Immer mehr Oberstufenschüler werden in Niveaugruppen unterrichtet, Bild: Gaetan Bally
Die Baustellen der Volksschule, St. Galler Tagblatt, 10.11. von Adrian Vögele
Wie sieht die Zukunft der
St. Galler Volksschule aus? Aufgrund zahlreicher Vorstösse im Kantonsparlament,
die entweder Auskunft zu Schulthemen verlangten oder bestimmte Veränderungen
forderten, hat die Regierung einen Bericht vorgelegt. Unter dem Titel
«Perspektiven der Volksschule» fasst dieser zusammen, was im Kanton in den
nächsten Jahren an Projekten geplant und denkbar ist. Die derzeit intensiv
diskutierten Themen – Lehrplan, Fremdsprachenunterricht et cetera – werden im
Bericht ebenfalls behandelt, sind aber bei weitem nicht die einzigen
Baustellen. Eine Auswahl wichtiger Punkte:
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Einführungsklassen streichen
85
Prozent der St. Galler Kinder treten nach dem 2. Kindergartenjahr in die 1.
Primarklasse über. Für jene, die in ihrer Entwicklung noch nicht so weit sind,
gibt es je nach Gemeinde unterschiedliche Lösungen: Einführungsklassen,
Einschulungsjahr, ein drittes Kindergartenjahr, integrative Förderung. Die
Autoren des Berichts empfehlen, dass benachteiligte Kinder vermehrt schon im
Kindergarten oder gar früher speziell gefördert werden. Dadurch seien später
weniger Zuteilungen in Kleinklassen oder Sonderschulen nötig. Auf Einführungs-
oder Einschulungsklassen, die bei den Eltern der betroffenen Kinder nicht gut
akzeptiert seien, könnten die Schulgemeinden verzichten. Damit würden
gleichzeitig mehr Ressourcen für die integrative Förderung der Kinder frei.
•
Reform der Oberstufe
Das
traditionelle Oberstufenmodell mit strikt getrennten Real- und Sekundarschulen
ist im Kanton fast ausgestorben. Vielerorts besuchen Real- und Sekundarschüler
gemeinsam Wahlfächer. Seit 2012 gibt es zudem Niveaugruppen; 20 Oberstufen
haben im vergangenen Schuljahr nach diesem Modell unterrichtet. «Es ist
bemerkenswert, dass 40 Prozent der Realschüler in ein mittleres oder hohes
Englisch-Niveau eingeteilt wurden», heisst es im Bericht. Umgekehrt sei fast
ein Drittel der Sekundarschüler einem mittleren oder tiefen Niveau in Englisch
oder Mathematik zugewiesen worden.
Die
Schulträger sollen künftig die Wahl zwischen zwei bis drei Oberstufenmodellen
haben. Nebst den genannten Varianten erachtet die Regierung eine noch stärkere
Durchmischung von Real- und Sekundarschülern als möglich. Auch
stufenübergreifender Unterricht sei eine Option. Auf eine reine
Altersdurchmischung innerhalb strikt getrennter Real- und Sekundarschulen, wie
sie eine Motion aus dem Parlament fordert, will die Regierung jedoch
verzichten.
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Tests werden überarbeitet
Die
Volksschule verfügt über eine ganze Reihe von Lern- und Testsystemen, mit denen
der Fortschritt der Schülerinnen und Schüler gemessen wird («Lernpass»,
«Stellwerk» und so weiter). Diese müssen an den Lehrplan 21 angepasst werden.
Der Kanton St. Gallen arbeitet bei der Weiterentwicklung der Systeme eng mit
dem Kanton Zürich zusammen, die Kooperation mit den pädagogischen Hochschulen
wird verstärkt.
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Rolle der Noten überdenken
Zu
klären ist laut Bericht auch, welche Rolle den Noten künftig in der Laufbahn
der Schülerinnen und Schüler zukommt. Das derzeitige Promotions- und
Übertrittsreglement lege grosses Gewicht auf die Zeugnisnoten. Erreiche ein
Schüler eine bestimmte Notensumme nicht, müsse er die Klasse wiederholen.
«Klassenwiederholungen bringen gemäss diversen Forschungsergebnissen kaum
Verbesserungen in den schulischen Leistungen», schreiben die Autoren. Das
derzeitige Selektionssystem sei für leistungsschwache Schüler «nicht
förderlich».
•
Neue Basis für Musikschulen
Die
Einführung eines Freifachs «Klassenmusizieren» in der Primarschule, wie sie in
einem Postulat vorgeschlagen wird, lehnt die Regierung ab. Ein solcher Schritt
sei «ein Präjudiz zur Schaffung weiterer fakultativer Angebote», was zu
erheblichem Mehraufwand für die Schulen führen könne. Musizieren mit
Instrumenten könne und solle im bestehenden Musikunterricht Platz finden.
Hingegen
will die Regierung den Musikschulen unter die Arme greifen, welche mit der
Neugestaltung des Finanzausgleichs im Jahr 2007 ihre rechtliche Grundlage
verloren haben. Die beste Option ist laut Bericht eine generelle Verpflichtung
der Schulträger zu einem Angebot für Instrumentalunterricht, das jedoch für die
Eltern weiterhin kostenpflichtig wäre. Zu diesem Thema sei jedoch noch ein Entscheid
auf Bundesebene ausstehend.
Der
Kantonsrat wird den Bericht «Perspektiven der Volksschule» voraussichtlich in
der Novembersession beraten.
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