10. November 2014

Baustellen der St. Galler Volksschule

Die Volksschule im Kanton St. Gallen ist im Umbruch - auch abseits von vieldiskutierten Themen wie Lehrplan und Fremdsprachenunterricht. Die Regierung legt dem Parlament in einem Bericht die Pläne für die kommenden Jahre dar.




Immer mehr Oberstufenschüler werden in Niveaugruppen unterrichtet, Bild: Gaetan Bally

Die Baustellen der Volksschule, St. Galler Tagblatt, 10.11. von Adrian Vögele


Wie sieht die Zukunft der St. Galler Volksschule aus? Aufgrund zahlreicher Vorstösse im Kantonsparlament, die entweder Auskunft zu Schulthemen verlangten oder bestimmte Veränderungen forderten, hat die Regierung einen Bericht vorgelegt. Unter dem Titel «Perspektiven der Volksschule» fasst dieser zusammen, was im Kanton in den nächsten Jahren an Projekten geplant und denkbar ist. Die derzeit intensiv diskutierten Themen – Lehrplan, Fremdsprachenunterricht et cetera – werden im Bericht ebenfalls behandelt, sind aber bei weitem nicht die einzigen Baustellen. Eine Auswahl wichtiger Punkte:

• Einführungsklassen streichen
85 Prozent der St. Galler Kinder treten nach dem 2. Kindergartenjahr in die 1. Primarklasse über. Für jene, die in ihrer Entwicklung noch nicht so weit sind, gibt es je nach Gemeinde unterschiedliche Lösungen: Einführungsklassen, Einschulungsjahr, ein drittes Kindergartenjahr, integrative Förderung. Die Autoren des Berichts empfehlen, dass benachteiligte Kinder vermehrt schon im Kindergarten oder gar früher speziell gefördert werden. Dadurch seien später weniger Zuteilungen in Kleinklassen oder Sonderschulen nötig. Auf Einführungs- oder Einschulungsklassen, die bei den Eltern der betroffenen Kinder nicht gut akzeptiert seien, könnten die Schulgemeinden verzichten. Damit würden gleichzeitig mehr Ressourcen für die integrative Förderung der Kinder frei.

• Reform der Oberstufe
Das traditionelle Oberstufenmodell mit strikt getrennten Real- und Sekundarschulen ist im Kanton fast ausgestorben. Vielerorts besuchen Real- und Sekundarschüler gemeinsam Wahlfächer. Seit 2012 gibt es zudem Niveaugruppen; 20 Oberstufen haben im vergangenen Schuljahr nach diesem Modell unterrichtet. «Es ist bemerkenswert, dass 40 Prozent der Realschüler in ein mittleres oder hohes Englisch-Niveau eingeteilt wurden», heisst es im Bericht. Umgekehrt sei fast ein Drittel der Sekundarschüler einem mittleren oder tiefen Niveau in Englisch oder Mathematik zugewiesen worden.
Die Schulträger sollen künftig die Wahl zwischen zwei bis drei Oberstufenmodellen haben. Nebst den genannten Varianten erachtet die Regierung eine noch stärkere Durchmischung von Real- und Sekundarschülern als möglich. Auch stufenübergreifender Unterricht sei eine Option. Auf eine reine Altersdurchmischung innerhalb strikt getrennter Real- und Sekundarschulen, wie sie eine Motion aus dem Parlament fordert, will die Regierung jedoch verzichten.

• Tests werden überarbeitet
Die Volksschule verfügt über eine ganze Reihe von Lern- und Testsystemen, mit denen der Fortschritt der Schülerinnen und Schüler gemessen wird («Lernpass», «Stellwerk» und so weiter). Diese müssen an den Lehrplan 21 angepasst werden. Der Kanton St. Gallen arbeitet bei der Weiterentwicklung der Systeme eng mit dem Kanton Zürich zusammen, die Kooperation mit den pädagogischen Hochschulen wird verstärkt.

• Rolle der Noten überdenken
Zu klären ist laut Bericht auch, welche Rolle den Noten künftig in der Laufbahn der Schülerinnen und Schüler zukommt. Das derzeitige Promotions- und Übertrittsreglement lege grosses Gewicht auf die Zeugnisnoten. Erreiche ein Schüler eine bestimmte Notensumme nicht, müsse er die Klasse wiederholen. «Klassenwiederholungen bringen gemäss diversen Forschungsergebnissen kaum Verbesserungen in den schulischen Leistungen», schreiben die Autoren. Das derzeitige Selektionssystem sei für leistungsschwache Schüler «nicht förderlich».

• Neue Basis für Musikschulen
Die Einführung eines Freifachs «Klassenmusizieren» in der Primarschule, wie sie in einem Postulat vorgeschlagen wird, lehnt die Regierung ab. Ein solcher Schritt sei «ein Präjudiz zur Schaffung weiterer fakultativer Angebote», was zu erheblichem Mehraufwand für die Schulen führen könne. Musizieren mit Instrumenten könne und solle im bestehenden Musikunterricht Platz finden.
Hingegen will die Regierung den Musikschulen unter die Arme greifen, welche mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs im Jahr 2007 ihre rechtliche Grundlage verloren haben. Die beste Option ist laut Bericht eine generelle Verpflichtung der Schulträger zu einem Angebot für Instrumentalunterricht, das jedoch für die Eltern weiterhin kostenpflichtig wäre. Zu diesem Thema sei jedoch noch ein Entscheid auf Bundesebene ausstehend.
Der Kantonsrat wird den Bericht «Perspektiven der Volksschule» voraussichtlich in der Novembersession beraten.


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