten Inhalte» seien nicht
entfernt worden, schreibt Dominik Lusser von Zukunft CH in einer Stellungnahme.
Zukunft CH ist nach
eigenen Angaben eine Stiftung, die sich für «zukunftstragende Werte, eine
Aufwertung der Familie und gegen die schleichende Einführung der Sharia» einsetzt.
Sie hat zum Beispiel die gerichtliche Beschwerde gegen die «Love Life»-Kampagne
des Bundesamts für Gesundheit unterstützt.
Der Lehrplan 21 sei nach
wie vor gespickt mit Kompetenzen, welche den natürlichen Geschlechtsunterschied
zwischen Mann und Frau relativierten und die «heterosexuelle Norm» in Frage
stellten, kritisiert Lusser weiter. Die Schule masse sich an, sich in die
Aufteilung von Berufs- und Familienleben aktiv einzumischen. Weiter unterstellt
ihr Lusser einen «genderistischen Gleichheitswahn – der weder den Bedürfnissen
noch den Vorlieben von Männern und Frauen entspricht».
SVP stösst ins gleiche
Horn
Mit anderen Worten, aber
nicht weniger deutlich wehrte sich auch die SVP gegen die Gender-Thematik im
Lehrplan 21. Auch sie wollte das Thema «Gender und Gleichstellung» sowie
sämtliche lebens- und sexualkundliche Themen komplett streichen. «Auch dort, wo
sie in andere Bereiche wie Gesundheit, Natur, Gesellschaft, Wirtschaft, Arbeit
oder Ethik und Religion verwoben sind», sagt die stellvertretende
Generalsekretärin Silvia Bär. Die erzieherische Hauptverantwortung liege bei
den Eltern. «Der Staat und damit die Schule sollen und dürfen nicht
vereinheitlichend auf die soziale und individuelle Wertehaltung einwirken»,
schrieb die SVP bereits in ihrer Vernehmlassungsantwort.
D-EDK lässt sich nicht
beirren
Die D-EDK lässt sich durch
diese geballte Kritik nicht irritieren. «Die Auswahl der Inhalte, die unter dem
Titel <Geschlechter und Gleichstellung> angesprochen werden, stützt sich
auf Artikel 8 der Schweizerischen Bundesverfassung», sagt Christian Amsler,
Präsident der D-EDK und Schaffhauser Regierungsrat. Das betreffe zum einen das
Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der Lebensform und zum
anderen den Grundsatz der Gleichberechtigung und den Auftrag zur Förderung der
rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung
und Arbeit. «Die Schule hat nach unserer klaren Meinung den Auftrag, hierzu
einen Beitrag zu leisten», sagt Amsler. «Daher muss sich die Volksschule mit
Geschlechterrollen und geschlechtsspezifischem Berufswahlverhalten befassen
oder sich gegen die Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung
wenden.» Es gehe darum, dass die Schüler verschiedene Standpunkte
kennenlernten, diese abzuwägen lernten und sich eine eigene Meinung bilden
könnten.
Schliesslich weist Amsler
darauf hin, dass die D-EDK bereits vor mehr als 20 Jahren Empfehlungen zur
sprachlichen Gleichbehandlung von Mann und Frau beschlossen habe. Die in der
Petition kritisierten Bemühungen um eine «geschlechtergerechte Sprache» seien
also eigentlich keine Neuerung des Lehrplan 21.
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