Die Mutter stellt fest, dass ihre Tochter jetzt zufriedener nach Hause kommt, Bild: Susanne Keller
Das freie Lernen kommt an, Berner Zeitung, 21.10. von Tobias Marti
Neues
Schuljahr, neues Schulsystem: Vieles hat sich für Anja Kupferschmid nach den
Sommerferien geändert. Sie kam von der Siebten in die Achte, ihre ganze Klasse
ist neu zusammengemischt, und auch die Unterrichtsform ist anders: Seit diesem
Schuljahr ist sie nämlich eine Mosaikschülerin.
Wie die
anderen Schüler der siebten bis neunten Klassen der Berner Oberstufenschule
Munzinger kann sie nun selber entscheiden, was, wann, wie, wo und mit wem sie
lernen will. Rund 30 Prozent des Mosaikunterrichts geschehen in diesem selbst
organisierten Lernen (SOL).
Es herrscht kein «Larifari» im Unterricht
Der
13-jährigen Sekundarschülerin gefällt das neue Modell: «Ich arbeite gerne frei
und schätze es, dass ich im Unterricht selber entscheiden kann», sagt sie. Das
Modell, in dem Anja Kupferschmid unterrichtet wird, basiert auf der Idee, dass
die Schülerinnen und Schüler nicht mehr nach ihrem Alter eingeteilt werden.
Vielmehr versucht die Oberstufenschule Munzinger, den Unterricht
individualisiert zu gestalten. Damit sollen individuelle Stärken und
Kapazitäten gefördert werden.
Die erste
halbe Stunde des Tages ist fürs Aufstarten gedacht: Dabei geht es darum, dass
sich Schüler und Lehrer absprechen, was zu tun ist. Die Schüler erarbeiten
dabei den Stoff selbstständig in kleinen Gruppen.
Die
Lehrpersonen würden aber sehr wohl kontrollieren, wie sich die Schüler
benehmen, betont Anja Kupferschmid: «Schüler, die stören, erhalten weniger
Freiheiten als andere», erklärt sie.
Auch die Eltern sind zufrieden mit dem
neuen Schulmodell
Als im
Munzinger das Mosaikmodell eingeführt wurde, befürchteten manche Eltern, dass ihr
Kind nun anderen, hilfsbedürftigeren Kindern helfen müsse und darum selber
nicht mehr genug lerne. Anja Kupferschmid sieht dabei kein Problem: «Wenn ich
einem Mitschüler helfe, habe ich auch was davon, weil ich den Stoff
wiederhole», sagt sie.
Manche Eltern
wiederum sahen den Übertritt ins Gymnasium gefährdet. Etwa weil es weniger
Tests geben würde. Dies sei in ihrer Klasse aber nicht der Fall, sagt die
Oberstufenschülerin. «Wir hatten bis jetzt etwa gleich viele Tests wie letztes
Jahr», sagt sie.
Und was sagen
Anjas Eltern dazu, dass an ihrer Tochter ein neuartiges Schulmodell ausgetestet
wird? «Sie kommt auf jeden Fall zufriedener nach Hause», sagen Hans und Karin
Kupferschmid unisono. Wegen allfälliger Lerndefizite oder «Larifari» im
Unterricht machen sich Anjas Eltern keine Sorgen: «Der Unterricht ist nicht
weniger streng als vorher», sagt Karin Kupferschmid. Im Klassenzimmer sei immer
ein Lehrer anwesend, und auch zu Hause müsse immer noch gelernt werden.
Anjas Vater,
BDP-Stadtrat Hans Kupferschmid, war viele Jahre im Elternrat sowie in der
Schulkommission tätig. Die Familie habe sich darum schon länger mit dem Modell
auseinandergesetzt, sagt er. Er ist überzeugt: «Die Mosaikschule ist das
Zukunftsmodell für die Stadtberner Oberstufe.»
«Die Durchschnittsschüler könnten vergessen
gehen»
Und welche
Nachteile bringt das neue Modell? Die guten Schüler und solche, die Mühe haben,
würden gefördert. Aber die Durchschnittlichen könnten vergessen gehen, sagt
Hans Kupferschmid.
Und das
Computerprogramm, der sogenannte Infomentor, mit dem für Schüler und Lehrer
ersichtlich ist, wie es um die Lernfortschritte in den einzelnen Fächern steht,
sei noch nicht ausgereift. Die Tochter widerspricht: «Das Programm läuft super,
ich brauche es oft.» Für einmal, so scheint es, ist die Familie Kupferschmid
beim Thema Mosaikunterricht nicht einer Meinung.
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